Hans,
Otto F. Kruse hat sicherlich das Wort Gebaerdensprache benutzt, synonym mit 'Zeichensprache'.
Ich las fast alle seine Schriften. Hier sind die Zitaten aus seinen Werken,
die ich bereits in der "Selbstbewusst Werden" Zeitschrift veroeffentlicht habe:
"Die Geberdensprache ist das wahre Rüstzeug des geistigen Lebens des Taubstummen." ["Über Taubstumme ...", 1853, S.183]
"Die Zeichen der Geberdensprache sind keine ersonnene, oder durch Verabredung entstandene, nein, Alles ist ein unmittelbarer Ausdruck der Natur und daher charakteristisch, und allgemein verständlich. Wie der Taubstumme die erhaltenen Eindrücke durch seine Sprache wiedergiebt, so mischt sich ganz unvermerkt das Spiel der Empfindungen und Gefühle in seine Zeichensprache und verleiht eben dadurch derselben den wahren Ausdruck der Gedanken. Ohne im Mindestens um die Zeichen verlegen zu sein, drückt er seinen Schmerz, seine Freude, seinen Zweifel, sein Befremden, seine Bewunderung u.s.w. auf eine natürliche Weise aus, daß der ganze Act der Handlung nicht leicht einem Mißverständnisse unterliege. Dabei ist die Geberde so biegsam, daß ein Jeder sie seiner Individualität, seiner eigenthümlichen Anschauungs- und Denkweise anpassen kann, ohne daß selbst die verschiedenartigsten Ausdrücke für eine und die nemliche Sache unverständlich werden können." ["Über Taubstumme ...", 1853, S.184]
"Übrigens ist die Geberde eine selbstständige, in und für sich begrenzte Sprache, deren reeller Werth nicht nach dem Maßstabe der Wortsprache beurtheilt werden kann. Das Streben, sie der Wortsprache so viel wie möglich zu näheren, oder ihr wenigstens eine derselben analoge, und gewissermaßen dieselbe stellvertretende Form angedeihen zu lassen, verriethe eine gänzliche Unkunde ihrer Natur und ihres Wesens, wäre ein Todtschlag an der Muttersprache des Taubstummen und an seinem geistigen Leben. Man sollte im Gegentheil meinen, daß sie im Grade vollkommen wird, als sie von den Einflüssen der Wortsprache frei gehalten wird, und als man der Natur den völligen, freien Lauf läßt. Am besten kann sie daher von einer Gesellschaft der Taubstummen ausgebildet werden, und die höchste Stufe der Vollkommenheit erreicht sie sicher in denjenigen Instituten, wo sie noch in hohen Ehren gehalten wird." ["Über Taubstumme ...", 1853, S.184 185]
"Die Geberdensprache ist die lebensvollste Darstellung, malet selbst die Empfindungen und Gefühle der Seele aufs Treffendste und kann daher hinreißend werden; sie ist voll Natur und Wahrheit, ist die unmittelbarste Anschauung und kann den Lehrer am besten unterstützen." ["Lehrbuch ...", 1842, S.15].
"Hat man es wohl bedacht, was es heißt, die Geberdensprache vom Unterrichte und vom geistigen Leben des Taubstummen selbst ausschließen? Das hieße doch nicht anders, als ihm den Fittig des Geistes abschneiden, hieße das geistige Leben in sich selbst verkümmern lassen." ["Lehrbuch ...", 1842, S.16].
"Die Geberde ist das Urelement des geistigen Lebens des Taubstummen, an sie schließt sich daher nothwendig jedwede Begriffsentwickelung, und in und mit ihr geht auch das Wort mehr oder weniger auf." ["Lehrbuch ...", 1842, S.15].
"Übrigens muß die Zeichensprache als eine selbstständige Sprache betrachtet werden, welche dazu ihre besondere Eigenthümlichkeiten hat, und daher weniger eine wörtliche Übersetzung verträgt, als die eine Wortsprache die wörtliche Übertragung aus einer anderen verstattet." ["Lehrbuch ...", 1842, S.65].
"Die Geberdensprache ist für Taubstumme eine absolut nothwendige Brücke, um an das jenseitige abgeschiedene Land der Wortsprache gelangen zu können, aber -- man übersehe es auch nicht -- auch nur eine Nothbrücke, welche von den Lehrern der Kinder mit Vorsicht und Behutsamkeit und mit der ganzen Routine eines Fährmannes überschritten werden muß." ["Vermittlung...", S.30]
"Die Geberdensprache ist das wahre Rüstzeug des geistigen Lebens des Taubstummen. ... Die Geberde ist des Taubstummen geistige Heimath, die er selten verläßt, ohne dabei zugleich geistig zu verkümmern." [Ueber Taubstumme,...", S.184, 185]
"Die Geberde ist, weil sie des Taubstummen wahres geistiges Element ist, sein völliges Leben, seine Gesundheit, die Rührigkeit und Geschäftigkeit seines Geistes, seine Gemüthlichkeit, und seine gute Laune. Sie ist seine geistige Heimath, die er selten verläßt, ohne dabei zugleich geistig zu verkümmern. Bände man ihm die Arme und Hände, so gestikulirt er schon im Gedanken damit oder gar mit Füßen." ["Über Taubstumme ...", 1853, S.185]
"Auch schränkt sich der Werth der Geberdensprache nicht auf den ersten, oder den Elementarunterricht ein, sondern dehnt sich über die ganze Schulbildung aus, weil der Unterricht, wenn der Schüler auch endlich des Wortes einigermaßen mächtig geworden ist, doch lange nicht ihrer Vermittelung entbehren könnte. Auch in manchen Fällen, abgesehen davon, daß nicht alle die erforderliche Stufe der Sprachbildung können erreichen, ist und bleibt die Geberdensprache die einzige Nothanker für die Unglücklichen. ["Über Taubstumme ...", 1853, S.185]
"Die Schrift, aber nicht die Lautsprache sei der geistige Hebel des Sprachunterrichts, indem die erstere mehr geeignet sei, das flüchtige Wort zu fixiren, und es dem Taubst. mit seinen mannichfachen Formen, Beziehungen, Verhältnissen, Verbindungen und Veränderungen näher vor die Augen zu führen; nur fleißiges Schreiben und Lesen ersetzen ihm den vielfachen Verkehr, durch welchen das hörendsprechende Kind in das Wesen der Sprache eingeführt wird. Die Zeichen und Lautsprache thun zur Sache weiter nichts, als daß die erstere zur Erklärung der zu entwickelnden Begriffe zu Hülfe kommen müsse, die letztere aber den Uebergang des Denkens in Form der Wortsprache erleichtere und fördere. Die Sprache sei ein Product unmittelbarer Uebung, je reicheren und mannichfacheren Stoff das Leben für die schriftliche Uebung bietet, desto besser gehe die Cultur der Sprache von Statten. Zwar müssen alle Kinder von vornherein sprechen, so weit es ihre Organe zulassen, damit sie sich die Wörter, besonders den orthographischen Bau derselben leichter und fester ins Gedächtniß einprägen können, indeß bedürfe es der sorgfältigeren und fortgehenden Cultur der Lautsprache nur bei denjenigen, welche der Sprache einigermaßen mächtig geworden sind; bei den der Sprache weniger fähigen Subjecten seien Hopfen und Malz verloren."
Toll die Passagen, nicht? Sie sind es wert, auswendig gelernt zu werden!
Da Kruse haeufiger 'Geberdensprache' als 'Zeichensprache' benutzte und
er fuer die Taubstummenlehrerschaft schrieb und er sehr sorgfaeltig mit der Wortwahl war,
muss gefolgert werden, dass das erstere so alt wie das letztere war. Ich kann mich nicht
von dem Begriff 'Taubstummensprache' in seinen Schriften erinnern.
Dieser Begriff musste spaeter entstanden sein, als die Bevoelkerung erst die Gelegenheit bekam,
eine Gruppe tauber Erwachsenen und Kinder zu beobachten, nachdem sie die Schule
fuer taube Kinder besuchten. Vorher lebten taube Menschen nur vereinzelt unter Hoerenden
und benutzten nur Gesten in beschraenktem Umfang mit Hoerenden.
Weiter ist es interessant zu beachten, wie sorgfaeltig Kruse mit den Begriffen
umgeht. Es steht dort kein 'Schriftsprache', sondern er benutzte 'Schrift' und 'Wortsprache', dies bedeutungsgleich mit 'deutscher Sprache', die nicht nur
mit dem Mund sondern auch per Schrift zu verwenden sei. Kaum bekannt heute ist,
wie er das Wort 'Geberde' verwendet hat. Er gebrauchte das Wort auch synonym
fuer 'Zeichen', aber in den zitierten Passagen handelt es sich nicht um einzelne Gebaerde(n),
sondern die Gesamtheit von Gebaerden, bedeutungsgleich mit 'Gebaerdensprache'.
Das Wort ist das manuelle Aequivaelent von 'Sprache' und ist konstruiert
aus dem Verb 'gebaerden' zu Nomen 'das Gebaerden' und zu einem anderen Nomen [i]'die Gebaerde', genauso wie sich das Verb 'sprechen' zu 'das Sprechen' und
zu 'die Sprache' ableitet. Heute bedeutet 'Gebaerde' nur ein einzelnes Zeichen
der Gebaerdensprache.
Hartmut
Zuletzt geändert von Hartmut am 16.02.2006, 18:37:27, insgesamt 2-mal geändert.
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