Zu den ganzen Stellungnahmen gäbe es viel zu sagen, ich beschränke mich aber auf folgenden Teilaspekt. Friese & Geißler kritisieren den ersten Satz in der Ankündigung der DCIG und schreiben dann:
Zitat:
Wir taube Menschen empfinden uns nicht als behindert im negativen Sinne, sondern erleben uns als sprachliche und kulturelle Minderheit mit einer eigenen Identität und Sprache.
und umreißen damit schon das wesentliche Problem dieser Debatte: Taub ist eben nicht gleich taub! Der Satz ist, wenn ich die gleichen hohen sprachlichen Anforderungen anlege, wie es z.B. an die DCIG getan wird, eine Ohrfeige für alle Spätertaubten, die ziemlich darum kämpfen mussten und müssen, mit der Behinderung "Taubheit" zurecht zu kommen. Sie werden hier in einer Art und Weise vereinnahmt, die man - um den Duktus der Audismus-Theoretiker aufzunehmen - als kolonialistisch bezeichnet werden könnte.
Interessant und beliebt auch die Methode der Verdrehung durch Weglassung. Friese & Geißler schreiben unter Punkt 4:
Zitat:
Weiter sagen Sie, dass es tauben Menschen schwer falle „... im Beruf und auch im Alltag zu bestehen.“
Sie sehen das CI als einzige Möglichkeit, um im Alltag und Beruf Kommunikationsbarrieren zu meistern. Selbstverständlich gibt es Barrieren, doch wie an immer mehr Beispielen, wie z.B. den unseren, ersichtlich ist, stehen tauben so wie hörenden Menschen Karrieremöglichkeiten offen.
Tatsächlich steht aber im Text der DCIG:
Zitat:
Ertaubten oder hochgradig schwerhörigen Erwachsenen wird es durch das CI erleichtert, im Beruf und auch im Alltag zu bestehen.
Hier wird als explizit und unzweideutig Bezug genommen auf
ertaubte Erwachsene - nicht auf gehörlose Kinder! Hier wird also ganz kräftig verdreht und verfälscht!
Friese & Geißler verschärfen diesen Punkt dann noch (oder sie können nicht richtig lesen), wenn sie unterstellen, die DCIG gehe davon aus, das CI sei die "einzige Möglichkeit" etwas zu meistern. Die DCIG hingegen schreibt weder etwas von einzig noch von meistern, sondern nur von erleichtern - was für mich eine deutlich andere, vorsichtigere (und realistischer) Qualität hat.
In meinen Augen gibt es schon einige Formulierungen der DCIG, die man sich anders gewünscht hätte. Als unangemessen finde ich allerdings, dass Friese & Geißler gleich rechtliche Schritte einleiten wollen. Der Wille zum Dialog wird nicht glaubhaft, wenn man sofort mit dem Rechtsanwalt droht. Vor allem hätte ich mir als Späti gewünscht, dass Friese & Geißler respektieren (oder überhaupt wahrnehmen), dass Taubheit gerade von dieser Gruppe von Menschen anders wahrgenommen wird und somit auch eine andere Einstellung gegenüber dem CI und der DGS bestehen könnte. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, alle "tauben Menschen" dächten so, wie von Friese & Geißler dargestellt. Man kann anderen nicht Undifferenziertheit vorwerfen (Nicht-Erwähnung der Gebärdensprache durch die DCIG) und dann selbst völlig undifferenziert schreiben (komplette Nicht-Beachtung der Spätis).
Im übrigen finde ich immer wieder interessant, was in manche Texte so hineingelesen wird. Die Debatte ließe sich schon ganz erheblich versachlichen, wenn man die Aussage: "Der Baum ist grün!" als das nähme was sie ist, nämlich die Aussage, dass dort ein Baum steht, der die Farbe grün hat, und nicht immer gleich noch die gesamte Geschichte der Diskriminierung Farbenblinder seit der Tschong-Dynastie Anno Tuck zu Grunde legen würde!
Pnin
Nachtrag für Berenice. Versuche mal Deine Fragen zu beantworten:
- wie wirksam ist das CI überhaupt? Ist eine Eingliederung in die hörende Gesellschaft möglich? Beides Mal: Ja! Aber: Hängt natürlich davon ab von der Taubheitsdauer, Anatomie, lautsprachlichen Kompetenz etc. pp.
- Ist das überhaupt wünschenswert? Ist die Frage überhaupt richtig gestellt? Ich habe mir das CI nicht meiner Umwelt wegen implantieren lassen, sondern für mich selbst! Aber natürlich spielt die Umwelt eine Rolle, weil Taubheit nun mal die Kommunikation behindert, insbesondere für Spätis!
- Warum lehnen erwachsene GL es ab, sich operieren zu lassen? Tun sie das? Ich kenne welche, die es nicht tun! Auf der anderen Seite werden gehörlose Erwachsene eigentlich nicht mehr implantiert, weil eine gute Kompetenz in der Lautsprache eine Voraussetzung für die Implantation ist.
- Ist es für den "Erfolg" der OP notwendig, daß so früh wie möglich operiert werden muß? Die Argumentation der Ärzte ist, dass es eine sensible Phase für die Entwicklung der Hörbahnen und des Hörzentrums gibt. Wird diese Phase verpasst, ist das nur schwer bis gar nicht möglich. Hier gilt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr! Problem: Wie lang ist diese Phase? Hier herrscht meines Wissen noch Unklarheit!
- Was gibt es für Alternativen zum CI? Natürlich gibt es die! Das hat eigentlich auch niemand wirklich bezweifelt! Nur: Sind diese Alternativen wirklich und immer gangbar? Außerdem: Musik kannst Du nicht mittels DGS "übersetzen" - da gibt es keine Alternativ.
- Ist es vertretbar, daß die Krankenkassen viel Geld für eine OP bezahlen? Ja! Wollen wir wirklich durchrechnen, ob ein DGS-Dolmetscher günstiger wäre? Annahme: CI für Späti kostet 30.000€. Der ertaubt mit 30 und arbeitet noch 30 Jahre bis zur Rente. Kosten für das Erlernen der DGS - sagen wir 1000 € (eher mehr)! Kosten für den Dolmetscher bei einem Stundensatz von 50 € (ist wohl mehr, aber kann man besser rechnen) und einem Bedarf von 10h pro Woche (= 1/4 der Arbeitszeit) macht das 500€ Woche. Bei 40 Arbeitswochen ergibt das 40 x 500 € = 20.000 € pro Jahr! Macht, umgerechnet auf die verbliebene Zeit bis zur Rente 30 x 20.000€ = 601.000 € - wegen der Kosten für das Erlernen der DGS! Oder 10 bilaterale CI-Versorgungen!
Um er klar zu sagen: Ich halte nichts von solchen Rechnungen! Und es mag auch sein, dass meine falsch ist!
Mir ist klar, dass den meisten meine Antworten nicht gefallen werden. Ich habe manche auch etwas überspitzt und vor allem auf die Situation spätertaubter Menschen bezogen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man die Debatte weniger ideologisch und mit Scheuklappen behaftet führen würde und dafür mehr auf die individuellen Belange des einzelnen Rücksicht nehmen würde.