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Virtuelles Kommunikationsforum für Gebärdensprachnutzer
Aktuelle Zeit: 27.12.2024, 23:46:10





 "Audismus" - Pro und Contra


Spitzenmitglied



offline
Hallo Ihr alle!

Bisher haben wir diskutieren, was Audismus ist.
Ich hoffe, dass jetzt viele verstehen, was der Be-
griff Audismus ist. Ich habe aber nicht den Ein-
druck: z.B. Audismus.de!

Hier möchte ich eine "Diskussion" eröffnen, wo
wir alle erstmal einzeln (!) eigene Meinung dazu
sagen, ob der Begriff Audismus gut und sinnvoll
für die Taubengemeinschaft ist, oder nicht. Soll
der Begriff Audismus überall, im Wörterbuch so-
wie bei Hörenden, verbreitet werden, oder ab-
geschafft werden? Ist Audismus schädlich für
unsere Gemeinschaft?

Ja und Nein reichen nicht. Ausführliche und klare
Begründung sind erwünscht. Jeder kann an eigene
Begründung nachträglich ändern sowie umschrei-
ben. Und bitte KEINE Kommentaren zu anderen
Begründungen.

Warum ich solche "Diskussion" eröffne? Bei ande-
ren Themen konnte ich als Befürworter des Audis-
musbegriffes nicht feststellen, warum man dage-
gen ist.

Meine eigene Meinung werde ich in kommenden
Tagen darlegen!



gehörlosenfreak
gehörlosenfreak



offline
servus bengie,
hier mein Beitrag.

PRO Audismus
==================
Tatsache ist im Leben allgegenwärtig, dass hören das absolute Medium zur Menschsein
ist. Ohne Hören ist das meiste Dingen die ich z.B. in GEO-MAGAZIN lese nicht möglich,
zumindest aus der Sicht der Hörenden. Man braucht für alle wissenschaftlichen Dingen
das Hören um kommunikativ ein Reportage erstellen zu können. Das gilt auch fürs
Fotografieren, nämlich dessen (Selbst)Studium um als professionelle Fotograf zu
etabilieren können.
Für die meisten Menschen, die einmal GEO-Magazin zur Hand bekommen haben, und
zugleich die Frage haben, ob es möglich sei, dieses Magazin in so einer Qualität zu
aufzubauen, als wäre man gehörlos, wäre die Antwort "unmöglich".
Schlicht "unmöglich". Sanft ausgedrückt, gar lyrisch empfunden, bestimmt überzeugt.
unmöglich.

Nur ein Beispiel von vielen. Ich bin gehörlos, ich wage zu behaupten, dass es immer
noch sehr viele Menschen gibt, die denken, wenn man nicht hören würde, wäre es
schlicht unmöglich, genauso zu etabilieren wie man Situationen aus den Medien (TV)
kennen würde. Wer das verneint, leugnet den Realität. Selbst wenn tauben Menschen es
zustimmen, die meinen, mit dem hören wäre die Welt für sie genauso in "Ordnung" wi es
für ein Hörender selbstverständlich sei.

Tatsache auf anderer Seite die ich kenne, nämlich ein Leben voller Stille, ich spüre
nur meinen Körper, ich empfinde nur meinen Körper durch Fühlen und Sehen, alle
Emotionen, alle psychologische Handlungen basieren auf diese Sinne (neben Tasten,
schmecken und Riechen) ist für mich das natürlichste auf der Welt.
Trotzdem bin ich tagtäglich mit Situationen konfrontiert, die einerseits zu
natürlichen Zustand der hörende Welt gehört, andererseits so entwickelt ist, dass es
nur für sie bestimt ist (vor allen aus wirtschaftlichen Gründen = GELD), werde ich
diskriminiert.

Manche Sachen gehören einfach zum Leben eines Gehörlosen, z.B. das ein Zugdurchsage
nicht hört (es gibt gl, die meinen das sei diskriminierend), und manche Sachen ist
aus der Sicht des Hörenden - weil sie nichts anders kennen - natürlich und trotzdem
diskriminierend.
Diese Diskriminierung nenne ich audistisch. Audismus ist eine Form von
Diskriminierung. Dazu gehört "harmlose, natürliche Audismus", die ich selbst in
meiner hörende Familie empfinde, nämlich nichts zu verstehen und Aussenseiter zu
sein. Diese Vorzubeugen wäre zum Beispiel eine DolmetscherIn einzubeziehen, oder eine
Situation zu ermöglichen dass einer der Familie sich mit dem Gehörlosen beschäftigt.
Als Kind z.B. im Kinderzimmer zusammen spielen. Als Erwachsene eine Zeitschrift
zeigen und mit ihm darüber unterhalten.
Andererseits muss dem Gehörklosen bewusst sein, wenn er trotzdem beider
Familientreffen dabei sein will und kaum etwas versteht, dass es halt zu seinem Leben
gehört. Das wird immer noch sehr wenig zur kenntnis genommen. (Vielmehr denkt man:
"Wäre man hörend, wäre das Problem nicht...")

Aus allen genannten Gründen bin ich der Meinung Begriff "Audismus" hat seine
Notwendigkeit!
Es wird derzeit manchmal falsch verwendet, nämlich dass z.B. im Schlimmsten Fall
einer nicht gebärden kann obwohl ein Zusammenhang mit Gehörlosen gibt. Das wäre für
mich nicht audistisch sondern Unwissenheit. Einer der nie einen Schwarzen gesehen hat
und da angewurzelt auf einen Schwarzen starrt, ist lange noch nicht rassistisch! Nur
kapiert es scheinbar bei der komplexen Begriffsprozess der Menschen nicht gleich!

CONTRA
==================
Gegen den Begriff "Audismus" selbst schreibt bei mir nichts. Aber die Entwicklung
diesen Begriff zu gebrauchen schon. Das heisst, man müsste noch arbeiten um den
"Contra" des Begriffs "Audismus" abzubauen.
Nämlich dass in eigenen Reihen der Menschen, die nicht hören können,
entweder ein Traum zum absoluten Natürlichkeit "wenn sie hörend wären"
oder sie aufgrund Spätertaubung, das Hören im Hinterkopf als immer noch
beste Lösung gern hätten, lernen dass kein Weg mehr an der
Gehörlosigkeit vobei geht. Und das ihnen die Wege gezeigt werden kann,
dass auch ohne Hören vieles Möglich ist. Und vor allem dass es zum Leben
eines Nicht- bzw. wenighörender gehört, abstriche zu machen, die einem
Hörenden voll möglich wäre.

Wenn diese Menschen, die "Hörverlust" haben, lernen können mit ihrer
Zustand des Nicht- bzw. Wenighören zurecht komen können, würden sie
auch besser für ihre Rechte kämpfen.

Das ist DERZEIT meines Erachtens nach wenig der Fall. Vielmehr hat man
Schwerbehindertenausweis, fühlt sich in Mitleid wohler, nennt sich lieber
Taubstumm als gehörlos oder gar taub, um sozial und auch wirtschaftlich
durch die Hilfslosigkeit bessere Ausgang zu erreichen.

Dadurch erhält der Begriff "Audismus" einen negativen Beigeschmack,
nämlich dass er "stört" bei der optimalen Lösung - sozial und auch
wirtschaftlich gesehen -
Selbständigkeit ist der Garaus ( http://derstandard.at/?url=/?id=2040174 )
unter Gehörlosen und taube Menschen in der dutschsprachigen Raum.
Wer es leugnet: Siehe die Rundgebührenbefreiung, soziale Vorteile durch
Benachteiligtenausgleich, status eines Behinderten nicht hören zu können
erreicht durch Frust, Sehnen nach Hören usw. bessere Position, als
Gehörlose und taube Menschen die selbstbewusst sind.
Letztere ist eigentlich ein PRO für Audisnmus.

Aber es ist die Entwicklung in der deutschsprachige Raum die zu Ungunsten
der Audismus kommt. Würde sich die "Betagten" auf Lösungen schlagen,
sich durch die Diskrimminierung "Audismus" nichts gefallen zu lassen,
stünden sie vielmehr auf schwere Wege als wenn sie diese Vermeiden.
So brutal diese Sicht ist, ...es ist die Realität. Nicht nur bei taube Menschn
bzw. Gehörlosen ist das so, sondern auch bei Hörenden.

Es müsste sich von beide Seiten durchkämpfen: Die taube Menschen
bzw. gehörlosen sich selbstbewusster, selbstbestimmter machen, als auch
die Hörenden die ihnen Fähigkeiten, Recht auf Leben ohne Hören zutrauen,
entwickeln.



Audismus ist in jeder Form allgegenwärtig. So sehr ich die Stille liebe,
so sehr fühle ich mich alleine mit der Gehörlosigkeit.
Sowohl von Hörenden als auch die meisten taube Menschen als auch Gehörlosen.
Stürbe ich, würde ich derjenigen der mich das Dasein ermöglichte,
meinen Dank des Lebens aussprechen, dass ich als taube Mensch auf der Welt meinen Dasein lebte.

tschu'ug lang blabla, gebärden wär besser...
deafmax


---
Ich bin taub, ergo bin ich.



Spitzenmitglied



offline
Deafmax,
klar, die alltäglichen Schwierigkeiten der Gl mit Hörenden
sind Tatsache.
Manches was Gl mit Hörenden erleben ist diskriminierend, manches
nur Unwissen oder Gleichgültigkeit.
Diskriminierung ist dafür nicht immer ein passendes Wort.
Nehmen wir also dafür das neue Wort Audismus .
Ist damit alles klar? Oder brauchen wir dann nach kurzer Zeit
wieder neue Unterwörter? (Es gibt ja verschiedenen Arten von
Problemen Gehörloser mit den Hörenden).
Am Verhalten der Hörenden ändert sich nichts, wenn wir dafür
ein neues Wort verwenden, das bei Hörenden unbekannt ist.

Was Du allgemein über Selbstbewusstsein und Deine persönliche
Einstellung zur Taubheit schreibst, ist interessant.
Es hat aber nichts mit der sachlichen Frage zu tun, wozu das
Wort Audismus letztlich gut ist?
Und wie soll dieses neue Wort die allgemeine Situation Gehörloser in
der hörenden Welt verbessern?

Dein Vorwurf, die deutschsprachigen Gehörlosen machen mit
dem Schwerbehindertenausweis auf Mitleid und die Älteren
sind konservativ gegen Fortschritt, ist sehr unsachlich!
Die alten Gehörlosen mussten in ihrer Jugend in einer
mitleidlosen hörenden Umwelt leben und arbeiten.
Es gab damals keine Hilfen wie sie heute für die Jungen
Selbstverständlich sind.
Schwerbehindertenausweis hatten die Gl damals nicht.
Beispiel für die Situation der Gl damals:
Der hörende Meister mit Beinprothese hatte so einen schweren
Ausweis. Die zehn Gehörlosen, die unter diesem Meister am
Fliessband in drei Schichten arbeiteten, bekamen so einen Ausweis
nicht. Dieser Meister fand das sehr ungerecht und hat damals
mitgekämpft, damit Gehörlose endlich auch als Schwerbehinderte
anerkannt wurden.

Heute lästern junge Deafys über den schweren Ausweis der Deutschen Gl.
Der Behindertenpass in Ösiland ist doch genau dasselbe, hat nur
ein sprachlich schöneres Wort.

Wir sollten hier in Europa gut aufpassen vor amerikanischen Zuständen:
Eine kleine Elite von „Berufsdeafys“ hat dort schöne Jobs im Staatsdienst
und an Unis und die Masse der übrigen Deafys malocht ohne soziale
Sicherung und anständige Urlaubsregelung in schlecht bezahlten Jobs!



gehörlosenfreak
gehörlosenfreak



offline
@Charly.

Antwort für erster Absatz: Alles braucht seine Zeit.

Zweiter Absatz: Ich habe nicht das Gefühl, es ist selbstverständlich GL zu leben wie ich es sehe. Ich bin kein Beispiel (mehr).
Solange es keine Lösung gibt, allen Versprechen der Ärzte und Bioniker 90% zu glauben und diese auch in der Praxis umsetzbar ist, dass man wieder hören kann, kann man ruhig Wege suchen, Barrieren, Hürden usw. Abzubauen.
Den Begriff "Audismus" nicht zu befürworten hinterlässt eindeutig spuren doch noch irgendwie annäherend (usw.) dem Hören "ranzukommen". Ich nicht.

Dritter Absatz: Wäre die Evolution bloss nicht! Was bildete sich die Evolution ein, Lebewesen "Mensch" zu ermöglichen? Die sind reinster Parsiten, Monstern der Erde!
Sind wir dran schuld? Nein.
Wir entwickeln und verändern uns. Dass Ältere vorwiegend konventionelles denkweise haben ist vielleicht natürlich bedingt (Müdigkeit, Nachtragend usw.) - Ist nicht negativ gemeint. Aber oft wird dieses Verhalten der Grund warum es zu Spannungen zwischen Jugend und Älteren kommt, aber hat vielleicht auch seine Notwendigkeit. Nach Zusammenraufen kommt meistens gutes Ergebnis :) Schlecht ist wenn man auf Stur schaltet und nicht kompromissbereit ist.

Mir geht es nicht ums Stück Papier, der eine Schwerstbehinderung bescheinigt, sondern dass man nicht die Mut zur Veränderung hat, Pochen aufs Recht - so zu leben wie Hörenden, Mut zur Selbstbestimmung haben, Überzeugung zu haben dass man Gehörlos ein normaler, vollkommener Mensch ist.
Dieses Stück Papier die wir haben, ermöglicht keine große Schritten, weil sie billiger ist (geringe Sozialleistungen an Gl zahlen ist bequemer und billiger, als das Leben in der Öffentlichkeit für ALLE zu adaptieren: Untertitel, Dolmi zu jeder Zeit, Schule mit Gebärdensprache)
Das Stück Papier nimmt die Chance wirklich zu kämpfen. Weshalb Änderungswilligen dann auch immer auf Amerika schielen. Ich nicht!

Ansonsten kann ich nichts weiter sagen, Audismus ist allgegenwärtig, auch im eigenen Kopf wenn man nicht hört. So ist das Leben.

deafmax


---
Ich bin taub, ergo bin ich.



Spitzenmitglied



offline
Deafmax, ich stimme Dir zu, das die Gl daran arbeiten sollen,
Barrieren abzubauen und für bessere Lebensqualität aller Gl
kämpfen.
Ich verstehe nur nicht, wie das Wort Audismus dabei helfen soll?

Ich sehe das "schwere stück Papier" auch nicht als gute Lösung.
Abgesehen von der Freifahrt im Nahverkehr ist es für die meisten
Gl nicht viel wert. Solange es keine vollständige Barrierefreiheit
und Chancengleichheit für alle Gl gibt, dürfen wir nicht die
Abschaffung dieses Stück Papier provozieren!
Die Freifahrt ist für die meisten weit verstreut wohnenden Gl
sozial gerecht! Die Hörenden haben alles in naher Umgebung
ihrer Wohnung und der Staat finanziert eine Vielzahl von
Einrichtungen für die Hörenden. Darum ist es n ur ein ganz kleines
Stück soziale gerechtigkeit, das die Gl Freifahrt haben.

Grundsätzlich wäre mir das Skandinavische System eines
ordentlichen finanziellen Nachteilsausgleich lieber als der
schwere Ausweis.

Stimmt, viele Gl haben keine Lust zu Veränderungen und sind
nicht sehr mutig im Leben.
Das gilt aber quer durch alle Altersgruppen.




 "Audismus" - Pro und Contra





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