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 Grammatische Wortfolgen in GSen


Spitzenmitglied



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Deafmax fragt in einem anderen Thread, ob die Sätze mit drei Komponenten, Subjekt S, Verb V und Objekt O, in den folgenden Satzstellungen grammatisch in DGS oder ÖGS seien. Betrachte hier die folgenden Glossen-Transkriptionen der gebärdenden Sätze:

[DGS-1]: ICH COMPUTER ARBEITEN (S-O-V)
[DGS-2]: ICH ARBEITEN COMPUTER (S-V-O)
[DGS-3]: COMPUTER ICH ARBEITEN (O-S-V)
[DGS-4]: ARBEITEN ICH COMPUTER (V-S-O)
[DGS-5]: COMPUTER ARBEITEN ICH (O-V-S)
[DGS-6]: ARBEITEN COMPUTER ICH (V-O-S)

Die Transkriptionen liefern wenig Informationen, mit welchen non-manuellen Markern die Gebärden ausgeführt werden, wo eine Pause gelegt wird, bei welchem Komponent der Kopf nickt, wo die Hervorhebung liegt und ob eine topikalisierende Körperhaltung am Anfang des Satzes eingesetzt wird. Wenn diese beim Gebärden obiger Sätze vorhanden sind, müssen die Transkriptionen mit Bemerkungen ergänzt werden.

Ob die Sätze DGS-1 bis DGS-6 grammatisch sind, lehne ich an ASL. Ich weiss, ASL verhält sich in diesem Bereich sehr ähnlich der DGS und ÖGS. Daher kann ich etwas über die Grammatikalität der Sätze in deren Sprachen urteilen.

DGS-1 und DGS-2 sind unmarkierte (= normale) Sätze. Beide sind grammatisch, egal mit Kopfnicken oder ohne, egal wo die betonende Bewegung liegt. Die Gebärde am Ende ist wo die Hauptsache oder Aufmerksamkeit liegen sollten. Sie liegen immer am Ende des Satzes: ARBEITEN in DGS-1 und COMPUTER in DGS-2. Am Ende kann stärker mit dem Kopf genickt werden. Drauffolgende Sätze richten auf was am Ende des vorigen Satzes ist, über “arbeiten” oder “Computer”.

Sätze DGS-3 bis DGS-6 sehe ich als markierte (= besondere) Sätze an. Ohne besondere Markierung am Anfang des Satzes sind sie unverständlich und vielleicht nicht grammatisch. Aber sie werden auch gebärdet, jedoch mit einer Markierung für Topikalisierung. Gewöhnlich geht Subjekt immer vor dem Verb in unmarkierten Sätzen voran. In markierten Sätzen wird zuerst eine Gebärde oder eine Gruppe von Gebärden als Topik (= Satzgegenstand) des Satzes mit einer Topikalisierungs-Körperhaltung ausgeführt und dann eine Aussage über das Topik gemacht. Eine Pause und Rückkehr der Körperhaltung zur normalen Haltung werden am Ende der Topik-Phrase gelegt und beim Gebärden der abschliessenden Aussage wird kopfgenickt. Der Fettdruck in DGS-7 bis DGS-10 zeigt die Topikalisierung an und die Kursivschrift das Kopfnicken:

[DGS-7]: COMPUTER ICH ARBEITEN
[DGS-8]: ARBEITEN ICH COMPUTER
[DGS-9a]: COMPUTER ARBEITEN ICH
[DGS-9b]: COMPUTER ARBEITEN ICH
[DGS-10]: ARBEITEN COMPUTER ICH

Nebenbei gesagt, das Subjekt in DGS-1 und DGS-2 kann auch extra als Topik hervorgehoben werden und danach wird mit dem Kopf genickt.

Dass die Gebärde ARBEITEN kein Richtungsverb oder ein Lokationsänderungsverb ist, und sie alle sechs Wortstellungsmöglichkeiten möglich macht, bedeutet jedoch nicht, dass andere Gebärdenverben die gleichen freien Wortfolgen erlauben. Verben mit Klassifikator-Handformen und Verben die Lokation und Bewegung anzeigen, erfordern die vorherige Erwähnung des Objekts und der Lokation im Satz. Verben werden hier gewöhnlich am Ende des Satzes gebärdet und deren Sätze werden manchmal ohne Topikalisierung und Kopfnicken ausgeführt, z.B.

[DGS-11]: AUTO BRÜCKE ÜBER-BRÜCKE-FAHREN. (S-O-V)
[DGS-12]: BRÜCKE AUTO ÜBER-BRÜCKE-FAHREN. (O-S-V)

Die Gebärde ÜBER-BRÜCKE-FAHREN enthält die Klassifikator-Handform für "Auto". Dieser Satz ist nicht möglich in V-S-O oder V-O-S Stellungen. Ich weiss nicht, ob dort S-V-O und O-V-S in DGS und ÖGS grammatisch sind.

Deafmax, hier hast du etwas “Festes” über die Grammatik der GS. Hoffentlich verstehst du nicht nur die Grammatik der GS, sondern auch der Sprachen allgemein, wie z.B. Topikalisierung und Hervorhebung die Satzstellung beeinflussen.


Hartmut



Zuletzt geändert von Hartmut am 05.12.2006, 18:42:36, insgesamt 1-mal geändert.

Spitzenmitglied



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@Hartmut,

Unter Topikalisierung versteht man allgemein die inhaltliche Hervorhebung
eines Satzgliedes durch dessen Position am Anfang oder Ende eines Satzes.

Beispiel:

Das Unglück ereignete sich vorgestern. (Normalstellung)
vs. Vorgestern ereignete sich das Unglück. (Topikalisierung des Adverbials).

Quelle: http://www.uni-trier.de/uni/fb2/ldv/ldv_wiki/index.php/Topikalisierung


Eine zusätzlich den Satz begleitende Körperhaltung ist aber
entgegen deiner Behauptung keine Toplikalisierung, sondern
eine begleitende Körpersprache, die sowohl bei GS als auch
einer auditiven Sprache vorkommen kann.

Man könnte es auch als Betonung bezeichnen, äquivalent zur Lautstärke und Stimmlage beim Sprechen eines Satzes.

Deine Beispiele 1-6 lassen sich auch ohne weiteres in LBG, also Schriftdeutsch ausdrücken,
sind also nicht auf die GS beschränkt.

[DGS-1]: ICH COMPUTER ARBEITEN (S-O-V)
LBG: Ich tue am Computer arbeiten,

[DGS-2]: ICH ARBEITEN COMPUTER (S-V-O)
LBG: Ich arbeite am Computer,

[DGS-3]: COMPUTER ICH ARBEITEN (O-S-V)
LBG: Am Computer tue ich arbeiten,

[DGS-4]: ARBEITEN ICH COMPUTER (V-S-O)
LBG: Arbeiten tue ich am Computer,

[DGS-5]: COMPUTER ARBEITEN ICH (O-V-S)
LBG: Am Computer arbeiten tue ich,

[DGS-6]: ARBEITEN COMPUTER ICH (V-O-S)
LBG: Arbeiten am Computer tue ich.

Edit:

Zitat:
Beide sind grammatisch, [….]


In welcher Beziehung? „Grammatisch“ allein sagt nichts über den bezeichneten Satz aus.

Deine Aussage ist deshalb unvollständig und nichtssagend. Es fehlt das Adjektiv.

Damit der Satz einen Sinn bekommt, muss man ihn ergänzen:

„Beide sind grammatisch richtig, […]“

oder

„Beide sind grammatisch falsch, […]“

Zitat:
Sätze DGS-3 bis DGS-6 sehe ich als markierte (= besondere) Sätze an.



Und was ist an diesen Sätzen das Besondere?


Pyros



Spitzenmitglied



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@Pyros,
schön, dass du als Sprachwissenschaftler aufspielen möchtest. :-)

Die von dir angegebene Definition von Uni Trier beinhaltet nur die syntaktische Voranstellung eines Satzgliedes. Nichts wird über die Semantik, Funktion oder den Zweck der Voranstellung ausgesagt. Das ist ja sehr schwer in deutschen Sätzen zu ermitteln.

Aber was Topikaliesierung in GS und anderen Sprachen aussagt, ist, deren Zweck ist ziemlich klar: ein Satzteil wird als Topik des Satzes (und auch der drauffolgenden Sätzen) markiert. So in Japanisch durch die –wa Endung. Im Englischen und auch im Deutschen kann ein Satzteil als Topik durch ein Floskel “As to [Topik], [Aussage folgt]” (Englisch) und “Über [Topik], [Aussage folgt]” (Deutsch) hervorgehoben werden. Es gibt andere Wege. Der erste Satz dieses Absatzes (in grüner Farbe) ist auch Topikalisierung und dient als Topik für die Aussagen in folgenden Sätzen.

Topikalisierung in GS ist nicht einfach Hervorhebung. Sie besitzt eine charakteristische Körperhaltung und Gesichtsmimik und sieht anders aus als die hervorhebende Handbewegung, begleitet mit intenser Gesichtsmimik, in einer betonten Gebärde. Den Satzbau in Topik-Comment-Struktur werden von Linguisten als “markiert” angesehen, im Gegensatz zu “unmarkiert”. ‘Markiert’ heisst auch “besonders” und das ist was Topik-Comment-Sätze besonders machen. ‘Unmarkiert’ bedeutet auch “gewöhnlich”. Die Folge S-O-V (Subjekt-Objekt-Verb) ist unmarkiert in deutschen Nebensätzen und S-V-O auch unmarkiert in allen englischen und in deutschen Hauptsätzen.

Deine Übersetzungen von DGS-1 bis DGS-6 sind nicht LBG, sondern einfach Deutsch! Du zeigst nur überzeugend, dass durch den Einsatz von Hilfsverb ’tun’ alle sechs DGS-Folgen auch aufs Deutsch in gleicher Folge möglich sind. Beim vollkommen gebärdeten Deutsch muss man “tun” und “am” gebärden, was DGS von Deutsch unterschiedlich macht. Du denkst vielleicht an “halbgebärdetes” Deutsch und gebärdest die zwei Wörter nicht mit?

Aber der Hacken mit deinen Verdeutschungen und was der Unterschied zwischen DGS und Deutsch deutlich macht, ist, dass Deutsch wirklich nicht alle sechs Folgen erlaubt. Das Hilfsverb in deinen Übersetzungen ist Hauptverb in der Satzstruktur. Das Verb 'tun' wird gebeugt und stimmt mit dem Subjekt in Person und Zahl überein, während das Verb 'arbeiten' als "Nebenverb" die infinitive Form beibehält. Weiter ist die Phrase "am Computer" nicht Objekt von 'tun' und 'arbeiten', sondern ein Lokationsadverb (= Ortsergänzung). Das Objekt von dem Verb 'tun' in deinen Übersetzungen ist die ganze Phrase "am Computer arbeiten". In den DGS-1 bis DGS-6 ist COMPUTER Objekt von dem Verb ARBEITEN. In deutschen Hauptsätzen muss das Verb in zweiter Position stehen, also nur x-V-x (x steht für entweder S oder O), also nur S-V-O oder O-V-S. In Nebensätzen ist die Satzordnung, glaube ich, strikt S-O-V.

Neben Unterschiede in Syntax, ist ein Unterschied in Interpretation der Sätze zu bedenken. In deinen Übersetzungen kann nicht immer klargestellt werden, ob das erste Satzglied als Topik für die folgenden Satzglieder zu interpretieren ist. Z.B. Das Wort ’vorgestern’ am Satzanfang im Beispiel von Uni Trier, das du oben angeführt hast, ist so alltäglich und wird schwerlich als Topik interpretiert (Wird über Vorgestern gesprochen?)

Der Begriff ’grammatisch’ hat sich im linguistischen Sprachgebrauch ohne Zusatz von ’richtig’ oder ‘falsch’ eingeschlichen, vielleicht als Eindeutschung des englischen ’grammatical’, das immer ohne Zusatz steht. Mit diesem bekommt man ’ungrammatisch’ als Gegenteil von ’grammatisch’ mit. Es gibt eine ältere Form ’grammatikalisch’, die ich glaube nicht allein stehen kann. Gibt es überhaupt ’ungrammatikalisch’?


Hartmut



gehörlosenfreak
gehörlosenfreak



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Servus, offen gestanden bin ich noch mehr verwirrt, aber was Pyros als beispiele angab, könnte durchaus zutreffen, auch wenn Hartmut meint, dass die ins deutsche Übersetztes grammatikalisch nicht "erlaubt" sei.

Schön dass man eine Interpretierung alle ICH-COMPUTER-ARBEITEN-Varianten versucht hat, jedoch hilfreich wäre eigentlich das Verstehen der Grammatik in der Gebärdensprache. Warum gebärde ich so, auch wenns aus dem Bauch heraus ist?

Im Deutschen kenne ich die Regeln, ...es leicht wäre erwischt, wenn richtig nicht Deutsch ich schreibe, sieht sofort mann das gramatick und rechtschreipung richtig nicht ist.

Aber wie siehts in Gebärdensprache? Man stelle sich ein Gebärdensprachunterricht vor, mit einem GS-Lehrer (Statt Deutschleherer) und unterrichtet die GS-Sprache. Satzbildungen in GS, "Orthographische Richtigkeit" (Rechtschreibung passt einfach ned zu GS) usw.
Das ist hierzulande un-vor-stell-bar, aber wäre genial schön!

Beispiel anstatt...
Zitat:
Dieser Satz ist nicht möglich in V-S-O oder V-O-S Stellungen.
...wäre besser: Dieser Satz in V-S-O oder V-O-S Stellungen ist (grammatikalisch) falsch.
Wie schon dann und wann hier geschrieben, möchte ich GS-Grammatikkurs/Seminar für GL besuchen.

Trotzdem im Allgemeinen danke für die Erklärungsmühen :)

lg deafmax


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Ich bin taub, ergo bin ich.



Spitzenmitglied



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@Deafmax,
Pyros Uebersetzungen von DGS-1 bis DGS-6 sind sinngemaess richtig und sie sind grammatikalisch richtig. Das muss ich vorweg sagen zu Pyros' Kredit.

Was ich aufzeige, bestehen syntaktische (grammatikalische) Unterschiede zwischen DGS-Saetzen und seine Verdeutschungen. Das Hauptverb in den DGS-Saetzen ist ARBEITEN, aber in seinen Verdeutschungen ist "tun" das Hauptverb. Das ergibt Unterschiede, welche syntaktische Rolle die Gebaerde COMPUTER und "am Computer" spielen. Ist COMPUTER Objekt von ARBEITEN in DGS? Antwort ja. Ist "am Computer" Objekt in deutschen Saetzen? Antwort nein.

Die DGS-3 bis DGS-6 muessen mit einer topikalisierenden Koerperhaltung und Gesichtsmimik ausgefuehrt werden, wie mit Fettdruck in DGS-7 bis DGS-10 transkribiert. Mir ist nicht klar ob die Satzanfaenge in den Verdeutschungen auch als Topik interpretiert werden. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Das ist ein zweiter Unterschied zwischen DGS-Saetzen und seine Verdeutschungen mit dem Verb "tun".

Die Unterschiede werden aufgezeigt, um zu zeigen, dass die angezeigten DGS-Saetze nicht "Deutsch auf Haenden" sei, weil dort die Syntax anders als in deren Uebersetzungen ist. Pyros hinterlaesst leider den Eindruck, dass DGS-1 bis DGS-6 eine verkuerzte manuelle Uebertragung aus seinen Saetzen mit dem Weglassen von "tun" und "am".

Ich gebrauche "moeglich" oder "unmoeglich" statt "grammatikalisch richtig" und "grammatikalisch unrichtig", wenn ich von Wortfolge rede. Die beiden beinhalten verschiedene Gedanken. Linguisten schreiben so oefters, denn sie beschreiben die Grammatik einer Sprache. Sie vorschreiben keine Grammatik, nur beschreiben.


Hartmut



gehörlosenfreak
gehörlosenfreak



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Hi, Hartmut,

Entschuldige, ich bin kein Sprachwissenschaftler und auch als Laie blick ich da schlecht durch. Was ich wenigstens hilfreich fände, wäre das einmaleins Grundwissen (Basiswissen) der GS Grammatik.
Ich glaube im Schreiben lässt sich es schlecht erklären, weil ICH ARBEITEN COMPUTER viele Varianten zum Ausdrücken möglich ist, da Gesicht, Körperhaltung, Ausführungen fehlt. Drum denke ich dass ein Kurs/Seminar viel hilfreicher ist.
ÖGLB will angeblich da etwas tun, ich hoffe das sehr für ÖGS.

:) lg deafmax


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Ich bin taub, ergo bin ich.



Spitzenmitglied



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hi deafmax,

auch die dt. Wissenschaft weiß (noch) nicht so recht, wie man am Besten ein Regelwerk für die Grammtik der GS aufstellt.

Schau dir einmal die letzte Seite dieser Power-Point Präsentation an:

Ich meine damit "A minimalist turtle". [lach]

Link: GS-Grammatik

Die GS gibt es schon Jahrhunderte. Ihr Wortschatz hat sich analog dem gesprochenen Deutsch, laufend erweitert.
In jedem Sprachraum gibt es eine andere GS oder Dialekte davon.

Man kann auch kaum sagen, dass jemand in den letzten Jahrzehnten die
D-GS erfunden hat. Es wurde einfach der Buchstabe D für Deutsch hinzu gefügt. Das gilt auch für Österreich, wo es dann Ö-GS heißt.

Die Sprache ist da, sie lebt und wird gebärdet. Nur die Regeln, nach denen sie gebärdet wird, die sind eine harte Nuss..... :D.

Auch für die Wissenschaft!


Pyros



Spitzenmitglied
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@Hartmut,
„möglich“ oder „unmöglich“ statt „grammatikalisch richtig“ und „grammatikalisch unrichtig“? Schon okay!
Ich denke, alle Gehörlosen auf der Welt gebärden sowieso immer viel zu willkürlich. Ohne Rücksicht auf (noch nicht festgelegte) Regeln. Sie gebärden ja, wie sie wollen.
„möglich“ oder „unmöglich“ ist auch wenigstens „verständlich“ oder „unverständlich“.
„Noch nicht festgelegte Regeln“ sollen so bleiben, damit ich weiter „fehlerfrei“ wie bisher gebärden kann. [british]


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



Spitzenmitglied



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@Hans Busch,
willkuerlich, hmm, vielleicht nicht beim Erzaehlen und in Gespraechen.

Grammatik teilt sich in Teilgebieten auf: Phonologie (Regelmaessigkeit von Grundteilen der Gebaerden, z.B. bestimmte Handformen kommen nicht vor), Morphologie (Aufbau der Gebaerde mit bedeutungstraechtigen Teilen), Syntax (Aufbau der Saetze mit Gebaerden). Dazu kommen Semantik (ob ein Satz einen Sinn macht oder ob zwei Saetze bedeutungsgleich sind usw.) und Diskurs-Analysis (Analysis von wie sich Phrasen und Saetzen aneinander reihen). Noch dazu kommt Pragmatik (Untersuchung von wann, wo und von wem etwas geaeussert wird, z.B. "Guten Morgen" sagt man nicht vor dem Bettgehen im Ernst oder man weiss wie man auf die Frage "wann" antwortet, mit ganzem Datum, nur Monat, mit "gestern" oder "vorige Woche" usw.).

Wenn oben angezeigt, dass in der Satzfolge alle sechs Reihenfolgen von S, V und O nur in der Begleitung von bestimmten non-manuellen Markern "erlaubt" sind, sagt schon, dass Willkuerlichkeit dort nicht vorherrscht. Anders gesagt, DGS-3 bis DGS-6 sind nicht moeglich ohne solche Marker und daher DGS-7 bis DGS-10 als grammatisch anzusehen sind.

Nun untersuch DGS-11 und DGS-12 und umstell alle drei Teilen. Bei diesen Saetzen mit dem Verb ÜBER-BRÜCKE-FAHREN gibt es mehr Einschraenkungen in den moeglichen Folgen von S, V und O, auch in Begelitung von non-manuellen Markern. Also experimentier:

[DGS-13]: AUTO ÜBER-BRÜCKE-FAHREN BRÜCKE. (S-V-O)
[DGS-14]: BRÜCKE ÜBER-BRÜCKE-FAHREN AUTO. (O-V-S)
[DGS-15]: ÜBER-BRÜCKE-FAHREN AUTO BRÜCKE. (V-S-O)
[DGS-16]: ÜBER-BRÜCKE-FAHREN BRÜCKE AUTO. (V-O-S)

Wenn einer von DGS-13 bis DGS-16 grammatisch ist, dann gib an, ob bestimmte Koerperhaltung, betonende Bewegung, Gesichtsmimik und Kopfbewegung unbedingt dabei sein sollten. Oben vermute ich dass DGS-15 und DGS16 immer unmoeglich in D/ÖGS sind.

Fuer das Aneinderreihen der Gebaerden im Satz gibt es groessere Flexibilitaet als Deutsch. Wann DGS-7 bis DGS-10, bzw. DGS-11 bis DGS-13 (und DGS-14?) eingesetzt werden, bestimmen Regelmaessigkeiten von Diskurs-Struktur und Pragmatik. Topik-Comment ist eine Sache fuer Diskurs-Struktur, wie man die Gedanken aufeinanderrollt, bei welchem Satzteil betont wird, was am Ende des Satzes stehen soll, das dann als Subjekt fuer den drauffolgenden Satz dient, usw.

Engere Regelmaessigkeiten fuer D/ÖGS gibt es im Bereich der Morphologie, besonders in den raeumlichen Uebereinstimmungen zwischen Verb, Subjekt und Objekt. Dort gibt es weniger Flexibilitaet. Wenn das Subjekt und/oder Objekt mit einem Raumpunkt markiert sind und das Verb ein Richtungsverb ist, muss das Verb korrekt die gleichen Raumpunkte von Subjekt und Objekt aufweisen. Wenn nicht, dann ist der Satz ungrammatisch. Wenn das Verb eine Klassifikator-Handform einschliesst, muss der Klassifikator semantisch mit entweder Subjekt oder Objekt uebereinstimmen, z.B. Flach-Hand-Klassifikator mit Auto.

Nebenbei bemerkt: Linguisten legen keine Regel fest. Sie versuchen nur die Regelmaessigkeiten in der Sprache aufzudecken und zu beschreiben. Daher gebauchen sie weniger die Vokabeln 'richtig' und 'falsch'.


Hartmut



gehörlosenfreak
gehörlosenfreak



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Hi.
Ich hatte neulich ne Debatte mit GS-Dolmis um die Feststellung von GS-Grammatik. Ich war der Meinung dass es eine große Hilfe wäre wenn die GS in der Grammatik eine standardisierte Grundlage hat (nicht Vokabel, sondern Grammatik), damit die Dolmis "leichter" haben und nicht immer an die GL anpassen müssen weil die GL aufgrund fehlender GS-Unterricht in der Bildung (GS-Unterricht wie Deutsch-Unterricht) unterschiedlich ausdrücken.
Die Dolmis waren der Meinung dass es an der natürlichkeit der Sprache liegt sich auszudrücken, da helfe standardisierte Grammatik wenig, auch wenn diese eine gute und unverzichtbare Grundlage wäre. Man merke das auch in synchronfassungen: Aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen ist nicht immer trefflich richtig. Deswegen auch funktioniere das Übersetzungssystem am PC immer noch nicht hundertprozentig und wird auch nie funktionieren.

Bei der Debatte habe ich erkannt, dass die GS wegen seiner räumlich orientierte Sprachform keine einheitliche grammatikalische Form gefunden werden kann. Schriftsprache und Lautsprache haben gleiche Grammatik aber andere Ausdrucksformen (unterschiedliche Betonungen möglich gegenüber Nur-Lesen), GS dagegen andere Grammatik. Deswegen ist es auch unmöglich ein System zu finden aus dem Deutschen heraus gleich in GS auszudrücken können. Und umgekehrt.
Es ist wie eine "lineare Regression" aus den Ausdruck und Gebärdenform eine Linie zufinden, dass die Ausdrucksweise Gemeinsamkeiten haben, aber doch unterschiedlich wahrgenommen werden kann.
Ich habe damit ein Argument gefunden und bin erleichtert. Meine Suche nach dem absoluten Regel der GS hat eine Antwort gefunden und werde mich entsprechend dran orientieren.

Deswegen gebe ich auch damit zufrieden, wenn Hartmut meint Linguisten legen keine Regel fest. Sie versuchen nur die Regelmaessigkeiten in der Sprache aufzudecken und zu beschreiben. Daher gebauchen sie weniger die Vokabeln 'richtig' und 'falsch'.

deafmax


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Ich bin taub, ergo bin ich.



Spitzenmitglied



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@Deafmax,
ich verstehe, du möchtest eine klare Linie in einer Grammatik haben. Du stellst die Linie als eine “einheitliche grammatikalische Form” vor. Das ist nicht so. Es wird immer Variationen geben, die als “richtig” in der Sprache angesehen werden. Wichtig ist auch zu erkennen, dass nicht alle Möglichkeiten als “richtig” angenommen werden und dass es Einschränkungen gibt (Siehe z.B., die möglichen DGS-3 bis DGS-6 ohne Topikalisationsmarkierung sind für mich ungrammatisch). Deine Vorstellung von Grammatik ist von der Schule her, wo dort eine vorschreibende Grammatik gelehrt wird. Das Motto beim Deutsch-Unterricht scheint oft zu lauten: “Nur eines ist richtig, alle andere sind falsch!”

Die Metapher von “linearer Regression” mit einer (dünnen) Linie, darstellend als Grammatik, und Punkten rechts und links daneben als (mögliche) Abweichungen ist keine gute Metapher für "Grammatik". Hier werden die Variationen als Abweichungen und die Linie als “die grammatische Mitte” dargestellt, was “Grammatik” eigentlich nicht ist.

Aber in Wirklichkeit ist die Grammatik jeder Sprache keine Linie mit Abweichungen. Es gilt halt ein Regelwerk (gleich Grammatik) zu beschreiben, das voraussagt, welche Wortbildungen und Sätze in der Sprache als grammatisch und welche als ungrammatisch von Muttersprachlern empfunden werden. Um deine Metapher von “Linie” zu benutzen, stellt die Grammatik ein Band (nicht Linie) dar, wo alle grammatischen Variationen in das Band hineinpassen.

Das besagt aber auch nicht, dass alle grammatischen Variationen gleichwertig gut sind. Kenntnis von anderen Teilgebieten von Sprache, besonders von Diskursstruktur (manchmal auch Rhetorik genannt), helfen, welche der grammatischen Bildungen besser für einen bestimmten Zweck geeignet sei. Z.B. Wann oder für welchen Zweck ist DGS-1 besser, wann DGS-2, wann DGS-7 usw., sei? Oder wann steht ein Verb besser: am Satzanfang, in der Satzmitte, oder am Satzende, wenn die Grammatik alle drei Stellungen erlaubt? Grammatik berührt diese Fragen nicht. Nur die Sprecher haben die Wahl, welche der möglichen Bildungen für eine bestimmte Wirkung zu benutzen.

@alle,
Ich habe oben die Frage gestellt und gebeten, euer Sprachgefühl anzutasten und zu entscheiden, ob die Sätze DGS-1 bis DGS-16 eurem DGS-Sprachgefühl nach in Ordnung sind. Und wenn nicht, dann sagt warum ein Satz nicht in Ordnung ist.


Hartmut




 Grammatische Wortfolgen in GSen





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