Sorry, für die späte Antwort ... aber es rasen die Zeiger der Uhr im Sauseschritt.
@Bengie: Die Debatte ist etwas mühsam, weil Du recht selektiv liest. Du behauptest:
Zitat:
du bist also doch für Wertrelativismus der Taubheit und des Gehörs??
... und ich überlege jetzt die ganze Zeit, wo ich etwas in der Art geschrieben habe. Meine Anmerkung
in diesem Posting (Versuch einer alternativen Theorie der Diskriminierung) umfasst einen Absatz zum Thema "Werterelativismus". Die dort gemachten Anmerkungen sind nach wie vor gültig (zumal keiner bislang darauf eingegangen ist).
Im weiteren Verlauf der Diskussion schrieb ich dann in
diesem Beitrag (Selbstzitate sind zwar doof, aber momentan unumgänglich):
Zitat:
@Bengie: Haben Pyros und ich jemals behauptet, Gehör und Lautsprache sollten höher bewertet werden als Taubheit und Gebärdensprache? Das alte Problem: Jeder Kritiker Eurer schönen Theorie ist gleich gegen die Gebärdensprache. Dass ich Taubheit nicht prickelnd finde ist bekannt (für Pyros kann und will ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen) und auf Grund meiner Biographie verständlich. Das nicht zu akzeptieren spricht nur für Deine eigene Intoleranz und gegen den von Dir propagierten Werterelativismus.
Damit meinte ich, dass der von Dir propagierte Werterelativsmus meines Erachtens auch beinhalten sollte - wenn man konsequent ist - dass andere Werte eben auch "relativiert" werden, z.B. der Wert der Taubheit.
Von Interesse ist vielleicht noch, sich das häufiger anzutreffende "Argument", es gäbe auch taube Tiere, mal näher zu betrachten:
- Meist ist das sachlich nicht richtig - siehe die Schlange von Berenice!
- Das Argument ähnelt der Behauptung, dass Taubheit natürlich sei. Daher gilt das, was ich zu diesem Thema bereits in anderen Beiträgen schrieb, auch für dieses Argument.
- Der Vergleich rumpelt wie ein Trecker mit quadratischen Rädern! Nehmen wir an, eine bestimmte Tierart könnte wirklich nicht hören! Dann sind von 1000 Individuen dieser Art 1000 taub! Beim Mensch ist es aber so, dass von 1000 Individuen 999 hören können und nur eines ist taub. Man kann sich auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln: Es ist normal, dass der Mensch hören kann. Aus diesem Grund hielte ich persönlich es für wichtig, sich über den Begriff "normal", bzw. über das Begriffspaar "normal" - "unnormal" mal zu unterhalten, mal nachzudenken. Einige Denkanstöße, Thesen, Fragen habe ich weiter oben bereits gegegeben.
- Was soll eigentlich mit diesem Argument erklärt werden? Eigentlich gar nichts! Es soll etwas suggeriert, vorgegaukelt werden. Nämlich das "Taubheit" normal sei! Auf der anderen Seite wird immer dagegen vorgegangen, dass die "audistische" Welt, die Gehörlosen einer Norm anpassen wollten.
Man hat also die Situation, dass Gehörlose sich gegen eine Normierung wehren. Auf der anderen Seite wollen sie Taubheit aber als normal darstellen. Finde ich persönlich kurios - wasch mich, aber mach mich nicht nass!
Bengie, Du behauptest in Deinem Beitrag vom 20.1.2008:
Zitat:
Man kann wirklich davon sprechen, dass Spätis beide Welten kennen, nur wenn sie die Gebärdensprache beherrschen, sich mit allen Tauben verständigen können, über Witze in Gebärdensprache lachen können und die oralistische und audistische Unterdrückung in der Schule miterlebt haben.
Mal abgesehen davon, dass Deine Einschränkung nicht nachvollziehbar ist oder nur dann, wenn Du Dich auf "
sozilogische Taubheit" beschränkst, heißt das umgekehrt doch, dass Gehörlose nicht die Welt der Hörenden beurteilen können! Wie soll dann der Wert der Hörens beurteilt werden? Kann ich den Wert eines Gemäldes beurteilen, wenn ich es nicht gesehen habe? Das zeigt meines Erachtens noch einmal, dass der Begriff des "Werterelativismus" auf dem die "Theorie des Audismus" zentral aufbaut, ein völlig unklares und unhaltbares Konzept ist.
Dann schreibst Du noch
Zitat:
Spätis beherrschen das Lautsprechen, können daher mit vielen Hörenden kommunizieren und erleben nie Situationen, wie sie aufgrund der schlechten Lautsprechfähigkeit diskriminieren und benachteiligt werden.
Aus diversen Gesprächen mit anderen Spätertaubten weiß ich aber, dass das eben so nicht stimmt. Auf Grund der mangelnden Kontrollmöglichkeiten der eigenen Stimme besteht bei vielen Spätertaubten die Gefahr, dass die Laut-Sprache mit der Zeit verwischt, undeutlich wird, die Melodik und Prosodie einbüßt etc. pp. Es bedarf schon der (Selbst-)Diszplin und ständigen Kontrolle und Korrektur durch das Umfeld, um da keine Einbußen hinzunehmen. Somit besteht auch die Gefahr, dass man da in einen Teufelskreis hineingerät: Weil die Kommunikation erschwert ist, zieht man sich zurück, wird hinsichtlich der Aussprache nicht mehr korrigiert -> die Sprache wird undeutlich -> man hat noch weniger Kontakte -> noch weniger Korrektur -> usw. usf. Hinzu kommt - auch schon mehr mal erwähnt - dass die Kommunikation für Spätertaubte eben einseitig ist.
Wie gesagt, dass muss nicht für alle Spätertaubten gelten. Ohnehin ist die Gruppe der Spätertaubten meiner Erfahrung nach recht heterogen.
Du schreibst dann weiter:
Zitat:
Dirksen Bauman hat mit den Leuten gesprochen. Da ich ihn sehr schätze, vertraue ich seine Aussage. Ich kenne einige Spätis, die der Gebärdensprache sehr mächtig sind, und werde sie mal nachfragen.
Dazu möchte ich zunächst bemerken, dass ich solchen Informationen aus dritter Hand doch etwas skeptisch gegenüber wäre. Desweiteren möchte ich noch mal auf die Heterogenität der Gruppe der Spätertaubten hinweisen. Schließlich wäre es doch auch mal interessant sich mit solchen Spätis zu unterhalten, die die DGS vielleicht gar nicht oder zumindest nicht soo gut können. Dafür gibt es ja vielfältig Gründe - wie oben schon erläutert. Spätis, die die Gebärdensprache perfekt beherrschen, werden auch in der Gehörlosen-Szene sehr stark assimiliert sein. Du wirst da also nicht viel neues erfahren können, was nicht ohnehin zum "common sense" der Szene gehört - behaupte ich jetzt mal ganz frech. Sprich doch mal mit jenen Leuten, die eben nicht in dieser Szene assimiliert sind und frage sie nach den Gründen, ihren Gefühlen etc. pp.
Später schreibst Du:
Zitat:
Bauman sagte auch, dass die Definition des Phonozentrismus gar nichts über die Taubheit sagt und es sehr bedauern. Trotzdem passen Phonozentrismus und Audismus einfach gut zusammen.
Sorry - das ist das Pippilang-Strumpf-Prinzip: "
Ich mach mir die Welt (in diesem Falle die Gedankenwelt Derridas) wie sie mir gefällt.". Gleiches gilt für das "Zitat" (Quelle? - Problem ist übrigens: Derrida wird als Franzose französisch geschrieben haben. Das Zitat - so es von Derrida stammt - wurde nun also vom Französischen ins Englische und dann von Dir ins Deutsche übersetzt), dass Du kurz zuvor bringst. Auch dieses kann ich anders interpretieren, so dass es dann gar nicht mehr audistisch ist. Der springende Punkt ist die Frage, wie ein Autor, ein Philosoph den Begriff "Sprache" versteht.
Zum Schluß noch Deine Frage:
Zitat:
Was hast du dann gegen Audismus?
Das habe ich - meines Erachtens - in
diesem Posting (Versuch einer alternativen Theorie der Diskriminierung) dargestellt. Sollte ich mich unklar ausgedrückt haben oder etwas nicht verstanden worden sein - man kann gerne nachfragen. Ansonsten ist dort eigentlich alles wesentliche geschrieben worden.
Einen Punkt kommt nun noch hinzu, auf Grund eines Postings von Hartmut. Er schrieb:
Zitat:
In meiner Definition von Audismus kann eine unbewusste Aeusserung audistisch und ethnozentrisch sein. Die Aeusserung ist geboren aus einer bestimmten Annahme ueber das Primat von Deutsch als Muttersprache.
... und liefert - wieder einmal - ein anschauliches Beispiel, wie verquirrlt das ganze ist. Es mag ja Menschen geben, die erst wissen, was sie denken, wenn sie hören/sehen, was sie sagen/gebärden/schreiben - Hartmut scheint dazu zu gehören. Die Regel ist das aber eigentlich dann doch nicht und so frage ich mich, wie eine "unbewusste Äußerung" zu Stande kommen mag - sieht man von gewissen Lautäußerungen im Zusammenhang mit den dirvesen Verdauungsvorgängen einmal ab. Völlig verquer wird es, wenn man noch den zweiten Satz hinzu nimmt: Wie sollen "Annahmen" über irgendetwas "unbewusst" sein.
In all den Debatten hier, gab es eine Definition, mit der ich persönlich leben könnte. In ihr hieß es, dass Audismus beinhalte, dass ein Mensch sich anderen überlegen fühle, weil er hören, laufen, reden, sehen oder was weiß ich kann. Es mag solche Menschen geben - ich halte sie jedoch für eine ziemlich unbedeutende Minderheit, die keineswegs zu erklären vermag, warum Hörbehinderte bzw. Behinderte allgemein immer noch und immer wieder mit Benachteiligungen zu kämpfen haben.
Bezeichnend in diesem Zusammenhang finde ich übrigens noch, dass sich "Euer Guru" aus Boston hier gar nicht mehr äußert sondern stattdessen dazu übergegangen zu sein scheint, seine Ideen via Wikipedia unters Volk zu bringen.
Pnin