GL-C@FE.de

Virtuelles Kommunikationsforum für Gebärdensprachnutzer
Aktuelle Zeit: 16.04.2024, 10:57:57





 Ethnische Minderheit?!


Spitzenmitglied



offline
Was denkt ihr über die Aussage, dass Tauben (oder Gehörlosen) keine Behinderten
sind, sondern die Menschen einer ethnischen Minderheit sind. Oder gar beiden zu-
sammen (Behinderung und Ethnische Minderheit)!?

Harlan Lane ist die Meinung, dass wir nicht Behinderten sind, sondern die Menschen
einer ethnischen Minderheit sind!

Der Schwedische Gehörlosenbund kämpft sogar um die Anerkennung der Tauben-
gemeinschaft (oder Gehörlosengemeinschaft) als ethnische Minderheit.

    In Deutschland etwa fallen Nordfriesisch, Saterfriesisch, Dänisch, Sorbisch und Romani unter die Definition
    einer Minderheitensprache. Regionalsprache ist beispielsweise Plattdeutsch, das seit 1994 zusätzlich als
    Minderheitensprache anerkannt ist. Ein Kuriosum stellt die Sprache Plautdietsch dar, da sie einerseits
    eine Varietät des Niederdeutschen ist, andererseits aber keine Regionalsprache ist.

    Unter den Minderheitensprachen nimmt die Gebärdensprache, die in der Schweiz und
    Österreich offiziellen Status geniesst, eine Sonderstellung ein: Sie ist keiner ethnischen
    Minderheit zuzurechnen, sondern einer Gruppe, die unter den Status der Behinderung
    fällt. Dessen ungeachtet aber bilden sie eine eigenständige Bevölkerungsgruppe mit
    identitätsstiftender sprachlicher Tradition und Kultur.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Minderheitensprache
Ich frage mich, wieso nicht die Deutsche Gebärdensprache in Deutschland offi-
ziellen Status "geniesst"? Habe ich da was verpasst?



Mitglied



offline
Eine gute Frage enthält eine klare Fragestellung,
alle für die Beantwortung... [smile]

Hier könnt ihr es lesen:

http://www.unaufgefordert.de/content/view/965/8/


[wink]


Due giovani soddisfare ogni altro, entrambi hanno vissuto la stessa:
la morte del suo grande amore...



Spitzenmitglied



offline
Bengie hat eine gute Frage gestellt.
Schon vor vielen Jahren wurde in Foren diskutiert,
ob Gehörlose behindert sind oder eine sprachliche Minderheit.
Der ehemalige Präsident des Deutschen Gl-Bundes , Ulrich Haase,
hat damals eine gute Antwort gegeben: Beides.
Einige sehr selbstbewusste Gl sind dagegen, das Gl als
Behinderte angesehen werden.
Aber was soll dann für die Mehrheit der Gl besser werden, wenn sie den
Behindertenpass (Ösiland) oder "SchwerenAusweis" (Deutschland)
abgeben und dafür offizielle Anerkennung ihrer Gebärdensprache
und Kultur bekommen?
Anerkennung einer Minderheitsprache bedeutet NICHT:
Die Arbeitgeber müssen den Angehörigen der Minderheiten
einen Dolmetscher an den Arbeitsplatz stellen!
Es ist ein grundsätzlicher Irrtum, wenn man glaubt:
RECHT haben bedeutet, die anderen haben daraus eine PFLICHT!
Kein Angehöriger einer "ethnischen Minderheit" bekommt das Recht
Abitur und Studium in seiner Sprache zu machen und dafür einen
Dolmetscher vom Staat bezahlt bekommen!
Der grosse Unterschied zwischen HÖRENDEN ethnischen Minderheiten
und Gehörlosen ist:
Hörende Roma, Plattdeutsche usw können das für
Abi und Studium notwendige hochdeutsch lernen.
Taube Menschen können NICHT einfach hören lernen.
(Auch wenn manche unbelehrbare Hörpäds immer wieder von
"Förderung des Restgehör etc" labern).

Ein Hörender Plattdeutscher oder Roma etc hat die freie Wahl
jede Lautsprache zu lernen.
Gehörlose haben keine so einfache Wahl, sie sind auf Gebärdensprache
angewiesen.
Darum sind Gehörlose beides: ethnische Minderheit UND Behinderte
in der hörenden Welt.



Spitzenmitglied



offline
Gaaaaaanz einfach: Taubstummensprachgemeinschaft! [british]


BOOOOOOOOORN TOOOOOOOOO SIGN!!!!!!!!



Mitglied



offline
...für mich stellt sich die Frage nicht, ob wir eine sind, sondern wir sind längst eine !
Die Abstempelung GL zur Behinderten sei eine echt traurige Tatsache, obwohl wir eine aufstrebende Kultur, eine eigene Sprache in der Anfangsphase und eine auf Selbstbewußtsein strebende soziale Stellung besitzen. Auf den SBA zu verzichten ist auch eine Frage des Nachteilsausgleichs und der Finanzierbarkeit , um unsere weitverstreuten Freunde und Kommunikationsgenossen treffen zu können. Um unsere Kultur zu pflegen und zu hegen, benötigen wir einen finanziellen Nachteilsausgleich...hm das nennt sich heute Schwerbehinderten-Ausweis mit Wertmarke. Gut so... uns stört es wohl nicht? Aber wir gehören von Amts wegen einer Behindertengruppe an...hm naja... oder ?
Ich denke, wenn die Hörenden , also die Majorität in unserer Gesellschaft , mit uns GL konfrontiert werden, d.h. sie stehen plötzlich vor einem gl Menschen, der auf die tauben Ohren hinweist und sie entschuldigen sich mit den Worten:" Es tut mir leid,ich kann die Gebärdensprache leider nicht." Das wäre ein großer Fortschritt...und wenn es sich schnell verbreitet, dann können wir anfangen, ernsthaft über unsere ethnische Minderheit diskutieren....bzw. sie in die Politik einbringen.
Wir können zur Zeit auf zwei Hochzeiten tanzen : Alle Behinderten-Vergünstigungen bis ins Äusserste ausnutzen und gleichzeitig voller Stolz proklamieren, dass wir eine eigene Kultur mit allen Spektren haben. Kann dies auf Dauer gut gehen? Sehen wir Widersprüche?

Heute haben zahlenmäßig recht viele GL /SH/ ERTB berufliche und soziale Spitzenpositionen erreichen können...mit Hilfe von Dolmis und aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur hörbehinderten-gerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen....hm - Zufriedenheit macht sich breit - leider nur bei den gescheitesten und begabtesten GL - und die Frage lautet : haben nur die Wenigen Erfolg und können auf zwei Hochzeiten problemlos tanzen ?
Und was ist mit der Mehrheit innerhalb unserer GL-Gemeinschaft? Wir sollten sie nicht außer acht lassen...denn mehr als 70% , so glaube ich, wollen lieber den Behinderten-Status beibehalten.

Zur endgültigen Zugehörigkeit einer ethnischen Gruppe benötigen wir wohl noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit oder eine veränderte DGB- Verbandspolitik.

Au Revoir


Raus aus dem Schattendasein - Chancen suchen und sie nutzen !



Mitglied



offline
Hier ein pragmatischer Ansatz der WHO.
Die WHO versucht eine internationale Klassifizierung der Termina "Behinderung" und "Krankheit" und nennt das "ICF"(=International Classification of Functioning, Disability and Health)
Das Credo hier ist (Zitat aus http://www.who.int/classifications/icf/ ... ers/bg.pdf) :

Zitat:
ICF puts the notions of ‘health’ and ‘disability’ in a new light. It acknowledges
that every human being can experience a decrement in health and thereby
experience some disability. This is not something that happens to only a minority
of humanity. ICF thus ‘mainstreams’ the experience of disability and recognises
it as a universal human experience. By shifting the focus from cause to impact it
places all health conditions on an equal footing allowing them to be compared
using a common metric – the ruler of health and disability.


Gerade der letzte Satz kann für uns besonders interessant sein, drückt er doch aus das der Schwerpunkt der Klassifizierung nicht mehr in der (physischen) Ursache zu suchen ist sondern vielmehr in dem Einfluß derselben auf die Persönlichkeitsentfaltung und soziale Teilhabe. Dies macht eine viel individuellere Einstufung möglich, denn jeder reagiert auf körperliche Einschränkungen anders.
Außerdem unterstreicht der Ansatz der WHO das quasi jeder Mensch unter Einschränkungen zu leiden hat die ihn, in welcher Form auch immer, gegenüber anderen behindert erscheinen lassen. Umgekehrt diese anderen aber ebenfalls behindert sein können wenn es um andere Dinge geht. Hiermit wird versucht den Terminus "Behinderung" der oft als Abwertung mißverstanden wird zu entschärfen und eine allgemeinere Form der individuellen Einschränkungen zu finden von dem praktisch alle Menschen betroffen sind.

Late


Anyway the wind blows...



Mitglied



offline
...vielen Dank Late ...für die wertvollen Anregungen. Damit kann der Deutsche Gehörlosen Bund die Möglichkeit erhalten, sich zu positionieren, in welche Richtung er sich bewegen möchte oder will.
WHO gibt uns jedoch die freie Hand, mit dem Begriff "Behinderung" auseinanderzusetzen. Wir sollten mit dem negativen Begriff wie Behinderung oder Schädigung anders umgehen...hm?

Harlan Lane meinte schon vor Jahren - wir sollten uns Abkoppeln von den Menschen mit Behinderungen - und wir sollten anfangen, diese Argumentation zu Herzen nehmen...es liegt allein an uns...welche große Verantwortung wir in uns tragen. Ich denke, wir sollten das wagen...

Au Revoir


Raus aus dem Schattendasein - Chancen suchen und sie nutzen !



Mitglied



offline
Zitat:
Harlan Lane meinte schon vor Jahren - wir sollten uns Abkoppeln von den Menschen mit Behinderungen


Die WHO meinte eher ganz was anders, nicht "abkoppeln" sondern vielmehr *akzeptieren* das nahezu jeder Mensch individuellen Einschränkungen unterliegt. Es gibt keinen perfekten Menschen!
Das Wort "abkoppeln" zeigt IMO in genau die falsche Richtung.
Das Wort Behinderung wird doch nicht dadurch entschärft das man sich selbst partout nicht zu den Behinderten zählen möchte (=Abkoppeln) sondern dadurch das man individuelle Behinderunegn oder Einschränkungen als gegeben und normal hinnimmt und zwar universal von der Natur bestimmt. Die Behinderung/Einschränkung als indviduelles Charakterisierungsmerkmal für *jeden Menschen* möglicherweise nicht automatisch gekoppelt an physische Defekte ( Letzteres KANN die Behinderung verstärken , muß es aber nicht.) Das war das Ziel der WHO.

Late


Anyway the wind blows...



Mitglied



offline
@ late ...du denkst hauptsächlich an die Richtlinien, die WHO herausgegeben hätte..hm in englischer Version. Gibt es eine deutsche Version? Die Schwierigkeiten, eine für alle Länder der Welt geltende Richtlinie zur Frage der Zugehörigkeit der Gehörlosengemeinschaft auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, seien größer als ich gedacht habe.

Die Definitionen sind in englischer Version differenzierter und, glaube ich, verständlicher und enthalten wahrscheinlich einen neutralen Charakter. Im Gegensatz zur deutschen Bezeichnung besonders bei den Begriffen Schwerbehinderte, Behinderte oder Hörgeschädigte...naja.

WHO gibt uns Empfehlungen, keine Anweisungen. Wir können in unserem Land anders verfahren und möglicherweise abkoppeln vom Behindertenstatus ohne den Blick auf die Vereinbarungen oder Richtlinien im WHO zu verlieren. Meiner Meinung nach gibt es genügend Wege und Mittel, neue Resourcen zu ermitteln...hm

Au Revoir


Raus aus dem Schattendasein - Chancen suchen und sie nutzen !



Neuling



offline
ich gehe zur zeit in einer hörende berufsschule in neumünster.
ich hatte mal einen referat über minderheiten halten müssen. ich entschied mich, dass gehörlosen zu den minderheiten gehört. (eigentlich sollte ich über zigeuner, sinti & roma, juden, muslimen etc machen, aber das ist meistens bekannt)
ich habe vorgetragen, dass menschen egal welche glauben, herkunft etc hat in einer gesellschaft wie hierzulande, eine minderheit ist.
menschen mit behinderungen also blinde, gehörlose, gehbehinderte etc gehören auch zu der sorte "minderheit", denn sie werden, obwohl sie die gleiche nationalität, sprache und denken haben, oft von ihrer eigenen gesellschaft nicht wahrgenommen. meine klassenkameraden haben leider zu dem beitrag nicht viel gesagt, vielleicht, weil sie dazu nicht viel wissen, wie es ist, wenn man in einer minderheit lebt.

masn sagt, ein "vollständiger normaler" mensch hat 5 sinnesorgane, wenn es einem fehlt, dann ist man gehandicapt spricht behindert. kann man sagen, aber ich denke was kann der mensch dafür und behindert ist aus meiner sicht ein negatives wort. das wird gern als beleidigung verwendet.

eine frage:
sind menschen die auf grund eines schwerwiegenden verletzung, krankheiten behindert. sind menschen die vom geburt aus an ein sinnesorgan verloren haben eine minderheit? darüber sollte man gedanken machen, find ich.

nur weil wir trotz großer technischer vielfalt nicht ausreichend unterstützung erhalten, fühle ich mich(vielleicht ihr auch) oftmals aus der gesellschaft "rausgeboxt", aber ich versuche mich eher als minderheit anzugehören. denn möglichkeiten gibts genug, aber es gibt leider zu wenige die die gleiche behinderung haben ehrgeizigh und gezielt arbeiten.

aber eins kann ich sagen, oft sind es menschen aus der minderheit die rebellieren :D


*Bei einem Kampf kann man verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren*



Neuling



offline
ich schiebe mal dieses thema hoch, ich finde es interessant darüber zu diskutieren [smile]

nur schade, dass wenige etwas beizutragen haben.=(


*Bei einem Kampf kann man verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren*



Mitglied



offline
Zitat:
eine frage:
sind menschen die auf grund eines schwerwiegenden verletzung, krankheiten behindert. sind menschen die vom geburt aus an ein sinnesorgan verloren haben eine minderheit? darüber sollte man gedanken machen, find ich.


Sehs doch pragmatisch! Minderheit bedeutet erstmal das es weniger von der Sorte gibt als normal wäre ;) , und das sie sich unterscheiden von der Masse durch persönliche Merkmale. Auch Menschen mit 2 verschiedenen Augenfarben sind so gesehen eine Minderheit, ohne das sie (wahrscheinlich) darunter zu leiden hätten.

Komplizierter wirds wenn man den sozial philosophischen Aspekt des Wortes Minderheit meint. Also Ausgrenzung durch atypische Merkmale. Wobei "atypisch" hier wieder relativ zur Masse gemeint ist.
Das kann durch Sprache, Glauben oder Zugehörigkeit zu Volksgruppen bedingt sein (Bsp. Sinti und Roma in Deutschland sind eine ethnische Minderheit).

Deine Frage war aber eher Sinnesverlustspezifisch.
Natürlich ist man aus Sicht der Mehrheit eingeschränkt (=behindert) wenn man ein Sinnesorgan weniger hat. Aber man selbst muß sich deswegen nicht befindert *fühlen*.
Allerdings, wenn die "Objektivität" durch "Mehrheit" definiert ist dann könnte man sagen, "Ja, ein Mensch mit einem fehlenden Sinnesorgan ist behindert". Und der Nachsatz wäre dann "....aus Sicht der Mehrheit"

Ist also alles eine Definitionsfrage. Behinderung ist immer relativ. Aus Sicht der GL sind GL nicht unbedingt behindert. Aus Sicht der Hd sind sie's schon eher.

Aber eine Minderheit sind sie in jedem Fall wohl. Jedoch sicher keine ethnische, eher eine sprachliche. Wobei letzteres ja hier zur Debatte stand ursprünglich.

Late


Anyway the wind blows...




 Ethnische Minderheit?!





Suche nach:
Gehe zu:  
cron




Kontakt: info(at)gl-cafe.de

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de