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 Kann mir jemand erklären ????


Neuling



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Ich selber bin Pädagogin und arbeite nicht mit Gehörlosen !!
Seit kurzem beschäftige ich mich mit dem Thema Gehörlosenkultur, DGS etc...

Eine Sache gibt es die ich nicht verstehe.... Warum arbeiten viele hd. Pädagogen nicht mit DGS sondern lautsprachlich orientiert???
Warum wird bei Stellenanzeigen für GL Schulen als Anforderung für die zukünftigen Mitarbeiter nicht DGS genannt ??

Ich würde dies für mich als
      Grundvoraussetzung
sehen, wenn ich in diesem Bereich als Erzieher etc. arbeiten wöllte ...

Warum setzt sich die DGS im Bildungsbereich nicht durch ?
Ich habe die geschichtliche Erklärung gelsen, gut aber das ist Jahre her... Wie erklärt sich dies im Jahr 2009 ???


Vielen dank [smile]



Moderator & Einstein & "Tante Emma"´09
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Diese Sache so in ein paar Sätzen einleuchtend zu erklären, ist schwierig.

Kurzgefaßt könnte ich es so auf den Nenner bringen:
'Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht.'

Die 'hörende' Welt will uns Gehörlose einfach zum 'angepaßten' Mitbürgern erziehen, weil sie fürchtet, wir könnten ansonsten in der Gesellschaft untergehen.

Pädagogen und Ärzte usw. meinen eben, daß sich sie aufgrund ihres besonderen Status (besonders auf psychologischem Gebiet) am ehesten dazu befähigt sehen, uns auf ihrer Weise klarzumachen, was das Beste für uns Gehörlose wäre. Der Gehörlose selbst wird nicht befragt, da er aufgrund seines einfachen Bildungsniveaus und der mangelnden Lebenerfahrung (wie es diese Pädagogen gerne sehen) nicht in der Lage sein soll, beurteilen zu können, was er zum Leben braucht.

Schließlich haben diese hörenden Pädagogen ja immerhin studiert und die Gehörlosen nicht (ironisch gemeint).

Falls es Dich interessiert - es gibt genügend Literatur zum Thema Gehörlose. Siehe bei 'Der Leuchtturm von Alexandria'.


Dass mir der Hund das Liebste sei,
sagst du, o Mensch, sei Sünde?
Der Hund blieb mir im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde.



Zuletzt geändert von Ronco am 28.02.2009, 01:14:54, insgesamt 1-mal geändert.

Spitzenmitglied



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Lieber Ronco! Sehr gute Zusammenfassung!!

Dann gleich von mir hier noch ein Aufruf zu zwei Themen:
1. Könnt ihr noch mehr Berichte schreiben für die www.wir-gehoerlosen.de - es wird Zeit für aktuelle Berichte!

2. Nehmt euch ein Beispiel an Helene Jarmer, die überall, wo sie die Möglichkeit hat, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, "laut" gebärdet, was sie von der Situation der Gehörlosen in Österreich hält.

http://www.oe24.at/wissen/Bildungssitua ... 437924.ece

Hut ab vor der Frau! Was passiert hier in Deutschland? Gar nichts! Auf der Seite des DGB lese ich auch nichts.

Liebe Grüße
Karin



Spitzenmitglied



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@Towanda,
eigentlich muesse die Frage, warum die meisten hoerenden Paedagogen in Deutschland mit tauben Kindern die GS gar nicht oder ungenuegend beherrschen, an diese Leute gerichtet werden.

Auf eines kann sich die Weigerung, die GS fuer den Lehrerberuf zu lernen und zu benutzen, auf eines reduzieren: Audismus, aus dem die Vorstellung hervorgeht, dass Taubheit als Defizit und nicht normal angesehen wird und die Lautsprache als einzige Kommunikationsmittel akzeptiert wird. Die ganze Ohr-Medizin trachtet nach der Ausmerzung von Taubheit. Es darf kein "Taubstummen(Gebaerden)ghetto" in der Gesellschaft oder "keine taube Sonderrasse der Menschheit" (A.G.Bell) geben.

Es werden daraufhin von der oralistischen Paedagogik Mythen ueber das Leben mit Taubheit, ueber die GS, Integration und Kultur geschneidert.

Folgende Buecher geben reichlich Aufschluss ueber deine Frage:

"Stumme Stimmen" von Oliver Sacks, "Die Maske der Barmherzigkeit" und "Mit der Seele Hoeren" von Harlan Lane.


Hartmut



Neuling



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Hallo,
danke für die bisherigen Erklärungen ...

@ Hartmud... ich frage zunächst extra nicht "meine Kollegen", da ich bevor ich Diskussionen eingehen würde immer erstmal vieles über das Thema wissen will.
Pädagogen neigen dazu immer alles super erklären zu können *grins* [roll]

Ich glaube auch nicht, dass ich die Antworten die ich hier erhalte von den Pädagogen erhalten würde...die nennen wahrscheinlich andere Argumente ... Sprachentwicklung etc...
In meinen Job habe ich gelernt zunächst einmal immer den "sog. betroffenen" zuzuhören ..meistens können die ja am besten für sich und ihre Situation sprechen ...das nehme ich dann an und entwickel daraus meinen Berufethos ...
Hmmmm.... also ich tendiere stark zu den verschiedenen Meinungen der Gehörlosen selber ... denke auch dass sich der Geist eines Menschen ( jetzt mal kurz gesagt - da könnte man ja Diplomarbeiten drüber screiben ) nur über Sprachentwicklung entwickeln kann... und damit meine ich in erster Linie DGS ... die natürliche Sprache der GL , wenn ich sehe das bereits Kleinstkinder Zeichen benutzen wenn Sie GL sind ...

Das Thema macht mich gerade sehr nachdenklich .. Vielleicht sollten die GL Verbände mal überlegen wie sie an die Pädagogen rankommen um evtl. den Prozess der Veränderung schneller in Gang zu setzen als es bisher der Fall ist ...
Danke für die Literaturthinweise ... werde mich mal einlesen ...

Muss darüber noch nachdenken ... und derweil mal versuchen mir Grundbegriffe in DGS beizubringen ...*lach* Habe mich gerade auch zu einem DGS Kurs angemeldet ..

[confused] [evil] [schäm] [lach]



Moderator & Einstein & "Tante Emma"´09
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Towanda,

das Argument mit der Sprachentwicklung seitens der Pädagogen ist sicher gut gemeint - aber hast Du schon einmal einen perfekt und makellos sprechenden Gehörlosen getroffen? Ich beziehe dies natürlich auf gehörlos Geborene, nicht auf Spätertaubte.

Sieh es einmal so: jemand, der nie die passende Melodie zu einem Lied gehört hat, wird den Text immer falsch singen (leicht abgewandelt aus dem Buch von Oliver Sacks). Für Gehörlose sind die Sprachübungen wie ein militärischer Drill - niemand erinnert sich gerne an diese Qualen zurück.

Die ganze Zeit, die für die sogenannte Sprachentwicklung draufgeht, geht zu Lasten der Bildung, die den Gehörlosen am Ende der Schulzeit fehlt. Somit hinken sie in der geistigen und reiflichen Entwicklungsphase in immer größerem Abstand den normalhörenden Schülern hinterher. Was folgt? Die Deutschkenntnisse und das Wissen vieler gehörloser Schulabgänger sind miserabel und auf das Niveau eines Drittklässlers.


Dass mir der Hund das Liebste sei,
sagst du, o Mensch, sei Sünde?
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der Mensch nicht mal im Winde.



Neuling



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ich stimme Dir voll zu ... Ronco



Moderator & Einstein & "Tante Emma"´09
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Falls es Dich interessiert:

http://www.gl-cafe.de/viewtopic.php?t=45793

Und wenn Du schon mal ein wenig von DGS schnuppern möchtest:

http://www.kestner.de/n/verlag/produkte ... ehrung.htm


Dass mir der Hund das Liebste sei,
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Zuletzt geändert von Ronco am 01.03.2009, 00:53:03, insgesamt 2-mal geändert.

Mitglied



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Zitat:
Das Thema macht mich gerade sehr nachdenklich .. Vielleicht sollten die GL Verbände mal überlegen wie sie an die Pädagogen rankommen um evtl. den Prozess der Veränderung schneller in Gang zu setzen als es bisher der Fall ist ...


Wie an einer Schule unterrichtet wird (DGS im Unterricht oder nicht) ist nicht von den dort tätigen Pädagogen abhängig, sondern von dem Konzept der Schule. Neuerdings wird ein bilingualer Unterricht angestrebt, aber auch eben nicht an allen Schulen.

Ich kenne z.B. eine Schule dort ist ein CI-Centrum angegliedert. Dort wurde dann auch vorwiegend kein DGS im Unterricht angewendet.
Für betroffene Eltern ist es daher schwierig, wenn sie in einem Bundesland wohnen in welchen die Schulen für Hörbehinderte kein DGS einsetzen und sie dies aber gern für ihre Kinder möchten.



Neuling



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naja und wer schreibt das Konzept ... Pädagogen !!! Konzepte können, sollen und müssen ständig überarbeitet und geändert, angepasst werden...dürfen niemals starr sein



Neuling



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Ich selber kann auch bestätigen das dass Bildungsniveau (ich hoffe ich habe es richtig geschrieben :D ) relativ gering ist.

Schade eigentlich

aber ich selber habe einen GL Vater und ich habe leider noch nie Gebärden für Fremdwörter und Spezielle Wörter die Zielgerichtet sind gesehen (auch nicht im Verein und Co.)
Könnte das an der Deutschen Gebärdensprache liegen die keine Hörende Bildung zulässt ich weiß es nicht.



Spitzenmitglied



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Das Bildungsniveau ist grundsätzlich nicht von DGS oder Lautsprache abhängig.
Schriftsprache, lesen, ist die Basis für Bildung.
Ronco hat gut gepostet, was ich seit vierzig Jahren oft gesagt und geschrieben habe:
Der mühsame, zeitaufwendige Lautsprachunterricht an Gl-Schulen geht auf Kosten der allgemeinen Bildung.

Lesen lernen sollte für hörbehinderte Kinder absolute Priorität haben.
Lesen ist für taube Menschen der einzige barrierefreie Zugang zu Wissen und Bildung.
Das habe ich seit vierzig Jahren oft gesagt und geschrieben.
Leider haben die Profis beider Seiten (Lautsprache : DGS) anscheinend gar kein
Interesse daran, das Bildungsniveau hörbehinderter Kinder zu fördern?!
Beide Seiten sind offensichtlich nur daran interessiert, ihre persönlichen Jobs abzusichern?!

Ich denke Gebärdensprache ist eine gute Basis für
taub geborene und frühertaubte Kinder.
Auch wenn das Kind sehr früh ein CI bekommt, sollten Eltern nicht warten
bis das Kind nach Monaten (oder gar Jahren) mit dem CI anfängt Worte zu
verstehen. Man darf doch ein Baby nicht lange Zeit ohne jede
Kommunikation lassen!
Die Eltern müssen nicht „perfekte DGS“ lernen.
Es genügt erst mal, wenn die hörenden Eltern mit einigen Gebärden
eine Kommunikation mit dem tauben Baby beginnen.
(Die Eltern hörender Babys sprechen auch kein „akademisches Hochdeutsch“
mit ihren Babys!)



Spitzenmitglied



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Sehr richtig - ein gutes Posting von dir Charly!
Viele Grüße
Karin



Moderator & Einstein & "Tante Emma"´09
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Stimme Charly ebenfalls zu.

Ich bin der Meinung, daß ohne vorhandenes Wissen auch keine Verständigung zustande kommt. Wenn ich Wörter oder Dinge nicht kenne bzw. von einer Sache nichts weiß, dann verstehe selbst ich auch nur 'Bahnhof'.

Mit dem zunehmenden Wissen entwickelt sich die Verständigung. Beide gehen Hand in Hand.

Ich denke, viele verunsicherte Eltern werden von diesen selbsternannten, übereifrigen Diplom-Experten unabsichtlich falsch beraten. Unsere Argumente werden nicht beachtet bzw.berücksichtigt, weil wir ja als 'voreingenommen' und 'ungebildet' gelten.

Manche pädagogischen Ratschläge muten genauso an, als wolle man einem Blinden unbedingt erklären und klar machen, was die Farbe blau bedeutet.


Dass mir der Hund das Liebste sei,
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Der Hund blieb mir im Sturme treu,
der Mensch nicht mal im Winde.



Zuletzt geändert von Ronco am 02.06.2009, 09:54:51, insgesamt 1-mal geändert.

Neuling
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@ Karin

Danke dir für die Information über die ÖGLB, und wie ernsthaft die Präsidentin dessen Verband um den Bildungsstand ihrer "Kinder" Sorgen machen müsste - kann ich gut nachfühlen! Ich habe hier das Buch "unerhört" von V. Clark, die eine visuelle Reise durch GL in Österreich machte. Ein interessantes Buch und es ist schon seltsam, was für Probleme die Gehörlosen dort haben...


°°° Ich bin taub, ergo bin ich! °°°



Spitzenmitglied



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@CharlyBrown,
wie kann man eine Beherrschung von "Schriftsprache" ohne Kompetenz der dahinter liegenden Sprache erreichen?

Es herrscht hier offensichtlich ein Wirrwarr mit der Terminologie. Die Gegenueberstellung Lautsprache:DGS ist nicht richtig. Richtig geht es in Deutschland um Deutsch:DGS (in Oesterreich um Deutsch:ÖGS, in der Schweiz ...). Was hier mit Lautsprache gemeint ist, ist wirklich "Sprechen". Schriftsprache ist nichts anders als die schriftliche Niederlegung von was gesprochen wird. Also gibt es keine "Schriftsprache" als eine eigenstaendige Sprache. Es ist nur Deutsch in Schrift in deutschsprachigen Gebieten, sonst nichts. Also vermeide den irrefuehrenden Gebrauch von "Lautsprache" und "Schriftsprache". Ihr meint wirklich nur "Deutsch" und "DGS".

Um Schriftstuecke in deutscher Sprache verstehen zu koennen, muss man ein Mindestmass von Deutsch schon beherrschen. Das erfordert eine vorhergehende Beschaeftigung mit der Sprache im genuegenden Ausmass, das einem gelingt, ins Lesen einfacher Schriftstuecke mit Erfolg einzusteigen. Also haengt das Bildungsniveau ab von einer gewissen Beherrschung von Deutsch. Um Deutsch genuegend fuer selbstaendiges Lesen zu bekommen, braucht man die leichter erlernbare DGS, welche das taube Kind in der Interaktion mit dem DGS-Umfeld bekommt.

Ab einem gewissen Zeitpunkt, muss man viel Zeit fuer Deutsch mit dem tauben Kind beschaeftigen, um die Sprache weiter entwickeln zu lassen. Das ist was durchs Lesen erreicht wird. Viel Schreiben ist auch notwendig, denn man muss Deutsch auch aktiv verwenden koennen.


Hartmut




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