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 [Diskussion] Was ist Audismus


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@Immortal King,
ja, stimmt, du musst sehr „verrückt“ gewesen sein. Diese verrückte Nachtarbeit. Aber dafür eine sehr schöne und interessante Arbeit! ;)
Habe mir das originale Video-Interview gestern angeschaut. Soweit ich mich erinnern kann, müsste diese Übersetzung schon stimmen. Eins zu eins von Dauer muss nicht sein. Sonst wäre ein Text „verdreht“. Sinngemäßes reicht schon. (Nur sehr wenige Stellen wären korrekturbedürftig, aber mehr bei PM.)

Du könntest gerne bei Sehen statt Hören arbeiten. Zum Beispiel bei der letzten SSH-Sendung „Jugendfestival“ war die Aussage von Christian Rathmann in Text (Untertitel) falsch übersetzt wiedergegeben. Schade! Bei SSH ist es ja schon zu oft passiert. An deiner Stelle wäre es nicht passiert. :)


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



Spitzenmitglied



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Waaas, IK, dummerweise habe ich die Übersetzung
bereits gemacht und sie gestern meiner guten Freun-
din kontrollieren gelassen.. Trotzdem hier meine Über-
setzung:
    Interview mit Dirksen Bauman

    Kannst du dich vorstellen: Wer bist du und was machst du gerade?

    Ja, ich bin Dirksen Bauman und unterrichte Deaf Studies an der Gallaudet Universität. Ich bin also hörend im Kreis der Tauben. Aber ich bin nicht als Hörender geboren. Ich bin zwar mit der Hörfähigkeit geboren. Aber ich bin erst mit 21 Jahren "Hörender" geworden! Das heißt, dass ich nicht mit der Identität, ein Hörender zu sein, aufgewachsen bin. Ich wuchs ganz natürlich mit Gehör auf, bis ich anfing, an einer Taubenschule zu arbeiten. Die Schüler haben mich als "Hörenden" bezeichnet. Seitdem war ich mir bewusst, dass ich ein Hörender bin. Sozusagen werde ich als Hörender identifiziert. Ich versuchte mich damit auseinander zu setzen, was es heißt, Hörender zu sein und was die Hörenden- und die Taubenwelt ist. Die meisten Menschen auf der Erde sind nicht die "Hörenden". Die Hörenden sind die Menschen, die mit Tauben zu tun haben. Die anderen sind "Menschen, die hören können". Es gibt also unterschiedliche Bezeichnungen der Menschen, die hören können. Es gibt also nur wenige "Hörende" und viele "Menschen, die hören können".

    Soll das Wort Audismus bei Hörenden, bei Tauben oder beiden verbreitet werden? Was denkst du?

    Ja, das Wort Audismus ist wichtig und soll bei beiden Gruppen verbreitet werden! Es ist schon wichtig, dass Hörende darüber aufgeklärt werden, denn sie handeln diskriminierend ohne es zu ahnen. Sie sollen durch das Wort Audismus aufmerksam werden, so dass sie wissen, dass sie diskriminierend gehandelt haben und damit aufhören können. Es ist mit einer Brille vergleichbar, die durch das Putzen klare Sicht bekommt. Mit dem Wort Audismus werden Hörenden diese klare Sicht erhalten, so dass sie aufhören zu diskriminieren und sich mit Tauben verbinden. Ebenso bei Tauben. Sie werden vielleicht seit ihrer Geburt diskriminiert ohne davon zu ahnen. Mit dem Wort Audismus können sie sich dagegen wehren. Es ist deshalb wichtig, dass das Wort Audismus unter beiden Gruppen verbreitet werden soll. Dadurch haben die beiden Seiten die klare Sicht.

    Wie ist die genaue Definition des Wortes Audismus?

    Ja, die Definition von Audismus ist wirklich kompliziert. Ein einziger Satz dafür würde nicht genügen. Audismus findet, wie andere Unterdrückungsformen - zum Beispiel die Unterdrückung der Frauen, die Unterdrückung der Rassen wie der Schwarzen usw. - auf drei Ebenen statt :

    Die erste Ebene ist "individuell". Es sind einzelne Menschen, die diskriminieren. Zum Beispiel die Eltern, die nicht gebärden wollen, sondern lieber sprechen wollen. Der taube Junge oder das taube Mädchen hat Schwierigkeiten mit der Kommunikation, so dass sie diskriminiert werden. Es sind also Individuen. Aber woher haben die Eltern die Idee, nicht zu gebärden und die Überzeugung, dass das Gebärden schlecht sei? Diese Meinung stammt von Ärzten im Krankenhaus, die bei der Geburt der Babys dabei sind und das Gebärden verbieten können. Das ist nicht die individuelle Ebene, sondern das institutionelle System, die zweite Ebene. Es sind Mediziner, Ärzten und Pädagogen, die die Eltern überzeugen können, keine Gebärden zu benutzen. Die Individuen sind dann zur Überzeugung gekommen, sich gegen die Gebärdensprache bei Kindern zu entscheiden. Es gibt also eine Beeinflussung der zweiten Ebene auf die erste.
    So, der erste Level ist also der individuelle Audismus, wo Individuen davon überzeugt sind, dass das Hören und das Sprechen der Taubheit übergeordnet ist. Es sind also Menschen mit dieser Überzeugung.

    Beim zweiten Bereich sind es nicht Menschen, sondern Sozialsysteme, die die Überzeugung vermitteln, dass hörend zu sein ganz positiv ist. Wie zum Beispiel ein Laufband am Flughafen Menschen mit Gepäck das Vorwärtskommen erleichtert. Sie werden auf dem Laufband nach vorne geschoben - das ist schneller, als wenn sie alleine laufen müssten.
    Die Menschen einer anderen Gruppe haben nicht dieses Laufband.

    So gesehen kommt der Mensch der ersten Gruppe schneller voran als der Mensch der zweiten Gruppe. Das System ermöglicht den Menschen, sich schneller nach vorne zu bewegen. Die Menschen der zweiten Gruppe sind im Nachteil. So ist "the System of Advantages" (etwa "System der Vorteile"), ein englisches Wort. Damit werden Menschen gefördert und bestärkt. Andere Menschen dagegen werden behindert und müssen mit Erschwernissen kämpfen. So erlangen die Menschen einen Vorsprung, während die anderen Menschen Schwierigkeiten haben. Die Menschen mit Vorsprung werden dann vom System höher angesehen, gelobt und bewundert. Die anderen Menschen werden dann für schwach gehalten. Aber das System selbst funktioniert wie die Diskriminierung der Frauen oder der Schwarzen. Zum Beispiel erlangen Weiße vom System Vorteile gegenüber Schwarzen. Das ist genauso wie bei Audismus, das System der Vorteile, welches auf der Hörfähigkeit basiert. So werden Menschen mit Hörfähigkeit auf dem Laufband weiter kommen als Menschen ohne Hörfähigkeit. Das war die zweite der drei Ebenen.

    Aber woher kommt der Audismus der zweiten Ebene?

    Gehen wir nun zum dritten Level, der ideologischen Ebene. Ideologie schwirrt über unseren Köpfen. Kein Baby wird mit diskriminierender Haltung geboren und ist gegen niemanden diskriminierend. Das Baby wird ohne Hintergedanken geboren und wird von der Ideologie beeinflusst. In den Köpfen der Babys werden Überzeugungen und Glaube gespeichert. In Bezug auf Audismus wird seit langem Philosophie und Überzeugung verfestigt .

    Menschen und Tieren werden durch Sprache getrennt gesehen . Das orale Sprechen ist die Sprache. Das Gebärden wird für niedriges Niveau gehalten. Diese Überzeugung besteht schon seit langer Zeit.

    So, durch die Sprache distanzieren Menschen sich von Tieren und halten sich für besser.

    Aber die Sprache selbst ist immer oral und akustisch? Der Wert der Gebärdensprache wird niedriger angesehen. Menschen, die gebärden, werden für subhuman gehalten und niedriger angesehen. Es besteht die Überzeugung, dass Menschen, die das vokale und orale Sprechen nicht beherrschen, sich ändern müssen, dass ihre mangelnde Fähigkeit repariert werden muss, damit sie sich Menschen mit höherem Rang nähern können, bis zur Gleichstellung.

    Aber die Ideologie wurde nicht geändert. Die Gesellschaft versucht, die Menschen zu ändern. So ist es die ideologische Überzeugung auf der dritten Ebene des Audismussystems, welche die zweite Ebene, auf der sich Ärzte und Pädagogen befinden, beeinflusst. Und der zweite Level den ersten, die Individuen! Die Individuen übernehmen und verinnerlichen die Ideologie und geben sie weiter, so dass die Ideologie weiter bestehen bleibt. So entsteht ein unaufhörlicher und ewiger Kreislauf innerhalb dieser drei Ebenen.

    Mit einem Wort wird der Kreislauf unterbrochen. Mit einem Wort werden Gedanken aufhören und sich verändern. Die Diskriminierung gegen Frauen wird sich verringern. Diskriminierung gegen andere Gruppen verkleinert sich. Die Diskriminierung gegen Taube muss auch verringert werden.

    Das Wort Audismus wurde von vielen Hörenden abgelehnt. Wie würdest du es ihnen erklären?

    Das Wort Audismus wird von meisten Hörenden sowie auch Tauben völlig und "gewaltsam" abgelehnt. Dieses Wort soll von beiden Seiten akzeptiert und als positiv gesehen werden. Zum Beispiel würde ich als Hörender mich nicht gut fühlen, wenn ich anderen diskriminiere. Und die Beziehung zu Menschen, die von mir diskriminiert werden, wäre nicht gut. Wenn ich sie unterstütze und fördere, würde ich mich besser fühlen. Mit der Diskriminierung der Tauben verliert die Hörendenwelt seit langem viele Dinge. Wir Hörenden dachten immer, dass die Sprache gleich das orale und vokale Sprechen heißt und das Gebärden nicht. Jetzt bekommt die Gebärdensprache die Aufmerksamkeit und wird in die Gruppe der Sprachen aufgenommen. Manche Hörende sind visuell orientiert, können nicht so gut auditiv wahrnehmen und können von der Gebärdensprache profitieren. Sie können sich intellektuell besser entwickeln, wenn ihre visuelle Orientierung gefördert wird. So haben Hörenden den Profit! Durch das Wort Audismus trennen sich die Hörenden nicht mehr von den Tauben, sondern unterstützen sie. Es ist auch der Profit der Hörenden!

    Audismus bedeutet also nicht nur Negatives. Damit wird nicht gegen alles protestiert. Damit wird aber auf eine schlechte Beziehung aufmerksam gemacht, sodass eine Verbesserung der Beziehung möglich wird. Davon können Hörenden, die aufgeklärt werden sollen, auch gut profitieren!

    Audismus ist ja negativ und heißt selbst auch die Unterdrückung. Zeige ihn den Hörenden! Davon können beide, Taube und Hörende profitieren.

    Sind das Wort Audismus und Taubsein (Deafhood) gleich oder ganz anders?

    Sind Audismus und Taubsein (Deafhood) gleich und haben eine Verbindung? Sie sind ja unterschiedlich, aber ... Mit dem Taubsein wird versucht, gegen die Unterdrückung vorzugehen. Die Unterdrückung kann bei Menschen zu einer negativen Krise führen, die aber sich reinigen können, was zu einem guten Gefühl und zu Gedanken führen kann, dass man auf Taubsein stolz sein kann und es toll findet. All die Probleme, die man in sich aufgenommen hat , machen schwach. Also, durch Taubsein kann der Audismus verringert werden. Je weniger Audismus, desto stärker das Taubsein! Es gibt also die Verbindung durch eine "Balance". Ja, es gibt die Verbindung!

    Paddy Ladd dachte wohl z.B. an die Taubengeschichte, damals wollten Oralisten, dass taube Erwachsene, die der Gebärdensprache ganz mächtig sind, niemals in der Taubenschule unterrichten. Das ist schon seit 200 Jahren so, auch wenn überall gebärdet wurde. Und bei Gedanken an eine Taubenwelt heute ohne Oralisten wären Tauben weit entwickelt und intelligent.

    So lange noch Oralismus herrscht, werden taube Menschen unterdrückt, das ist schon immer so gewesen in der Taubengeschichte. Mit dem Taubsein wird eine Vorstellung von einem Leben ohne Unterdrückung verbunden und versucht, die Unterdrückung zu beenden.

    Aber ich frage mich wirklich, ob es noch die starke Taubenidentität geben wird, wenn in der Gesellschaft alle gebärden und alle Hörenden und Tauben zusammenleben können. Ob die Hörfähigkeit noch beachtet wird, wenn alle Hörenden und Tauben, also die gebärdensprachigen Menschen, gebärden können. Da habe ich wirklich Zweifel.

    Gibt es die Taubenidentität ohne Unterdrückung? Es gibt also die interessante Beziehung zwischen Unterdrückung und Identität!

    Soll über beide Wörter Audismus und Taubsein z.B. bei Vorträgen gleichzeitig aufgeklärt werden oder besser getrennt? Was denkst du?

    Soll über Audismus und Taubsein bei Vorträgen und Aufklärung gleichzeitig aufgeklärt werden oder zu unterschiedlichen Zeiten? Ich denke aber, dass es eine gute Idee ist, wenn beide zusammen erklärt werden. Manche Menschen werden wacher und können die Unterdrückung erkennen bei meiner Aufklärung zum Wort Audismus. Aber in der Taubenwelt gibt es mehr als nur Unterdrückung, Unterdrückung, Unterdrückung... Nein, es gibt mehr! Was? Taubsein! Die positive und negative Seite gehört zusammen. Das Bild der Taubenwelt wird dadurch richtig vollständig. Taube sollen sich nicht vor anderen beugen und unterdrücken lassen, sondern dagegen kämpfen mit dem guten Gefühl, dabei gemeinsam in der Taubengemeinschaft zu sein. Es gibt also nur die negative Seite bei einseitiger Aufklärung über Audismus. Die Taubenwelt soll sich nicht nur auf die negative Seite konzentrieren, sondern sich auch davon lösen. Es soll nicht immer die defensive Abwehr geben. Taube sollen den Hörenden durch ihre Offensive überholen, nicht durch die Unterdrückung hinterher laufen. Die Hörendenwelt wird dann folgen!

    Taube können die Hörenden ja überholen. Zum Beispiel beim Filme drehen, wobei die Gebärdensprache auch das Zoomen und den Schnitt enthält wie beim Filmen. Zum Beispiel das Baum oder das Auto in verschiedene Perspektive . Die Tauben, die filmen, haben schon bereits die "Filmsprache" Taube sollten mehr Experimente mit der Gebärdensprache und dem Filmen machen, dadurch entstehen neue Ideen und ein neuartiger Film könnte entstehen. Es gibt noch keine große Bewegung der Tauben in der Filmszene. Kleine aber schon. Ich denke, dass Taube sich groß in die Filmwelt einmischen sollten.

    Und auch mit der Gebärdensprachpoesie. Die Hörenden versuchen seit langem, die Poesie z.B. mit der Körpersprache zu visualisieren. Die Gebärdensprache hat es aber schon! So haben Taube die Hörenden überholt!

    Es gibt noch mehr Bereiche, in denen die Tauben durch die Gebärdensprache die Hörenden überholen.

    Durch diesen Vorsprung können Taube mehr erreichen. Und man soll die Celebration der Gebärdensprache machen, denn sie ist wirklich menschlich und existiert nur durch die starke Taubengemeinschaft. Durch die Überholung werden Hörende großen Gefallen an der Gebärdensprache finden.

    Aber jetzt lehnen die Hörenden es ab, dass taube Babys die Gebärdensprache erlernen. Es macht wirklich keinen Sinn, überhaupt keinen. Die Gebärdensprache soll richtig gefördert werden durch ihre Würdigung.

    Wie gebärdet man das Wort Audismus? Es gibt dafür verschiedene Gebärden. Gibt es eine einheitliche Gebärde?

    Das Wort Audismus hat tatsächlich viele verschiedene Gebärden. In der ASL wird er aber nur "Audism" fingeralphabiert, ohne eine Gebärde. Ich möchte selbst nicht entscheiden, wie das Wort gebärdet werden soll. Lassen wir die Sprachen sich selbst auf natürlicher Weise entwickeln. Irgendwann einigt man sich aus verschiedenen Gebärden zu einer besten. Ich urteile nicht über die bisherigen Gebärden. Es wird auf natürlicher Weise eine Gebärde entstehen. Vielleicht dauert es noch 5 Jahre bis zu einer Einigung. Ich mag diesen Gebärde, sie ist italienisch, glaube ich. Das mit der Gebärde für Unterdrückung für Audismus macht ja Sinn. In der ASL wird aber fingeralphabiert. Ganz unterschiedlich auf natürlicher Weise. Es wird sich ja noch entwickeln!

    Das Wort Audismus entstand im Jahre 1975. Dann verschwand es und tauchte später wieder auf. Was passierte während dieser Zeit? Warum und wie tauchte es wieder auf? Kannst du das erklären?

    Ja, gut! Das Wort Audismus entstand tatsächlich im Jahre 1975 durch Tom Humphries. Er versuchte ein Wort für die Unterdrückung zu finden und sie zu erklären und ist dann auf Audismus gekommen. Er hat auch ein Buch geschrieben. Und das Wort Audismus wurde etwas verbreitet, aber nicht stark genug, deshalb verschwand es wieder. Danach kam nichts zu diesem Wort, kein Artikel, kein Film, einfach nichts. Später im Jahre 1992 tauchte es wieder auf. Während dieses langen Zeitraums dazwischen wurde das Wort Audismus im Jahre 1988 bei der "Deaf President Now"-Bewegung, wo es Proteste in der Gallaudet Universität gab, nicht verwendet, auch nicht, wenn man von der Unterdrückung und der Befreiung der Unterdrückung sprach. Beim Buch "Die Maske der Barmherzigkeit" von Harlan Lane tauchte das Wort aber wieder auf und wurde auch darin erklärt. Dadurch wurde dieses Wort wieder etwas verbreitet, z.B. in anderen Büchern. Es gab aber bis zum Jahr 2000 keine massenhafte Verbreitung. Ich unterrichte eine Klasse an der Gallaudet Universität und musste feststellen, dass keiner von der Klasse das Wort kannte. Aber ich kannte das Wort und sie nicht, was ich merkwürdig und falsch fand. So habe ich mit der Verbreitung und der Diskussion an der Gallaudet Universität angefangen. Dort wurde es zu meinem Erstaunen viel diskutiert und weit verbreitet. Dass die Diskussion aber nur einmal stattfand und wieder verschwand, ist nicht gut. Sie soll immer weitergehend stattfinden. Dann kam der Film durch die Klasse, die aus 20 Studenten bestand, aus dem Jahre 2002 an der Gallaudet Universität. Wir haben den Film ein Jahr lang gemacht und ihn vor dem großen Publikum an der Gallaudet Universität gezeigt. Das Publikum haute der Film total um. Dann gab es starke Verbreitung und der Film wurde immer wieder vorgeführt. Erst an der Gallaudet Universität, dann aber weltweit. Jetzt im Jahre 2007 ist der Film bereits stark verbreitet, weil er in vielen Ländern wie z.B. Schweden, Norwegen, Südkorea und auch hier in Dänemark gezeigt wurde. Jetzt kennen es viele Leute. Während des Protestes an der Gallaudet vor einem Jahr wurde das Wort immer wieder verwendet und auch in Zeitschriften und anderen Medien verbreitet. Ich hoffe, dass das Wort bald in die Wörterbücher eingetragen wird. Sicherlich wird es bald passieren!

    Vielen Dank!



Zuletzt geändert von bengie am 07.01.2008, 15:26:01, insgesamt 1-mal geändert.

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[lol]

Mein Respekt! Ich weiß ja selber, wieviel Arbeit das
bedeutet ;) Zwei Übersetzungen schaden nicht, im
Gegenteil. Danke dir! :)



Spitzenmitglied



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Aloha bengie,

auch dir danke für die tolle Übersetzungsarbeit. [lol]

Frage: wie genau heisst der Film von den 20 Gallaudet-Studenten?


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



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Audism Unveiled,

wenn ich mich nicht irre. Mich würde der Film auch
sehr interessieren. Ist nicht bei YouTube, schade! :)

PS: Auf deutsch hieße es in etwa Audismus unverschleiert.



Spitzenmitglied



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Ja genau, "Audism Unveiled". Ich weiß nicht, wie man den
tollen Film kriegen kann. Auf jeden Fall gibt es die Möglichkeit!

Auf Deutsch kann es auch "Audismus unverhüllt" heißen :D



Spitzenmitglied



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I.K. sei Dank.
Baumann hat einfach und klar gesagt was mit Audismus
gemeint ist.

Hartmut und Bengie, ihr beide habt mit langen komplizierten
Wörtererklärungen und zusammenmixen von
Audismus mit genozid und "Taubsein ist schön" verhindert,
das die verschiedenen TeilnehmerInnen hier im Forum zu
einer vernünftigen Einigung über Audismus kommen konnten.
Nicht hilfreich war auch die ständige "USA loberei" und
"Deutschland schlechtmacherei".

Fazit:Audismus hat jeder Hörbehinderte schon mehr oder ganz wenig
persönlich erlebt. Wir nannten es Diskriminierung oder Benachteiligung
oder Unterdrückung.
Und ganz wichtig:
Wer zustimmt, das es Audismus gibt und man dagegen was tun soll,
der muss NICHT zustimmen "taubsein ist schön". Und auch nicht
bis ins Detail den theoretischen Abhandlungen zustimmen wo
Audismus als Ideologie und System beschrieben werden.

Ich habe den konkreten Verdacht, bestimmte Leute wollen garnicht
das die tauben Menschen in Deutschland gemeinsam für bessere
Lebensqualität und Anerkennung arbeiten.
Die wollen lieber als mutige Anti-Audisten gegen böse
Audisten kämpfen.



Spitzenmitglied



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CharlyBrown,

es liegt einfach daran, dass du von mir und Hartmut angegriffen fühlst und
einfach gegen alles wehrst, ganz egal was wir gesagt haben. Dirksen Bau-
man ist ein neutraler Person und wird ganz leicht von dir zugehört und zu-
gestimmt.

Dass du nur dem IK "dank" sagtest, erklärt auch, dass du mich persönlich
ablehnst. Denn ich habe das Video mitgedreht, Fragen mitgestellt, es im In-
ternet selbst veröffentlicht, es hier angekündigt und die Übersetzung wie IK
auch gemacht habe.

Wenn man mich ablehnt, kann mich einfach nicht zuhören, egal was ich sage!

Und hat Dirksen Bauman wirklich gesagt, dass man "nicht bis ins Detail den
theoretischen Abhandlungen zustimmen, wo Audismus als Ideologie und Sys-
tem beschrieben werden,
" braucht?

Dirksen Bauman erklärt die Ideologie und Institutionen verantwortlich für den
Audismus!

Und wie ich bereits geschrieben habe, gehe ich noch skeptisch mit dem Wort
Genozid um. Ich möchte hier im Forum doch vieles offen legen, was ich in
Dänemark gelernt habe. Soll ich doch lieber daraus "Geheimwissen" machen?



Spitzenmitglied



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hi Bengie,

meinen Respekt, eine tolle Arbeit von dir.

Deine Parallelübersetzung mit etwas anderen Formulierungen ist auch sehr interessant
und rundet das Ganze ab.


Pyros



Spitzenmitglied
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„Alien IV“ („Alien – Die Wiedergeburt“) – Film schon gesehen? Dieser Film versuchte, schwerbehindertenfreundlich zu sein, na ja. Darin besteht eine militante Truppe von Weltraumpiraten aus verschiedenen „behinderten“ Individuellen. Der eine ist ein Monster mit verzerrtem Gesicht (für mich aber trotzdem hübsch) und der andere ist ein kleinwüchsiger Rollstuhlfahrer. Auch selbst in einer extremen Kampfhandlung musste ein Kampfgenosse diesen bei sich tragen bzw. mitschleppen, auch beim Wassertauchen und Hinaufklettern usw., na ja. In diesem Film ist niemanden eingefallen, eine Rolle als mitkämpfenden Tauben aufzustellen. Ja, Taube seien für eine elitäre Truppe lästig, ja, ja, einen Gehbehinderten zu tragen ist es leichter als für Taube zu dolmetschen, tja. Es herrscht die audistische Welt.

Gehörlosenführungen können an diesem Begriff Audismus nicht mehr vorbeikommen.

@bengie,
dir natürlich auch Dank für eine Menge Arbeit. Und vor allem für die große Schrift, ja, endlich. Gestern spätabends wollte ich auch dieses Video-Interview verschriftlichen. Aber ich ginge lieber ins Bett.


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



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Danke sehr, ihr beide großbemühte Übersetzer IK & bengie!!! Bin nun
gespannt, was die anderen nun denken/sagen, vor allem die Späties & Co. ...


_________________________
Meine Hände sterben, stirbt mein Herz...



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Laut Dokument von Dirksen Bauman ("Audism: Exploring the Metaphysics
of Oppression") das man im Internet runterladen kann, ergeben sich
derzeit drei mögliche Definitionen für Audismus:
Quelle: http://jdsde.oxfordjournals.org/cgi/reprint/9/2/239

    Audismus

    1. Die Einstellung bzw. Annahme, dass ein Mensch dann überlegen ist,
    wenn er/sie hören kann oder sich wie hörend verhält.
    2. Ein "System von Vorteilen" basierend auf der Fähigkeit des Hörens.
    3. Eine metaphysische Denkweise, die die Identität eines Menschen mit
    dem Sprechenkönnen verbindet.

    Der 1. ist von Tom Humphries (1975) die erste Definition, die 2. von Wellman
    (1993) entnommen aus dem Rassismus und entstanden aus einer Diskussion
    mit Lane (1992) über institutionelles Audismus. Die 3. wurde von Bahan und
    Bauman bei der Deaf Studies VI Konferenz präsentiert.


Aloha bengie,

kann es sein, dass Dirksen Bauman nur zu der 2. Definition Antworten
gegeben hat, aber andere Definitionen bewusst nicht erwähnt?

Aloha CharlyBrown,

zu "taubsein ist schön", Dirksen Bauman erwähnt auch was von "Stolzsein".
Ich denke, je mehr Unterdrückung, umso stärker die Identität - und damit
auch der Stolz.
Daraus kann man schliessen: würde die Gebärdensprache mehr zugelassen
und mehr Hörende gebärden können, dann brauchen taube Menschen nicht
unbedingt auf ihre Identität stolz zu sein. Weil dann eine gemeinsame
Sprache selbstverständlich ist. Oder?


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



Zuletzt geändert von Lukbo am 08.01.2008, 01:35:21, insgesamt 2-mal geändert.

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-- gelöscht [nerv]


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



Zuletzt geändert von Lukbo am 07.01.2008, 18:56:26, insgesamt 1-mal geändert.

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offline
-- gelöscht


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



Zuletzt geändert von Lukbo am 07.01.2008, 18:56:08, insgesamt 1-mal geändert.

Spitzenmitglied



offline
Bengie, die Übersetzung von I.K. hat mir ein anderer Teilnehmer
per E-Mail geschickt. Ich hab darauf "I.K. Dank" mit WORD
geschrieben und den Text danach schnell ins Forum gestellt.
Erst danach sah ich, das Du auch eine Übersetzung reingestellt
hast.

Klar, Du verdienst Lob und Dank für das Video.

Ich hab nichts gegen Dich und fühl mich nicht angegriffen.
Aber es ist schwierig mit Dir diskutiueren wenn Du darauf
bestehst, das nur Deine und Hartmuts Definitionen richtig
sind und andere Meinungen falsch sind.

Warum hast Du nicht gleich am Anfang der Diskussion vor
Wochen eine Übersetzung ins Forum gestellt?!
Dann wären einige Missverständnisse über Audismus garnicht
erst enstanden. Andere Teilnehmer hätten auf aufgrund der
klaren Definition von Baumann den Begriff Audismus leichter
akzeptiert.



Spitzenmitglied



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Lukbo,
stimmt, überall dort wo Gl von den Hörenden gleichberechtigt
anerkannt sind, brauchen die Gl nicht "Stolz" sein und nicht
ständig ihr "Gl-sein" betonen.
In vielen Firmen und normalen Sportvereinen sind Gl als
Kollegen oder Sportkameraden anerkannt, manche sogar
hoch angesehen.
Leider ist es nicht überall so, oft werden Gl benachteiligt,
ausgenutzt, unterdrückt.
Da ist noch sehr viel zu tun, bis die Mehrheit der Hörenden
taube Menschen als ebenbürtige Menschen ansieht.



Spitzenmitglied



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Lukbo,

Dirksen Bauman hat alle 3 Definition bei seinem 5 stündigen Vortrag im
Castberggård in Dänemark erwähnt und auch im Interview gesagt. Bau-
man spricht (auch im Interview bei seiner dritten Antwort) von drei Ebe-
nen des Audismus: Individuell, Institutionell und Ideologisch.

Die erste Definition von Humphries sagt über den individuellen Audismus
(die erste Ebene), die zweite von Wellman über den institutionellen Audis-
mus (die zweite Ebene) und die dritte von Bahan und Bauman über den
ideologischen Audismus (die dritte Ebene).

Nochmal zur ersten Definition, die Bauman in seinem Interview bei seiner
dritten Antwort erwähnt hat:
    "So, der erste Level ist also der individuelle Audismus, wo In-
    dividuen davon überzeugt sind, dass das Hören und das Spre-
    chen der Taubheit übergeordnet ist. Es sind also Menschen mit
    dieser Überzeugung.
    " (aus meiner Übersetzung)

    "Und Einzelpersonen haben auch die Überzeugung, dass es bes-
    ser ist, Hören und Sprechen zu können. Hörende werden also
    besser gestellt als Gehörlose.
    " (aus der Übersetzung von IK)

Und zur dritten Definition, die Bauman im Interview erwähnt hat:
    "Menschen und Tieren werden durch Sprache getrennt gesehen.
    Das orale Sprechen ist die Sprache. Das Gebärden wird für nied-
    riges Niveau gehalten. Diese Überzeugung besteht schon seit lan-
    ger Zeit. So, durch die Sprache distanzieren Menschen sich von
    Tieren und halten sich für besser. (...) Menschen, die gebärden,
    werden für subhuman gehalten und niedriger angesehen.
    "
    (aus meiner Übersetzung)

    "Seit langem sind Philosophen der Ansicht, dass der Mensch
    sich vom Tier durch die Sprache unterscheidet und zwar die Laut-
    sprache. Gebärdensprache wird als minderwertig angesehen. Die-
    se Ansicht hat sich bis heute gehalten. Durch die Geringschätzung
    der Gebärdensprache wird der Gehörlose als Untermensch ange-
    sehen.
    " (aus der Übersetzung von IK)

Er sagt nicht ganz über die Metaphysik. Die Metaphysik (Lehre von den
letzten, nicht erkennbaren Zusammenhängen des Seins, vom Übersinn-
lichen
) hat was mit Übersinnliches zu tun. Die Ideologie kann man nicht
sehen und ist (meiner Ansicht nach) deshalb metaphysisch. Und Bauman
sagte, dass Menschen sich von Tieren durch die Lautsprache abgrenzen.
Die Menschen haben die "menschliche" Identität durch die Lautsprache.
Nach der Ideologie sprechen die Taube nicht die Lautsprache wie die
Tiere und haben deshalb nicht die menschliche Identität. Und die drit-
te Definition sagte, dass die Ideologie (die metaphysische Denkweise)
die Identität eines Menschen mit dem Sprechenkönnen verbindet.

Und was du zuletzt über die mögliche Verringerung des Stolzgefühles ge-
schrieben hast, hat Bauman am Ende seiner 5. Antwort im Interview auch
gesagt! =)

CharlyBrown,

In Ordnung, nachdem du mir von dem Schreiben im WORD erklärt hast!

Und es ist auch schwierig mit dir zu diskutieren, wenn du mich immer das
Gefühl vermittelst, dass ich völlig falsch liege. Ich kann wirklich nicht ak-
zeptieren, dass Audismus nur Diskriminierung gegen tauben Menschen
heißt.

Das Video wurde gestern im Internet veröffentlicht. Viel früher könnte ich
aus verschiedenen Gründen nicht. Und Übersetzungen von IK und von mir
wurden heute veröffentlicht.

Und was Hartmut über Audismus schrieb, war meiner Meinung nach wirk-
lich klar genug. Er sagt wirklich nichts anders als Bauman. Hartmut sagte
(wie bei seinen Vorträgen in Deutschland) nicht über drei Ebenen.

Und Ich denke auch, dass ich nicht anders als Dirksen Bauman geschrieben
habe. Ich schrieb hier auch oft von der Ideologie. Wenn doch anders als Bau-
man, würde ich mich ja auf Hinweise freuen, wo Hartmut und ich anders ge-
schrieben haben.



Spitzenmitglied



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Aloha bengie,

danke, nun habe ich es besser verstanden! [dankem]

Du hast geschrieben:
    Nach der Ideologie sprechen die Taube nicht die Lautsprache wie die
    Tiere und haben deshalb nicht die menschliche Identität.

Ähm, ich glaube, da hast du vertippt? Die Tauben sprechen nicht die
Lautsprache wie die Hörenden - und nicht wie du schreibst die Tiere.

PS: Lustig finde ich, dass Dirksen Bauman ein Vergleich mit dem "Baby"
zieht, was ich auch geschrieben habe. Nur ein Zufall? [british]
http://www.gl-cafe.de/viewtopic.php?p=973993#973993


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



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Ich möchte zunächst auf den Beitrag von Paco eingehen. Paco, Du schreibst in Bezug auf meine These ("Der Spruch "Behindert ist man nicht, behindert wird man" mag ja geeignet sein, den Menschen Spendengelder aus der Tasche zu ziehen. Er geht aber an der Realität vorbei. Denn am Ende - bleibt eben doch immer der Körper mit all seinen Einschränkungen.")
Zitat:
Das sehe ich nicht so. Mag sein, dass diese Sichtweise an der jetzigen Realität vorbeigeht - sie ist aber notwendig für eine Änderung derselben! Der Begriff "behindert" wird schon lange diskutiert und man hat diese Perspektive eingeführt, um die Verantwortung der Gesellschaft zu betonen. Jede Behindertengruppe musste dafür massiv ihre Rechte einfordern. Ohne die "Krüppelbewegung" in den 70er Jahren, die mit ihren Rollstühlen die Schienen blockiert haben, hätten wir heute wahrscheinlich noch keine Niederflurbusse, Bordsteinabsenkungen und Aufzüge. Die politische Arbeit der Behindertenverbände führte dann zu einer Aufnahme des Diskriminierungsverbotes ins Grundgesetz, zur Forderung nach barrierefreier Teilhabe und zum Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Ich fürchte, dass ich mich nicht klar genug ausgedrückt habe. Natürlich hat die Gesellschaft eine Verantwortung für Behinderte und natürlich sind Nachteilsausgleiche und Diskriminierungsverbote nötig und gerechtfertigt. Und ebenso nötig und notwendig ist es, sich dafür einzusetzen. Mein Einwand bezog sich auf eine andere Ebene des Problems. Es wird im Rahmen der "Audismus-Theorie" und auch anderer Theorien immer so getan, als sei Behinderung ein bloß gesellschaftliches Problem. Mit anderen Worten in einer idealen Gesellschaft gäbe es keine Nachteile für Behinderte. Das sehe ich anders. Zunächst sehe ich die Gefahr, dass eine solche "ideale" Gesellschaft nur zum Preis von massiven Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu erreichen wäre. Wenn ich hier lese, was alles audistisch sein soll, so fühle ich mich an George Orwells Roman "1984" und den dort erwähnten "Neusprech" und die "Gedankenverbrechen" erinnert. Natürlich wäre es wünschenswert - ideal! - wenn alle 80.000.000 Millionen Bundesbürger die Gebärdensprache in Grundzügen beherrschten. Nur frage ich mich, ob man das Recht hat, alle Bundesbürger zu einem Grundkurs in DGS zu "verdonnern" (und warum dann nicht auch türkische etc.).

Des weiteren habe ich auf Grund meiner Hörbiographie (normal hörend - schwerhörig - taub (7 Jahre lange) - nun seit einem Jahr mit CI (gute Erfolge)) die Erfahrung gemacht, dass am Anfang eben doch die medizinisch-biologische Einschränkung steht. Vieles davon lässt sich ausgleichen - aber eben nicht alles. Das wird einem klar, wenn man etwas verliert, lernt mit dem Verlust zu leben und dann den Verlust wieder (ein stückweit) mittels medizinischer Technik ausgleichen kann. So lässt sich im Bezug auf Taubheit zwar vieles gesellschaftlich-kulturell ausgleichen, aber eines eben nicht - die Musik. Und auch die Einschränkungen in der Kommunikation lassen sich nur bedingt und teilweise ausgleichen.

Wenn ich nun schreibe, dass dieser Aspekt am Anfang stehen solle, so meine ich damit nicht, dass man Behinderungen um jeden Preis medizinische ausgleichen müsse. Ich will damit auch keinerlei Werturteil abgeben.

Des weiteren schreibst Du:
Zitat:
Bei dieser Diskussion spielt auch die Vorstellung von "normal" und "fremd" eine Rolle.
Richtig, eine "Theorie der Behinderung" müsste dazu Stellung nehmen. Sie müsste aber auch erklären, warum der Mensch "normalerweise" laufen, sehen, hören, schmecken etc. kann. Man kann glaube ich nicht darüber hinweg gehen, dass "Mensch" nun einmal eine "Idee" (schon bei Platon zu lesen) davon hat, was DER Mensch sei. Man könnte da auch statistisch herangehen - Stichwort "Gaußsche Normalverteilung. Man kann sicherlich auch konstatieren, dass viele Behinderungen uns zunächst einmal "fremd" erscheinen, so wie vielleicht der erste Mensch mit dunkler Haut, dem wir begegnen. Ja - und? Ich kann allein daran, dass wir davon reden, dass manches uns als normal erscheint und anderes als fremd noch nichts verwerfliches, diskriminierendes sehen. Diskriminierung ist eine Tat, eine Handlung! Somit kann die Diskriminierung erst auftreten, wenn ich handle, meinen Gegenüber irgendwie behandle. Die - in meinen Augen - entscheidene Frage wenn ich einem Behinderten, einem Farbigen oder Türken begegne ist nicht, ob ich diesen als fremd oder irgendwie unnormal ansehe. Die Frage ist, wie ich damit mit dieser Wahrnehmung umgehe: Mit Neugier? Mit Angst? Mit Zuneigung dem Neuen und Unbekannten gegenüber? Mit Abscheu? Alles ist möglich, alles passiert - täglich! Es lässt sich nicht dadurch ändern, dass man das, was als fremd oder un-normal wahrgenommen wird, irgendwie als normal deklariert.

Pnin



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@Bengie: Auch wenn Du auf meine Anmerkungen nicht (mehr?) eingehst erlaube ich mir doch ein paar kritische Bemerkungen zu den Deinigen.

Zitat:
... dass es mit der Anerkennung der Taubengemeinschaft als Ethnische Gruppe durch die neue Definition des Ethniebegriffes möglich ist.
So etwas bereitet mir persönlich immer Bauchschmerzen, weil hierbei das Pferd von hinten aufgezäumt wird: Man nehme einen Begriff, der einem gut ins (politische) Konzept passt und definiere ihn so lange neu, bis Realität und Begriffswelt zueinander passen. Wäre es nicht sinnvoller umgekehrt vorzugehen, also zu fragen, welche Begriffe eine bestimmte, wahrgenommene Situation möglichst adäquat bezeichnen?

Und was Du über das CI bei Kindern schreibst ist in meinen Augen ebenfalls nicht richtig. Wenn Du über die OP-Risiken berichten würdest, wenn Du kritisch hinterfragtest, wie es mit den Erfolgsaussichten einer solchen Operation aussieht ... alles Punkte, die man diskutieren könnte. Stattdessen wirfst Du den Eltern Audismus vor, stellst sie in die rechte Ecke. Die Sorge um das Überleben der Gehörlosengemeinschaft scheint Dir wichtiger zu sein, als das Wohl und Wehe eines einzelnen Kindes. Diese Argumentation gegen das CI wurde in ähnlicher Art und Weise von vielen hier benutzt. Selbst wenn ich - für einen Augenblick - davon ausgehe, dass die "Audismus-Theorie" richtig sei, so spielt sie meines Erachtens für die Entscheidung, ob man einem Kind ein CI implantieren solle oder nicht, keine oder höchstens eine sehr untergeordnete Rolle. Niemand würde gegen eine Unterschenkelprothese argumentieren mit dem Hinweis darauf, dass Gehen werde in unserer Gesellschaft überbewertet.

Im übrigen finde ich es etwas merkwürdig (noch höflich formuliert) jedem, der die Audismus-Theorie (wie sie bis zum Beitrag über D. Baumann dargestellt wurde) ablehnt oder kritisiert, gleich zu unterstellen, er sei gegen eine Gleichberechtigung von Behinderten.

Wenn Du davon sprichst, dass "das Gehör viel zu hoch bewertet wurde", dass "dass der Wert vom Hören und vom Sprechen relativiert werden" solle, fehlt mir auch hier eine Begründung. Die Argumentation läuft nach dem üblichen Schema ab: Zunächst wird behauptet, das Hören werde überbewertet. Dann fragt man nach, warum, wieso, weshalb! Als Antwort bekommt man zu lesen, dass die CI-Implantation bei Kindern audistisch sei, weil damit offensichtlich sei, dass das Hören überbewertet werde. Man bekommt also immer nur Beispiele für Handlungen, die - angeblich - zeigen, dass das Hören überbewertet werde. Das ist in etwa so, als behaupte man das Gemälde die "Mona Lisa" sei überbewertet. Fragt man nach den Gründen erhält man als Antwort, weil alle Welt sie sehen will und im Louvre in Paris deshalb Schlange steht. Tut mir ja leid, aber ich habe das Gefühl, da fehlt etwas in der Argumentationskette.

Pnin



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Pnin: Danke für die Erklärungen, ok – jetzt habe ich es verstanden. Beide Sichtweisen (die Betonung auf der Verantwortung der Gesellschaft, die sich in dem Spruch „behindert ist man nicht, behindert wird man“ äußert, ebenso wie die Betonung auf der Verantwortung jedes einzelnen) ergeben letztlich eine Balance.

Zum Beitrag von Bauman, Zitat aus bengies Beitrag:

"Menschen und Tieren werden durch Sprache getrennt gesehen.
Das orale Sprechen ist die Sprache. Das Gebärden wird für nied-
riges Niveau gehalten. Diese Überzeugung besteht schon seit lan-
ger Zeit. So, durch die Sprache distanzieren Menschen sich von
Tieren und halten sich für besser. (...) Menschen, die gebärden,
werden für subhuman gehalten und niedriger angesehen."


Wer denkt denn heute noch, dass Sprache im wesentlichen Sprechen ist? Das kann doch auch Bauman nicht wirklich gemeint haben.
Ich habe schon vor Jahrzehnten gelernt, dass man Sprache als ein Zeichensystem definiert. Sprechen ist nur eine mögliche Form des Ausdrucks von Sprache. Es gibt bei den Sprachwissenschaftlern allenfalls unterschiedliche Schwerpunkte, z.B. ob man die kognitiven Funktionen (Bedeutung für die Entwicklung des Denkens) oder die kommunikativen Funktionen von Sprache (Bedeutung für die Verständigung) in den Mittelpunkt stellt.

Jedem aufgeklärten Menschen kann man verständlich machen, dass Gebärdensprache eine geeignete Sprache für Menschen ohne Hörsinn ist. Keiner dieser Menschen wird gebärdende Gehörlose, denen er begegnet, als Untermenschen ansehen. Das empfinde ich als eine völlig überzogene Dramatisierung. Die meisten hörenden Mitmenschen, denen ich begegnet bin, gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass in Gehörlosenschulen gebärdet wird – sie sind überrascht, wenn man erklärt, dass das nur teilweise der Fall ist…

Ich denke, dass das Haupthindernis zur Akzeptanz der Gebärdensprache nicht das Individuum ist, sondern die Ebene der Institutionen. Und da hat sich sehr viel geändert – jedenfalls auf Seiten der Schulen, da kann ich mir ein Urteil erlauben. Zuallererst haben Eltern aber mit Ärzten zu tun, da habe ich weniger Einblick in die Entwicklung der vergangenen Jahre. Ärzte sind Mediziner, keine Pädagogen oder Psychologen. Es wurde schon genug an anderer Stelle darüber geschrieben, dass eine gute Elternarbeit in der Frühförderung das Allerwichtigste ist. Gerade hier braucht man sehr viel Empathie – ich kann mir nicht vorstellen, dass gehörlose Menschen, die die Entscheidung der Eltern für ein CI als audistisch einschätzen, bei ihnen irgendeine Bereitschaft zum Erlernen der Gebärdensprache wecken können. Und genau um diese Menschen muss es doch gehen! Man braucht Verständnis dafür, was Hören für die Eltern bedeutet…….dann erst hat die Gebärdensprache eine echte Chance!

bengie:
Zitat:
Der Sinn der Bewegung rund
ums Audismusbegriff ist die Gleichstellung der Tauben und Hörenden. Wer
gegen Audismus spricht, spricht auch einfach gegen Gleichberechtigung!
Das ist bei viele Zweifler hier zu beobachten, dass sie die Gleichberechti-
gung ablehnen.

Ja, ich stimme mit dem Audismusbegriff aus unterschiedlichen Gründen nicht überein. Daraus ziehst du also den Schluss, dass ich gegen Gleichberechtigung sei? Du hast ja wohl ne Meise [crap] . Damit bestätigt sich meine Befürchtung, dass dieser Begriff eher in der Lage ist, Gehörlose und Hörende zu trennen als zu vereinen.

Und was die Sorge um die Zukunft der Gehörlosengemeinschaft angeht:
Zitat:
Wenn deine Feststellung aber stimmt, dass es mit der Sor-
ge um die Taubengemeinschaft zusammenhängt, ist die Bewegung rund
um Audismusbegriff dann deshalb sinnlos?

Es kommt drauf an, ich befürchte, dass es ein Bumerang wird.

Hartmut: Nein, ich habe keine Marktplatzbeiträge abgespeichert.



Spitzenmitglied



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Pnin,

vielleicht kannst du besser der Studentin oder gar den Professoren der Eth-
nologie deine Meinung sagen. Ich habe sie nachgefragt, warum sich die De-
finition verändert hat. Sie hat vom Holocaust und der Apartheid gesprochen,
woran ich mich jetzt nicht mehr gut erinnern kann. Ich versuche aber: Die
Ethnologen haben sich nach dem Holocaust der Juden und der Apartheid der
Schwarzen in Südarfika von der Blutverwandtschaft als Hauptkriterien einer
Ethnischen Gruppe distanziert. Mehr oder besser kann ich nicht erklären.

Und zum CI bei Kindern: Kannst du mich vielleicht zitieren, was, wann und
wo ich zu diesem Thema geschrieben habe. Vielleicht ist es bereits Monate
her? Das OP-Risiko war schon immer der allerletzte Gegenargument von mir
;o) Wo habe ich geschrieben, dass ich den Eltern Audismus "vorwerfe"?
Das Wort Vorwurf ist wirklich falsch, denn ich habe bisher niemanden vor-
geworfen, sondern nur die Tatsache von Existenz des Audismus oder der
audistischen Handlung erkannt oder festgestellt. Ist es ein Vorwurf, wenn
ich z.B. sage, dass du ein Mensch bist? Unsinn, ja!

Und ich habe immer gesagt, dass die Institutionen und die Ideologie für Au-
dismus verantwortlich sind, nicht die Individuen, die den ideologischen Au-
dismus aber reproduzieren.

Meinst du wirklich, dass es den Kinder immer besser geht, wenn sie das CI
bekommen? Den vielen geht es wirklich schlechter, wie ich selbst erlebt ha-
be. Es gibt Opfer des CIs, die die Gemeinschaft und die Gebärdensprache
viel später entdeckt haben und sich dann sehr über die "CI-Industrie" auf-
geregt haben. Die Taubengemeinschaft ist wie ein Fels in der Brandung fürs
"Wohl und Wehe eines einzelnen tauben Kindes". Was ist aber, wenn sich
diese Gemeinschaft verschwindet, wo dieser Schwund von dir gleichgültig
beobachten wurde?

Um mein Leben und meine Zukunft habe ich wirklich nicht viele Sorge. Ich
mache wirklich mehr Gedanken um die Zukunft der deutschen Taubenge-
meinschaft, nur weil ich möchte, dass es den anderen Tauben in der nähen
Zukunft auch genauso gut gehen soll, wie mir. Ich lege einfach viel Wert auf
die Taubengemeinschaft.

Und zur Argumentation der Überbewertung des Gehörs:

Dass taube Menschen hohe Lebensqualität haben können und vieles errei-
chen können (ja, können! Weil nicht bei allen so), wissen die Audisten nicht.
Die Audisten denken, dass die Hörfähigkeit eine Voraussetzung für ein men-
schliches Leben ist. Denkweise wie "Ohne Gehör geht einfach nichts mehr!"
Ich erlebe hautnah mit, wo das Gehör überbewertet wurde. Hier liste ich ei-
nige Fragen der Hörenden auf:
    - Wie können Taube die Straße überqueren?
    - Können sie Sex machen? Ja, wie?
    - Können sie am Computer arbeiten?
    - Können sie wirklich mit einem Partner leben? Wie?
Die Frage zum Geschlechtsverkehr wurde sogar von einem hohen Tier, der
einen Chefposten bei einer großen Firma hat, gestellt! Da soll man nicht so
einfach von der Ahnungslosigkeit sprechen, denn solche Fragen werden be-
stimmt kaum bei Rollstuhlfahrer gestellt.

Da kann man wirklich von der Überbewertung des Ganges sprechen, wenn
die Fragen wirklich gestellt werden, ob die Rollstuhlfahrer die Straße über-
queren können und am Computer arbeiten können.

Ob der Gang in unserer Gesellschaft wirklich überbewertet wurde, musst du
erstmal argumentieren. Sonst brauchst du nicht diesen Vergleich machen.

Ich hoffe, dass dir diese Argumentation genügt. Ich würde mich wirklich in-
teressieren, wie die Frauen bzw. Schwarzen erklären würden, warum, wie-
so, weshalb
die Weiblichkeit bzw. die dunkele Hautfarbe mit der Männlich-
keit bzw. der hellen Hautfarbe gleichgestellt werden sollen. Kannst du viel-
leicht versuchen, eine Erklärung zu finden? Für mich nicht einfach, denn es
ist für mich eine reine Selbstverständlichkeit, dass Frauen, Schwarze und
auch Taube gleichwertig sind.

Und wenn du schon so sagtest:
    Nur frage ich mich, ob man das Recht hat, alle Bundesbürger
    zu einem Grundkurs in DGS zu "verdonnern" (und warum dann
    nicht auch türkische etc.).
Es würde mich wirklich interessieren, wie du den Audismusbegriff und des-
sen Bewegung verstehst.

Ich hoffe auch, dass dir klar ist, dass die meisten Ertaubte nie erleben und
wissen können, wie die Taube das Taubsein erleben. Die Erlebnisse mit dem
Taubsein der Tauben und der Ertaubten sind grundverschieden. Daher sol-
lst du auch ganz vorsichtig mit der Bedeutung der Taubheit und der Tau-
bengemeinschaft umgehen.



Spitzenmitglied



offline
Paco,

bestimmt meint Bauman nicht, dass es galt, dass die Sprache allein das
Sprechen heißt. Dass die Gebärdensprache auch eine Sprache ist, ist seit
wenigen Jahrzehnten klar. Und die Gebärdensprache wurde heute auch nur
in wenigen Länder anerkannt. Hier in Deutschland erst seit 6 Jahren.

Dass in der neuen UN-Konvention im zweiten Artikel extra eingebaut wur-
de, dass die Sprache Laut- und Gebärdensprachen sowie andere nichtsprach-
liche Kommunikationsformen umfasst
, erklärt auch, dass diese Definition der
Sprache noch nicht selbstverständlich ist.

Man muss schon dabei denken, dass der Audismusbegriff nicht nur den
Deutschen gilt, sondern allen Menschen, auch in Entwicklungsländern, wo
die Gebärdensprache kaum beachtet wird und der Wert der Taubheit noch
viel geringer ist.

Keiner dieser Menschen wird gebärdende Gehörlose, denen er begegnet,
als Untermenschen ansehen. Das empfinde ich als eine völlig überzogene
Dramatisierung.


Wie willst du das Verhalten der Pädagogen und der Oralisten damals und
heute erklären, die mit allen Mitteln versuchen, taube Menschen das Spre-
chen und das Hören beizubringen. "Subhuman" heißt auch sowie "Minus-
mensch", "Mensch, dem etwas fehlt" oder "unvollständiger Mensch".

Kannst du vielleicht begründen oder erklären, warum die Entscheidung für
CI nicht audistisch sein soll und nichts mit dem Audismus zu tun haben soll?
Nur weil Eltern nicht damit belastet werden sollen?

Und nochmal, gegen Audismus wird nicht mit Vorwürfe gekämpft, sondern
nur mit Aufklärung!

Ja, ich stimme mit dem Audismusbegriff aus unterschiedlichen Gründen
nicht überein. Daraus ziehst du also den Schluss, dass ich gegen Gleichbe-
rechtigung sei?


Es ist auch eine Frage, ob es dich stört, wie der Audismusbegriff definiert
wird oder wie, wann und wo er verwendet wird. Ich meine, dass man auch
gegen die Gleichstellung der tauben und hörenden Menschen sei, wenn man
die Definition des Audismusbegriffes ablehnt. Die Definition sagt ganz klar
über die Gleichstellung. Wie geht das, pro Gleichstellung und trotzdem contra
Audismusbegriff? Kannst du es vielleicht erklären?



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@Bengie, Du schreibst:
Zitat:
Wo habe ich geschrieben, dass ich den Eltern Audismus "vorwerfe"?
Dazu hast Du ganz oben auf dieser Seite geschrieben:
Zitat:
Wie könnt Ihr dann erklären, dass immer mehr Eltern sich für den Cochleaimplantat bei Kindern oder für ihre Integration in die Regelschule entschieden haben? Die Antwort ist ganz einfach: Audismus!
und erlaube mir eine Gegenfrage, wo ich behauptet haben soll, dass "es den Kinder immer besser geht, wenn sie das CI bekommen".

Nach allem was ich weiß, lässt sich die These, dass es Kindern mit Cochlear Implantat immer besser gehe, genauso wenig belegen, wie Deine gegenteilige Behauptung. Heute wird auch kein Ernst zu nehmender Arzt mehr das Blaue vom Himmel herunter versprechen im Bezug auf die Chancen und Risiken des CIs. Der entscheidene Punkt ist aber immer das einzelene Kind. Es ist mir in dieser Beziehung wirklich egal, was mit der Taubengemeinschaft passiert. Mal für den Moment angenommen, es gäbe die Hörpille, ein Medikament, das risikolos und 100%tig das Gehör wieder herstellt. Dann wären alle - wichtigen! - Gegenargumente gegen das CI (Risiken, ungewisser Ausgang) hinfällig. Spräche etwas dagegen, diese Pille einzusetzen?

Du listest dann einige Fragen auf, die tauben Menschen gestellt wurden und behauptest, dass solche Fragen Rollstuhlfahrern nicht gestellt würden. Stimmt nur leider nicht. So las ich neulich ein Interview mit einem Skirennfahrer, der nach einem schweren Sturz querschnittsgelähmt ist. Und natürlich ist der Aspekt der Zeugungsfähigkeit durchaus ein Thema bei ihm. Die ist - auf Grund des Unfalls - nämlich nicht mehr auf natürliche Art und Weise gegeben. Und natürlich ist die Frage, wie jemand im Rollstuhl die Straße überquert immer ein Problem - sieh Dir doch mal die Höhe der Bordsteine an und Du weißt, dass das ein Problem ist.

Wo ich Dir durchaus recht gebe ist, dass es Menschen geben mag, die denken, nur ein "vollsinniger" Mensch, also einer, der hören, sehen, laufen etc. kann, sei ein "vollwertiger" Mensch. Ich denke aber, dass Paco nicht unrecht hat, wenn er schreibt:
Zitat:
Wer denkt denn heute noch, dass Sprache im wesentlichen Sprechen ist?
- Wer denkt denn so etwas? Dein Argument, dass Pädagogen - angeblich - noch so dächten, ist a.) eine Verallgemeinerung und b.) übersieht, dass Pädagogen vielleicht andere Argumente für oder gegen ein bestimmtes pädagogisches Konzept haben. Diese mögen schlecht oder gar falsch sein, nur musst Du Dich mit den Argumenten auseinandersetzen und kannst nicht einfach die Audismus-Keule heraus holen. Gleiches gilt für das CI: Es gibt - vielleicht - gut Gründe, Kindern ein CI zu implantieren, die aber mit Audismus nichts zu tun haben. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, dass mir das CI Möglichkeiten eröffnet hat, die ich ohne das CI nicht hätte - selbst in der idealen anti-audistischen Welt nicht. Das heißt nicht, dass man nicht auch taub glücklich und zufrieden leben kann - habe ich ja auch! Es ist eben die Frage, ob ich 5 oder vielleicht doch eher 6 bis 7 Möglichkeiten habe, mein Leben zu gestalten.

Der Rest Deines Beitrags finde ich nun langsam ärgerlich. Ich habe nie behauptet, Frauen, Gehörlose, Farbige oder sonst wer, sei weniger Wert. Nur weil ich der Audismus-Theorie nicht folgen will, weil ich mich auf die "Taubheit-ist-Schön"-Gesänge nicht einlasse, heißt das nicht, dass ich irgendjemanden für weniger wert erachte.

Ganz am Ende schreibst Du dann noch:
Zitat:
Ich hoffe auch, dass dir klar ist, dass die meisten Ertaubte nie erleben und wissen können, wie die Taube das Taubsein erleben. Die Erlebnisse mit dem Taubsein der Tauben und der Ertaubten sind grundverschieden. Daher sollst du auch ganz vorsichtig mit der Bedeutung der Taubheit und der Taubengemeinschaft umgehen.
Zunächst einmal: Danke, dass Du mir erklärst, was ich zu und zu lassen habe, aber okay! Dann wüsste ich doch mal gerne, wo ich mich zur Bedeutung der Taubengemeinschaft geäußert hätte. Zur Taubheit erlaube ich mir dann jedoch ein Urteil - ich bin nämlich auch taub - stocktaub hätte man früher gesagt. Vielleicht drehst Du dann mal Deinen ersten Satz um:
Zitat:
Ich hoffe auch, dass dir klar ist, dass die meisten Gehörlosen nie erleben und wissen können, die Hörende das Hören erleben.
und erkläre mir dann, wie Du den Wert des Hörens einschätzen willst. Wenn Dir jemand sagte, Dänemark sei ein hässliches Land und du fragst Ihn: "Warst Du mal da?" und er antwortet "Nö!" - fändste das nicht ein bisschen merkwürdig?

Pnin



Spitzenmitglied



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Pnin,

das habe ich zwar geschrieben, als man hier sagte, dass Audismus hier in
Deutschland nicht existiert und dass alle Hörenden sich so tolerant gegen-
über dem Taubsein verhalten.

Du meinst in deinem letzten Schreiben, dass ich mich wenig um "das Wohl
und Wehe eines einzelnen Kindes
" kümmere und nicht richtig liege mit mei-
nen Schreiben über CI. Daher habe ich den Eindruck von dir als CI-Träger
bekommt, dass du die Ansicht vertrittst, dass es den Kinder immer besser
geht, wenn sie das CI bekommen.

Wenn es diese Pille gäbe, wovon du träumst, sprechen eben nur Moral und
Ethik (zur Zeit natürlich nur noch aus der Taubengemeinschaft) dagegen.
Bis dahin brauchen Taube, die gern diese Pille hätten, aber auch nicht un-
ter Audismus, der durch die Aufklärung bekämpft werden soll, zu leiden,
oder?

Du versuchst, die audistische Fragerei der Hörenden zu verharmlosen. Der
Unterschied ist, dass die Intelligenz bei Rollstuhlfahrer nicht wie bei Taube
infrage gestellt wird.

Es ist ok, wenn du meinst, dass CI nichts mit dem Audismus zu tun hat. Ich
bleibe aber bei meiner Meinung, dass der Zusammenhang besteht. Ok? =)

Dann wüsste ich doch mal gerne, wo ich mich zur Bedeutung der Tauben-
gemeinschaft geäußert hätte.


Dass du meine Aktivität mit dem Audismusbegriff mit meiner Sorge um die
Taubengemeinschaft verbindest, sagt ein wenig aus, dass dich die Gemein-
schaft wenig kümmert. Und du hast auch noch gesagt, dass dir "in dieser
Beziehung wirklich egal, was mit der Taubengemeinschaft passiert."


Der Rest Deines Beitrags finde ich nun langsam ärgerlich. Ich habe nie be-
hauptet, Frauen, Gehörlose, Farbige oder sonst wer, sei weniger Wert.


Wo habe ich behauptet, dass du das behauptest? ;o) Mich interessiert nur
halt, wie Frauen und Schwarzen das erklären würden, ohne Hintergedan-
ken über dich zu haben.

(...) und erkläre mir dann, wie Du den Wert des Hörens einschätzen willst.

Ich fordere nur der Wertrelativismus des Gehörs. Ich mache ja keinen Ur-
teil, wie es ist, als Hörende zu leben und hören zu können. Und ich möchte
keinen, auch nicht meinen möglichen zukünftigen hörenden Kindern, daran
hindern, zu hören. Das sollen Hörende auch nicht mit dem Taubsein oder
der Taubheit machen.



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@Bengie, ich erlaube mir mal, die Diskussion auf einen ganz speziellen Punkt zu fokussieren, weil ich der Meinung bin, dass sich hier einige wichtige Punkte klären lassen. Es geht um die Hörpille - die hypothetische. Ich wüsste gerne, welche ethischen und moralischen Aspekte dagegen sprächen, sie zu nutzen - immer unter der Voraussetzung, sie hätte keine Nebenwirkungen und ergäbe ein normales Gehör.

Pnin



Spitzenmitglied



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@,

Zum Interview von Prof. Baumann möchte ich ein paar eigene
Gedanken äußern.
Auch über meine Gedanken kann man diskutieren.
Sie sind kein Dogma.

Als Basis dienten mir dazu die von IK und Bengie
vorgenommenen schriftlichen Übersetzungen.


Abschnitt 1: Vorstellung.

Bei der Vorstellung seiner Person erklärt sich Prof. Baumann
zum „Hörenden“, der mit Tauben zu tun hat.
Der Großteil der anderen Menschen kann nur "normal hören“.

Dieses Wortspiel ums Hören stiftet noch mehr Verwirrung
und kaum ein Normalo-Hörender wird verstehen,
was er eigentlich damit meint.

Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass es eine sehr kleine
Gruppe „wissender Hörender“ gibt, die mit gehörlosen
Menschen in Kontakt gekommen sind. Die andere,
weit größere Gruppe ist die der "unwissenden Hörenden",
die nichts von der GL-Welt wissen.


Abschnitt 2: Das Wort / der Begriff Audismus.

Hier steht, man brauche nur eine Art Audismusbrille aufzusetzen,
um einen klaren Durchblick in Sachen Audismus zu bekommen.
Gibt es diese Klarsichtbrille zu kaufen?
Wo?
Bengie schreibt hier vom „Wort Audismus“,
IK schreibt von „Begriff Audismus“.

Die Behauptung, Hörende (welche Gruppe?) betrieben oft
unbewusst Audismus, ist sehr einseitig gesehen.
Der Fokus liegt hier auf „unbewusst“. Demnach könnte man
jedem Menschen, der sich im gesetzlichen und ethischen
Rahmen unserer Gesellschaft bewegt, irgendwelche unbewussten
Benachteiligungen – mit und ohne Ismus- anderer
Mitmenschen vorwerfen.


Abschnitt 3: Definition von Audismus

Es wird behauptet, der individuelle Audismus komme u.a. von
Ärzten, die bei der Geburt dabei waren.
Dort würde Eltern gesagt, nicht zu gebärden.

Woran sollen die Ärzte ausgerechnet schon bei der Geburt erkennen,
dass das Kind einmal nicht hören kann? Es dauert Monate,
bis Eltern eine Hörbehinderung bei ihrem Baby erkennen können.
Mich würde wirklich interessieren, woher Prof. Baumann
diese Informationen zu Geburtsinstruktionen hat.
Aus eigenem Erleben?

Die zweite Ebene des Audismus, der institutionellen,
wird lt. Prof. Baumann durch Ärzte und Pädagogen repräsentiert.
Diesen pauschalen Rundumschlag finde ich völlig unzutreffend.
Einmal handelt es ich hierbei nicht um einen Hedgefonds,
sondern um Berufsgruppen mit hoher Fachkompetenz,
die direkten Einfluss auf das Leben, Fühlen und Empfinden
eines Menschen haben.

An vorderster Front stehen aber immer Menschen einander
gegenüber. Und deren Ansichten sind mit einer großen
Bandbreite höchst individuell. Das gilt für Pädagogen wie Mediziner.

Das Beispiel des Laufbandes ist sehr anschaulich und interessant.
Es wird aber nicht darauf eingegangen, warum die Gruppe der
GL dabei die Benachteiligten sind. Aufgrund meiner eigenen
Erfahrungen sehe das Problem im Kommunikationsmangel
mit den unwissenden Hörenden.

Ich kann auch diesem Bewertungsschema nicht zustimmen,
nachdem ein Mensch nur aufgrund seiner Hörfähigkeit positiver
(im Sinn von gut) und eine tauber Mensch negativer
(minderwertig) beurteilt wird.

Als Späti sehe ich das pragmatischer. Es ist einfach so,
dass man ohne Toniformationen – insbesondere Telefon-
in vielen Fällen mehr Aufwand und Zeit benötigt, um zum
gleichen Informationslevel wie Hörende zu kommen.
Fazit: Das Leben als Hörender ist in diesem Fall bequemer!
Aber deshalb sicher nicht höher (positiver) zu bewerten.

Die ideologische Ebene.
Es stimmt, Kinder und Heranwachsende übernehmen die
Gedanken und Einstellungen ihrer Umgebung.
Und die kann sehr, sehr unterschiedlich sein!

Wenn Prof. Baumann hier jedoch das Beispiel der menschlichen
Sprache mit der Tiersprache wählt, um die Gebärdensprache
einzuordnen, ist das m. E. ziemlich daneben gegangen.

Mir ist jedenfalls völlig unerklärlich, warum ein „unwissendes Kind“
die GS als minderwertig und Gehörlose als Untermenschen ansehen soll.

Es ist hier die Rede von einem von einem unaufhörlichen Kreislauf,
der sich mit einem WORT (Audismus) unterbrechen lässt.
Dazu möchte ich sagen, Worte sind wie Schall und Rauch.
Sie vergehen schnell.

Allgemein gesagt, nur mit viel Überzeugungsarbeit wird man andere
Menschen zur Änderung ihrer An- und Einsichten bewegen können.

Und in diesem Fall wird sich kaum jemand nur von einem Wort
überzeugen lassen!


Abschnitt 4: Akzeptanz des Begriffs Audismus.

Prof. Baumann ist ein ehrenwerter Mann, wenn er sagt,
er fühle sich schlecht, wenn er andere diskriminiert.
Und wie ist das bei unbewussten Diskriminierungen?
Wie fühlt er sich da?
Vielen anderen unwissenden Hörenden ist das höchst gleichgültig!

Vielleicht würden diese anders denken, wenn es tatsächlich eine
Win-Win Situation gäbe.
Der kulturelle Profit- (ein materieller ist nicht vorhanden) aus
dem Erlernen der GS ist für die allermeisten unwissenden
Hörenden im keiner Weise erkennbar.
Andererseits, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Hörenden
GS könnte, wäre das sehr von Vorteil für die Gehörlosen.


Abschnitt 5: Audismus und Taubsein (Deafhood).

Hier wird (bei IK) die hypothetische Frage gestellt, ob es noch
eine starke Taubenidentität geben würde, wenn in der Gesellschaft
alle gebärden und hörenden Menschen ohne Beachtung der
Hörfähigkeit zusammen leben.
Gemeint ist hier wohl, Zusammenleben auf gleichem Level ohne
jede Benachteiligung.

Eine interessante Frage. Die Beantwortung ist offen.

Abschnitt 6:
Dass Taube den Hörenden in manchen Fällen überlegen sind,
habe ich auch schon erlebt.
Das ist aber meist nur auf einen ganz speziellen Fall und die
Person zugeschnitten und kann nicht allgemein gesehen werden.

Abschnitt 8: Ursprung des Wortes Audismus.

Interessant finde ich die Tatsache, dass es ein Spätertaubter war
(Tom Hummphries), der dieses Wort kreierte.
Vielleicht genau deshalb, weil ein Späti beide Welten kennt,
die laute und die tonlose.


Pyros



Spitzenmitglied



offline
Mir geht bei diesem Tread so was wie eine "Deja-Vu" Erinnerung
durch den Kopf.
Vor sehr vielen Jahren haben Soziologieprofessoren und
Studenten sehr viel wissenschaftliche Abhandlungen gegen
den Kapitalismus geschrieben.
Sie wollten die Arbeiter überzeugen, das sie von Kapitalisten
ausgebeutet und unterdrückt werden und gegen den Kapitalismus
kämpfen sollen.
Diese akademischen Theoretiker waren verärgert, weil die
Arbeiter anscheinend nicht kapierten, das der Kapitalismus
existiert. Vernünftige Gewerkschafter haben versucht mit den
extremen Sozialisten zu diskutieren.
Hat nicht funktioniert.
Die akademischen Sozialgelehrten beklagten eine "Sprachbarriere"
und das die Arbeiter die Existenz des Kapitalismus nicht akzeptieren.
Tatsächlich hat aber kein Gewerkschafter bestritten, das der
Kapitalismus existiert und die Lebensqualität der Arbeiter
verbessert werden muss.
Nach meinem Eindruck damals, waren die akademischen
Sozialwissenschaftler hoffnungslos weltfremd und ideologisch
verbohrt. Die Sozialwissenschaftler glaubten, es sei umgekehrt,
die Gesellschaft wäre in "kapitalistischer Ideologie" gefangen.

Die Ähnlichkeit hier:
Obwohl niemand bestreitet, das es Audismus gibt im Sinne von
Diskriminierungen gegenüber tauben Menschen und es noch viel
zu tun gibt für bessere Lebensqualität der tauben Menschen,
wollen die Vertreter von "Taubsein ist schön" , das
alle anderen tauben Menschen den Audismusbegriff
so akzeptieren müssen wie es die Taubsein-Ideologen definieren.
Wenn der Audismusbegriff mit "Taubsein ist schön" verbunden wird,
kann kein Spätie zustimmen, auch die meisten Gl werden da nicht
zustimmen.



Spitzenmitglied



offline
Lieber Pyros,
du bekommst sicherlich eine Goldmedaille fuer die Vorschnelligkeit!

Beide Uebersetzungen von IK und bengie sind vorlaeufig. Die Feinheiten in der ASL-Darbietung konnten von den beiden noch nicht vollkommen ins Deutsche uebergebracht werden, da die beiden nicht vollkommen ASL beherrschen. Deine ueberspitzten Repliken sind fehl am Platze. Du musst nur verstaerkt Empathie walten lassen und hineinlesen, was gemeint ist.

Im Videoclip gebraucht Dr. Baumann vorwiegend ASL, gepfeffert mit einigen internationalen Gebaerden, die er im Umgang mit den Teilnehmern der Frontrunners aufgeschnappt hat. Du siehst, ein Hoerender kann sehr gut gebaerden und dann gegebenfalls sich an die Gebaerdenvariation, wo immer er sich in einer anderen GS-Umgebung befindet, anpasst. Kannst du und Pnin das tun?!!! Kannst du das Videoclip soviel verstehen, wie IK und bengie das getan haben? Wenn nicht, warum nicht?!!!

Du hast Audismus noch in dir. Du bist noch hoerend, obwohl deine Ohren taub sind! Es ist deine Art, Aussagen zu woertlich zu nehmen, und nicht den Sinn des ganzen Absatzes oder des ganzen Textes zu erfassen. Hier gruesst dir Ralf Raule wieder!

Der hoerende Dr. Baumann erklaerte, dass er erstmals erkannte, dass er "hoerend" sei, als er mit tauben Schuelern arbeitete, nicht vorher. Er sah zwei verschiedene Bedeutungen von 'hoerend': "kann hoeren" und "hoerende Identitaet habend". Dies ist fuer hoerende Menschen ganz neu, die nie mit tauben Menschen zu tun haben.

Der Menschheit dient es, dass sie weiss, dass es taube Menschen gibt und demnach eine andersartige Lebensform gestaltet und dass deren Existenz gut sei, dass diese Lebensform weiter zu bestehen sei. Das ist was Dr. Baumann als Hoerneder (im Sinn von Identitaet, nicht Hoerenkoennen), und bengie und ich auch und andere Tauben zu sagen versuchten.

Audismusbrille, Klarsichtbrille? Hier hast du falsch verstanden. Ralf Raule laesst dich nochmal gruessen! Die "Brille Audismus" ist genau die Klarsichtsbrille! Metaphorisch ausgedrueckt. Der Begriff Audismus hilft klar zu sehen, wo die Schuh in der Interaktion mit tauben Menschen drueckt.

Du hast die zweite Ebene "Institution" und "System" noch nicht verstanden. Baumann erwaehnt die Medizin und Paedagogik nur als Beispiel von gesellschaftlichen Institutionen, die am Audismus beteiligen. Die Aerzte repraesentieren halt die Institution der Medizin, die daran glauben, dass Taubheit eine Defekt sei und nicht auf der Welt existieren sollte. Wir wissen schon, dass nicht alle Aerzte so denken. Unsere Anklage ist, weil uns berichtet wurden, dass es die Aerzte waren, die falsche Ratschlaege den Eltern gegeben haben. Du und Pnin brauchen die Aerzte nicht zu verdeitigen. Das sollen die Aerzte selber tun. Die Aerzteschaft soll auf diesem Gebiet antiaudistisch wirken und das Taubsein beherzigen. Es gibt ferner andere Institutionen der Gesellschaft, die an der Unterdrueckung verschiedener Menschengruppen beteiligen. Alles basiert auf was "ein vollkommener Mensch" sein sollte. Pnin schreibt mehrmals, dass ein Mensch von der Evolution her hoerend sein muesse und Taubheit daher eine Defekt/Krankheit wie Ebola und AIDS sei statt natuerliche Andersartigkeit, die eine Kultur hervorbringt.

Bitte erklaere, wieso du das amerikanische "Hedgefonds" hier hineinbringst. Zusammenhang?!!

In den Beratungen mit Individuen, von den Aerzten mit Patienten, wird immer von den Wertstellungen der Gesellschaft und des Berufstandes - kurz "institutionell - beeinflusst. Herrschte der Wertrelativismus des Hoerens in der Gesellschaft, wuerde der Arzt anders zu dem Patient sagen, als es bisher praktiziert wurde. Der Arzt sieht, oder glaubt zu sehen, den Schmerz bei den Eltern und versucht dies zu besaenftigen mit audistischen Aeusserungen, mit Operationen, mit oralistischen Therapieformen usw. Meiner Mutter hatte ein HNO-Professor von dem Berliner Charite gesagt, ich wuerde eventuell wieder hoerend! Warum muesste er das sagen?! Voellig unnoetig, da meine Eltern Bauern sind, naturverbunden und jede koerperliche Andersartigkeit leicht akzeptieren wuerden!

Du siehst das Problem nur in "Kommunikationsmangel mit unwissenden Hoerenden". Wir sehen das Problem weitaus groesser anhand der Geschichte und unserer Deaf Experience. Das hat Dr. Baumann und andere erkannt! Z.B. der Neurologist Oliver Sacks.

Mit der Metapher vom Laufband, um das System der institutionellen Diskriminationen zu erhellen, wird nicht die Bewertung des Hoerens dargestellt, sondern wie das System Menschen mit Hoerfaehigkeit staerker foerdert, als ob sie auf dem Laufband staenden, als die mit weniger Hoerfaehigkeit (sie muessten neben der Laufband laufen), ihnen mehr Vorteile ("system of advantages") bereitet. Es stimmt, es ist leichter mit Ton zu kommunizieren. Dies ist nur wahr unter Hoerenden allein. Sie muessten erkennen, dass es taube Menschen gibt und dann andere Kommunikationsformen akzeptieren.

Ungluecklicherweise ist die Uebersetzung ueber das Metaphysische im Audismus nicht gut gelungen. Dein Kommentar ist verfrueht. Du hattest doch erkennen sollen mit dem Hintergrundwissen ueber die Philosophie des Menschseins, angefangen von "homo faber", "homo sapiens" zu "homo loquens", um was Baumanns redet von der dritten Ebene von Audismus. Ich schrieb voreinigen Jahren bereits einen Artikel im "Selbstbewusst Werden"-Zeitschrift mit dem Titel "Was ist Mensch?" als Antwort zu Prof. Klaus Seifert, Praesident von deutschem HNO-Verband, der uns als "nicht menschliche biologische Zweibeiniger" klassifiziert, weil wir nicht hoeren und sprechen koennen. Du als Spaeti mit deiner guten Sprechfaehigkeit wird voll als Mensch angesehen und wir bleiben ewig Zweibeiniger in den Augen von Dr. Seifert (Hat er wirklich Augen um klar zu sehen, oder hat er eine allzu audistische Brille?)!

Warum ist "Rassismus" ueberzeugender?!! Das Wort "Audismus" hilft Leute erkennen, dass das Unterdrueckungsphaenomenon weitverbreitet und nicht nur auf Rasse, Sex usw. beschraenkt ist. Soziologie hat klargestellt, dass Menschen einander diskriminieren und zwar wegen bestimmmten Charakteristiken. Die Ismen-Theorien und das damit verbundene Vokabular helfen die Natur der gesellschaftlichen Problemen zu verstehen, um die Menschheit menschlicher zu gestalten. Das Wort "Audismus" ist gar nicht "Schall und Rauch"! Es ist ja nur ein Wort. Wir muessen sowieso aktiv an Anti-Audismus taetig sein, wie man auch Anti-Rassismus betreibt. (Es kann auch Anti-Klassismus, Anti-Sexismus, Anti-Fremdenfeindlichkeit usw. sein.)

Du hast die Erklaerung auch nicht verstanden, warum Taubheit, Taubsein und taube Menschen die Menschheit bereichern koennen. Baumann meint, ohne uns haette die Sprachwissenschaft die "Sprache" falsch aufgefasst. Ebenfalls die Philosophie, Anthropologie, Soziologie und Poesie.

Ueber Tom Humphries: ja richtig, er kennt beide Welten. Wichtig ist, er liefert eine Analysis, wo der Schuh drueckt. Obwohl er mit mir an der Gallaudet Universitaet studiert und mit mir viel geplaudert hatte, war ich seiner Audismus-Theorie lange skeptisch wegen der vielen Bedenken aehnlich wie du und anderen geaeussert haben. Er gehoert zu den Spaeties, die mit dem Taubsein freudig leben und nicht dem Hoerverlust nachtrauern.


Hartmut



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Ach Hartmut: Ist es ein Manko, keine ASL zu können und keine Internationalen Gebärden? Ja! Und? Kannst Du Sumerisch? Beherrschst Du Differentialgeometrie? Nicht? Schade! Wie kann man nur, tstststs [roll] !

Im übrigen könntest Du Dich ja mal mit Spätertaubten darüber unterhalten, warum sie nicht oder nur unzureichend die (diversen) Gebärdensprachen beherrschen! Es beginnt damit, dass keine geeigneten Konzepte existieren, diese Sprache zu erlernen, insbesondere dann wenn Not am Mann ist, weil einem die erlernten Kommunikationsmöglichkeiten weggebrochen sind. Man kann sich nicht eben mal für ein paar Monate aus dieser Welt verabschieden, um eine neue Sprache zu erlernen und dazu noch die Familie und ein paar Freunde mitnehmen! Hinzu kommt, dass Spätertaubte die Gebärdensprache nicht benötigen, um sich zu artikulieren. Da besteht meist eine gewisse Asymmetrie in der Kommunikation. Alles Dinge, die Du offenbar nicht wahrnimmst. Du hast von Spätertaubten so viel Ahnung, wie Otto-Normal-Verbraucher von Gehörlosen - nämlich keine, außer ein paar Vorurteilen, die Du fleißig hegst!

Wenn die Übersetzungen von IK und Bengie vorläufig sind, dann lass uns doch alle an Deiner Weisheit teilhaben und werde konkret - tue Butter bei die Fische! - wo die Übersetzung verbesserungswürdig ist, sein soll. Das ist aus Deinem Sermon nicht ersichtlich!

Schließlich, wenn Du schon mal auf mich eingehst, tue dies bitte korrekt: Ich habe nie gesagt, dass der Mensch "hörend sein müsse" Ich habe lediglich festgestellt, dass 99% der Menschen hörend sind und dass sich diese Funktion in der Evolution als nützlich erwiesen hat. Dein Gerede von der Natürlichkeit übersieht einfach auch, dass Ebola und AIDS eben auch ein Produkt der Natur, der Evolution sind. Du übersiehst auch die biologischen-medizinischen Prozesse, die dazu führen, dass ein Mensch taub wird. Diese sind "natürlich" (von der Natur ausgehend). Genauso ist der Schnupfen "natürlich" - von der Natur ausgehend! Ebenso der Pickel auf meiner Nase usw. usf. Kurz gesagt: der Begriff der Natürlichkeit ist nichtssagend und unpassend in dieser Diskussion. Er dient nur einer romantischen Verklärung, hält einer kritischen Analyse aber nicht Stand!

Lustig ist Deine Behauptung, ohne die Gebärdensprache - ohne Euch (was ich ja immer wieder faszinierend finde, mit welcher Selbstverständlichkeit Du alle Gehörlosen dies und jenseits des großen Teiches vereinnahmst oder sprichst Du im Pluralis Majestatis?)! - hätten Philosophie und Anthropologie immer noch eine "falsche" Auffassung von Sprache. Bin kein Experte in Sachen Geschichte der Philosophie, aber ich meine mich zu erinnern, dass bereits Sokrates die Gebärdensprache als die natürliche Sprache tauber Menschen bezeichnet hat. Ist also nicht ganz so neu die Erkenntnis (was nicht die Leistung von Stokoe schmälern soll). Desweiteren - Paco erwähnte es bereits - hat sich Anfang des 20sten Jahrhunderts (?) immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass Sprache vor allem ein Zeichensystem sei. Mir fällt da z.B. Wittgenstein ein und sein Nachdenken über Sprache und Mathematik, wo ich einiges drin erkennen kann, nur keine Beschränkung darauf, dass Sprache immer "Lautsprache" sein solle. Nicht umsonst gilt die Mathematik vielen ebenfalls als Sprache, die aber sehr unhandlich ist, wenn man sie laut vor sich hin spricht! Dies wäre übrigens auch einer meiner Kritikpunkte an Baumann, dass er mehr als 2000 Jahre Philosophiegeschichte eben mal auf eine kurze Aussage zusammenstreicht.

Pnin



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Gestern habe ich das Video-Interview mit Bauman nochmals „durchgeschaut“ (ja, durchgelesen). Ich wollte auch selbst übersetzen. Solche große Nachtarbeit schreckt mich ab. Hut ab vor IK und bengie! Die beiden haben verschiedene Stärke an verschiedenen Stellen. Wenn man beide Arbeiten kombinieren dürfte, wäre es toll.

Besonders bei Laufband-Geschichte wollte ich selbst übersetzen, weil ich verstehen will, was Bauman mit diesem Beispiel meinte. Aber ich weiß zwei bestimmte Gebärdenzeichen, eher amerikanische, nicht. Ich könnte im Lexikon der amerikanischen Gebärdenzeichen nachschauen. Aber das Problem ist es, darin zu finden. (Verbale sind nach Alphabet ja leichter zu finden.) Außerdem wollte ich auch nicht einfach überspringen und auch keine eigene Interpretation machen.

Solches abstrakte Laufband-Beispiel ist eine schwache Darstellung, finde ich. Ziemlich ein schlechter Vergleich. Wenn mir an einem anderen Mal Zeit erlaubt, versuche ich, dies „System of Advantages“ in unserem Fall Audismus als „direktes“ Beispiel zu interpretieren.

Was mir nicht passt, ist die erste Frage von Frontrunners „Wer bist du?“ Mein Gott! Ich könnte sagen: „Typische Gehörlosenkultur!“ oder eher abwertend „Gehörlos so!“ Mister Bauman war schon wie bekannt als Dirksen Bauman zum Interview eingeladen und wurde dann noch blöd nach seinem Namen gefragt. Man kann schon beim ersten „unsichtbaren“ aber hörbaren(?) Wort von Bauman am Gesicht schon sehen. Ja, man kann solchen Gesichtsausdruck schon lesen, was er dabei wohl denkt. Eigentlich sollte der Fragesteller ihn dem Publikum selber vorstellen!

@bengie,
Zitat: „… Hartmut sagte (wie bei seinen Vorträgen in Deutschland) nicht über drei Ebenen. …“ (07.01.08)
Ich war auch bei seinen beiden Vorträgen hier in München und Wiesbaden. Soweit ich mich erinnern kann, hat er auch über verschiedene Formen (Ebenen?) des Audismus gebärdet: Einzelpersonen (Individuellen), Behörden (Institutionen und Systeme) und Ideologie. Oder doch nicht?

@Pyros,
Zitat: „… Der kulturelle Profit (ein materieller ist nicht vorhanden) aus dem Erlernen der GS ist für die allermeisten unwissenden Hörenden im keiner Weise erkennbar. …“
Doch, für alle Hörenden schon ein kommunikativer Gewinn. Auch unter sich. Und vor allem für elitäre Truppen zum Beispiel. Und der materielle Profit? Doch viele Hörende und Werbagenturen verdienen an unseren Gebärdensprachen. ;)

Zitat: „… Es ist hier die Rede von einem von einem unaufhörlichen Kreislauf, der sich mit einem WORT (Audismus) unterbrechen lässt. Dazu möchte ich sagen, Worte sind wie Schall und Rauch. ... Und in diesem Fall wird sich kaum jemand nur von einem Wort überzeugen lassen! …“
Viele mit Helfersyndrom, die kein Wort „Bevormundung“ in ihrem Wortschatz besitzen, helfen anderen ungefragt. Sobald sie dies Wort kennen, hören sie auf, andere zu bevormunden. So in unserem Fall hilft der Begriff „Audismus“ als eine Audismus-Brille doch! ;)

Ich verzichte darauf, deine sonstigen vielen Schwachstellen zu „bearbeiten“. Der fleißige Hartmut hat die Arbeit schon geleistet. :D

@Hartmut,
dein „Liebesbrief“ an Pyros ist WOW! :)

@CharlyBrown,
Zitat: „… Wenn der Audismusbegriff mit ‚Taubsein ist schön’ verbunden wird, kann kein Spätie zustimmen, auch die meisten Gl werden da nicht zustimmen. …“
Späties müssen gar nicht zustimmen. Aber wir dürfen es! ;) Schwarze haben sich mit „Black is beautiful“ (Schwarz ist schön.) als Antirassismus durchgesetzt.

@Pnin,
Aristoteles war der Ansicht, dass nicht SPRECHENDE Menschen auch des Denkens nicht fähig seien und setzte die Gehörlosen in eine Kategorie mit den Stumpfsinnigen und Tieren … hm …

@all,
die laut gesprochene Sprache unterscheide Menschen von Tieren, so die klugscheißende bisherige Altphilosophie. Meine private Philosophie: „Menschen sind die einzigen Lebewesen auf der Erde, die das Feuer beherrschen.“ Genau das ist der einzige Punkt, der Menschen von Tieren unterscheidet. Denn alle Tiere haben ja auch eigene Sprache.


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



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@Hans Busch - zur Information.
Sokrates hat geschrieben:
Der griechische Philosoph Sokrates sagte schon vor über 2000 Jahren: "Wenn wir weder Stimme noch Zunge hätten und doch einander die Gegenstände kundmachen wollten, würden wir nicht, wie auch jetzt die Stummen tun, versuchen, sie vermittels der Hände, des Kopfes und der übrigen Teile des Leibes anzudeuten?
(gefunden auf der Homepage Susanne Günther-Wick, Gebärdensprachdolmetscherin und des "Audismus" sicherlich unverdächtig). Sokrates lebte 469 v.Chr. bis 399 v.Chr, Aristotels von 384 v.Chr. bis 322 v.Chr! Sokrates ist also der Ältere.

Mit der Philosophie verhält es sich also mitunter also wie mit der Bibel: Man kann sowohl das Eine als auch das genaue Gegenteil davon mit einem hübschen Zitat belegen. Google sei Dank muss man sich dafür nicht einmal mehr durch alte dicke verstaubte Bücher arbeiten. Was auf der Strecke bleibt ... ein Verständnis für die Zusammenhänge und Entwicklungen. Aber das braucht es ja nicht - wenn's der Sache dient!

Pnin



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@Pnin,
ja, die HP von Günther-Wick war mir schon bekannt. Habe dort auch gelesen. Trotzdem danke!
Sokrates müsste vielleicht ein einziger Fall in der antiken Philosophie sein, der nicht audistisch ist. Aber hier zählt ein Einzelfall nicht, sondern Allgemeinheit, gell? Bauman hat es doch richtig gemacht.
Außerdem hat Aristoles die Altphilosophie auf den neusten Zustand gelegt, das kann heißen, Sokrates ist out … hm …
In den letzten Jahrzehnten „hörte“ und las ich immer und immer wieder, dass das Denken ohne Sprache (genau mit Lautsprache gemeint, denn es war im Bereich von Gehörlosenpädagogik) nicht möglich sei. Gut, dass das Wort „Audismus“ diese „uralte“ Philosophie stoppen sollte …

Ja, auch ich bin dem „Google“ dankbar.


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



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bengie

ich antworte dir auf einige Punkte, die mir noch aufgefallen sind (auf alles kann ich gar nicht eingehen, wo nehmt ihr bloß eure Zeit her?):
Zitat:
Ich habe geschrieben: Keiner dieser Menschen wird gebärdende Gehörlose, denen er begegnet, als Untermenschen ansehen. Das empfinde ich als eine völlig überzogene Dramatisierung.

Du hast geantwortet: Wie willst du das Verhalten der Pädagogen und der Oralisten damals und heute erklären, die mit allen Mitteln versuchen, taube Menschen das Sprechen und das Hören beizubringen. "Subhuman" heißt auch sowie "Minusmensch", "Mensch, dem etwas fehlt" oder "unvollständiger Mensch".


Damals ja. Aber du kannst es mit heute nicht gleichsetzen. Es sind so viele Bereiche, die ihr ansprecht und jedem Bereich kann man nur gerecht werden, wenn man sich genau informiert.

Zitat:
Kannst du vielleicht begründen oder erklären, warum die Entscheidung für CI nicht audistisch sein soll und nichts mit dem Audismus zu tun haben soll? Nur weil Eltern nicht damit belastet werden sollen?


Wenn Audismus ein wertneutraler Begriff wäre, dann könnte ich ihm zustimmen. Dann wäre es eine reine Beschreibung, dass Hören für Menschen im allgemeinen wichtig ist. Aber Audismus ist ganz offensichtlich kein wertneutraler Begriff. Er beinhaltet, dass die Eltern das Hören überbewerten und das sei nicht gut.
Diese negative Einschätzung finde ich weder richtig noch hilfreich.
Natürlich wollen die Eltern, dass ihr Kind hört, genau wie sie. Du willst sicher auch, dass dein Kind sehend geboren wird. Was ist daran verwerflich?
Was würdest du denken, wenn dein Kind blind geboren wird und da steht jemand vom Blindenverein an der Tür und klärt dich freundlich darüber auf, dass das Sehen ja gar nicht so wichtig sei, dein Kind kann doch später wunderbar über Brailleschrift kommunizieren. (Das Beispiel hinkt, denn eine Gehörlosigkeit ist wegen der Beeinträchtigung der frühkindlichen Kommunikation die einschneidendere Behinderung). Man kann meiner Meinung nach Eltern nur erreichen, wenn man ihren Wunsch – das Kind soll hören – akzeptiert und Verständnis hat für ihre Trauer. Dann erst kann man eine Bereitschaft für Gebärdensprache wecken. Wäre interessant, mal eine Meinung von Fachleuten – wie GIB ZEIT - einzuholen. Erkundige dich dort mal.

Beim Blindenbeispiel eben wirst du bestimmt wieder gedacht haben - Das kann man nicht vergleichen:
Zitat:
Wie berenice aber richtig festgestellt hat, lässt sich die
Taubengemeinschaft total von anderen Behindertengruppen unterschei-
den.

Stimmt. Nur verstehe ich nicht, warum dieses Argument die Audismus-Theorie untermauern soll. Gehörlose haben eine eigene Sprache, eine eigene Kultur, ein Wir-Gefühl… Das ist aber ein großes PLUS! In dieser Hinsicht geht es euch besser als anderen Behindertengruppen. Durch eure Kultur und Sprache seid ihr auch viel attraktiver für Hörende als zum Beispiel Schwerhörige oder Körperbehinderte. Über Hörgeräte, Hörschläuche und Rollstühle kann man nun mal keine spannenden Kofos oder Festivals machen. Gute Zeitungsartikel wie vor einem Jahr über den „Gehörlosenkarneval“ in Essen hätte es vermutlich niemals über eine ähnliche Veranstaltung von Schwerhörigen oder Blinden gegeben. Ihr seid interessant, nicht nur für die Presse, auch für die hörenden Mädels („Ist der süüß…!“ fast hättest du vor einiger Zeit mehrere hörende Girlies am Hals gehabt). Also wirklich kein Grund zum Traurigsein [smile]

Zitat:
Haben Rollstuhlfahrer auch wenig Zugang zur Bildung aufgrund der Überbewertung des Ganges? ..... Nur 1% aller Tauben wurden schulisch und pädagogisch richtig gefordert, also mit der Gebärdensprache in der Schule. Ist das auch bei Rollstuhlfahrer zu beobachten

Ja, in dieser Beziehung gibt es Nachteile für die Gehörlosen, da gebe ich dir Recht - obwohl nicht für alle Gehörlose die Gebärdensprache die Wunschsprache ist und deine Prozentangabe wahrscheinlich die Entwicklungsländer betrifft.

Zitat:
Ich sehe auch, dass die Taubheit in der Gesellschaft viel niedriger Wert hat als die Gehbehinderung. Nicht umsonst ist Schäuble heute ein Minister.

Wie kommst du darauf? Politiker sind seltene „Alphatiere“ – d.h. nur ganz wenige Menschen eignen sich für diesen Job. Die Gehörlosengemeinschaft ist schon sehr klein. Es gibt aber auch unter ihnen Persönlichkeiten, die das Zeug dazu haben. Ulrich Hase ist für mich ein waschechter Politiker, Hans-Uwe Feige war z.B. Mitglied der Bundesversammlung. Das Schäuble-Beispiel zählt nicht. Er war ja schon vor dem Attentat Minister.

Du schreibst an Pnin:
Zitat:
Du versuchst, die audistische Fragerei der Hörenden zu verharmlosen. Der Unterschied ist, dass die Intelligenz bei Rollstuhlfahrer nicht wie bei Taube infrage gestellt wird.

Ich glaube, das ist ein Knackpunkt bei der ganzen Sache. Du hast immer im Hinterkopf, Hörende könnten Gehörlose als dumm einschätzen. Das ist interessant. Ich habe oben versucht zu erklären, dass ihr im Gegenteil sehr geschätzt werdet. Eigentlich eine Überbewertung des Taubseins [wink] Nein, unvoreingenommene Hörende stellen die Intelligenz bei Gehörlosen nicht in Frage. Ich habe es jedenfalls noch nicht erlebt.

Zitat:
Ich meine, dass man auch gegen die Gleichstellung der tauben und hörenden Menschen sei, wenn man die Definition des Audismusbegriffes ablehnt. Die Definition sagt ganz klar über die Gleichstellung. Wie geht das, pro Gleichstellung und trotzdem contra
Audismusbegriff? Kannst du es vielleicht erklären?

Der Audismusbegriff vereinfacht in meinen Augen. Er reduziert die Ungleichstellung (die ich auch sehe) auf einen einzigen Faktor (den Stellenwert des Hörens) und bewertet diesen negativ. Es gibt aber viele Faktoren, die für die unterschiedlichen Chancen Hörender und Gehörloser verantwortlich sind, die man dann aus den Augen verliert. Man sieht nicht klarer, sondern einfacher.



Spitzenmitglied



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Es sollte hier darum gehen, das Wort Audismus so definieren,
das der Sachverhalt Audismus für alle verständlich und akzeptabel wird.

Hartmut und Bengie , ihr habt durch hinzufügen ganz anderer Themen
(Taubsein als Lebensidentität, Anerkennung der Gebärdensprache,
Genozid und Rassismus, Theorie einer gesellschaftlichen Ideologie)
verhindert, das der Begriff Audismus allgemein verstanden und akzeptiert werden kann.

Wir brauchen für die Hörenden eine klare und einfache Definition des neuen Wort Audismus.
Nur wenn normale Hörende es verstehen, kann das Wort Audismus einen praktischen Nutzen erreichen.
Wenn das Wort Audismus mit langen Vorträgen über gesellschaftliche Ideologie und
Taubsein als Identität erklärt werden muss, werden 90% aller Hörenden höchstens fünf Minuten zuhören und dann denken:“linke Spinner“ oder „schon wieder eine neue Sekte“.

Grundsätzlich wäre mir ein anderes Wort lieber.
Wie schon gesagt, halte ich die Ähnlichkeit mit dem Wort Autismus für zu gross.
Das schon überall bekannte Wort „Diskriminierung“ ist in den meisten Fällen ausreichend.



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Aloha CharlyBrown,

"Diskriminierung" meint eine Ungleichbehandlung. Es kann (muß nicht) somit
ein mittelbarer oder unmittelbarer Tatbestand sein, welches außer- (Vergleich)
oder gerichtlich (Prozeß) anfechtbar wäre. So verstehe ich diesen Begriff.

Audismus ist lediglich ein Erklärungsmodell einer Ideologie. Das ist der Unterschied.

Wenn z.B. die eine gesagt hat: "Ich glaube, dass Gehörlose den Stimmzettel
nicht verstehen können" (verallgemeinernd), kann man nicht von einer
Ungleichbehandlung oder Tatbestand sprechen, sondern von einer falschen
Annahme oder von einem Vorurteil.

[Nachtrag] Danke für den Hinweis, pyros, hab es berichtigt!


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



Zuletzt geändert von Lukbo am 10.01.2008, 01:48:07, insgesamt 1-mal geändert.

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Uff, es gibt so viel zu lesen, ich komme schon fast nicht mehr mit..
[bawling]

Ich wollte mich auch noch bei den zwei Übersetzern Bengie und IK bedanken für ihren Fleiß, ich konnte das Video von Baumann nicht gucken, da mein PC sich weigert den Macromedia Player zu installieren. (Aber sowieso kann ich keine ASL)

Ich gehe nur auf einige Punkte ein, die mir gegen den Strich gehen:

@paco
Zitat:
Stimmt. Nur verstehe ich nicht, warum dieses Argument die Audismus-Theorie untermauern soll. Gehörlose haben eine eigene Sprache, eine eigene Kultur, ein Wir-Gefühl… Das ist aber ein großes PLUS!

Hm ich glaube du mißverstehst da was total und mein Zitat reißt du aus dem Zusammenhang [nono]
Bitte nicht alles verdrehen! Bengie hat schon ausführlich die Zusammenhänge Audismus-Sprache-Pädagogik erläutert.

@pnin
Zitat:
Schließlich, wenn Du schon mal auf mich eingehst, tue dies bitte korrekt: Ich habe nie gesagt, dass der Mensch "hörend sein müsse" Ich habe lediglich festgestellt, dass 99% der Menschen hörend sind und dass sich diese Funktion in der Evolution als nützlich erwiesen hat.


Die Evolution hat uns aber auch Hände und Augen mitgegeben, damit wir in der Gebärdensprache kommunizieren können.
Da du ja so gerne Gleichnisse aufstellst: 99% der Menschen sind dunkelhaarig. Ist das irgendwie von Nutzen?

b.



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Paco,

ich habe natürlich Verständnis für die Reaktion der Eltern heute, denn sie
sind schließlich mit Audismus vollgepumpt. Ihnen würde ich auch (hoffent-
lich) nie Audismus "vorwerfen".

Die Eltern reagieren auch hektisch, wenn sich ihre Kinder als Homosexuelle
outen. Rauswurf aus der Familie oder gar Tötung war im Spiel. Solche Reak-
tion ist kein Resultat der Homosexualität selbst, sondern der Normvorstel-
lung der Homosexualität.

Als sich Heterosexismus hier in Deutschland immer kleiner wird, reagieren
Eltern heute immer gelassener auf den Coming Out ihrer Kinder. Natürlich
wird es immer Schock geben. Als meine Schwester sich z.B. outete, hat
meine Mutter ein Jahr lang gebraucht, um es zu verarbeiten.

Genauso viel Zeit der Verarbeitung brauchen auch Eltern, die taube Babies
bekommen. Dafür habe ich natürlich Verständnis!

Ich hoffe, dass du Verständnis für mein Ersetzen für den Audismusbegriff
hast. Es ist wirklich nicht einfach, dich und anderen zu überzeugen, warum
der Audismusbegriff sinnvoll ist. Ich versuche aber gern! =)

Mein neuer Versuch ;)

Dass in einige Länder wie China auf den Geburt eines Mädchens ganz an-
ders reagiert wird, als hier in Deutschland, liegt nicht an die Weiblichkeit,
sondern an die Normvorstellung der Weiblichkeit.

In irgendeinem Thema irgendeines Forum steht irgendwas über die Ab-
lehnung der Mädchen geschrieben:

"das war so schrecklich. in indien, pakistan und china werden die meisten
mädchen abgetrieben weil sie nur der familie Geld kosten. der beitag war
total schrecklich. sie haben auch davon berichtet das mädchen ausgesetzt
werden oder nach der geburt getötet werden.
"

Würdest du Verständnis für diese Eltern haben, wenn sie negativ auf einen
Geburt eines Mädchens reagieren? Wäre die negative Einschätzung weder
richtig noch hilfreich? Sie wollen doch Jungen! Da kann man auch sagen,
dass man Eltern nur erreichen, wenn man ihren Wunsch - das Kind soll
ein Junge sein - akzeptiert und Verständnis hat für ihre Trauer.

Diese Eltern würde nie bewusst an Sexismus denken und würde Gesell-
schaft und Ideologie ihres Landes nie für ihre negative Reaktion verantwort-
lich halten. Die Eltern haben die Normvorstellung ganz einfach verinner-
licht und sie reproduziert, ganz unbewusst!

Soll man nicht vom Sexismus sprechen, weil diese Eltern sonst damit be-
lastet würden? Beim Sexismusbegriff geht es darum, dass die Männlichkeit
nicht überbewertet werden soll. Ist der Begriff doch nicht wertneutral?

CharlyBrown,

hier ist nicht Wikipedia oder Interview, wo Begriffe einfach definiert werden
können, sondern ein Diskussionsforum!

Wie du bestimmt weißt, gehört zu einer Dialog immer zwei Personen, oder
mehr. Es gibt immer einen Grund, warum Hartmut und ich angeblich nicht
zum Thema gehalten haben. Du bist für diese Abweichung des Themas, die
Hartmut und ich angeblich betrieben haben sollen, auch verantwortlich! Wenn
du und andere nicht so ablehnend auf den Audismusbegriff reagiert (mit Bei-
spiele wie Rollismus) hättest, würden wir alle bei dem Thema bleiben, oder?

Wo du z.B. gerade wieder versuchst, den Audismusbegriff abzuspecken
oder ihn neu zu erfinden, müssen Hartmut und ich uns schon dagegen weh-
ren, warum es nicht so sein kann, also mit Themen, die in deinen Augen
nicht mit dem Audismusbegriff zu tun haben.

Und was ist mit dir, als du gestern abends von deinem Déjà-vu-Erlebnis
sprachst. Bleib doch selber am Thema!



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@Bengie, Du schreibst von den Eltern, die mit "Audismus vollgepumpt seien. Da frage ich mich ... gibt es Audismus jetzt auch als Spritze?

Okay, ernsthaft: Ich verstehe nach wie vor nicht, wie Du Dir diesen Indoktrinationsprozess vorstellst, wie das geschehen soll, dass Eltern mit Audismus voll gepumpt werden.

Der Mensch ist nun mal einfach gestrickt und denkt, solange er gesund ist, nicht daran, dass er auch mal krank werden könnte. Weiß ich aus eigener Erfahrung. Selbst als ich schon ziemlich schlecht gehört habe, habe ich nicht daran gedacht, dass es noch schlechter werden könnte. Man mag das bedauern, weil der Mensch Gesundheit nicht immer als kostbares Gut empfindet - iss aber eben so.

Genauso geht es Eltern. Die denken an alles mögliche während der Zeit der Schwangerschaft, haben sicherlich auch die Hoffnung, das Kind möge gesund sein etc. pp. Das bezieht sich aber meist auf ganz andere Dinge als auf Taubheit. Dafür gibt es ja auch keine pränatale Diagnosemöglichkeiten.

Insofern frage ich mich: Woher sollen die Eltern diese "volle Ladung" Audismus bekommen haben, wenn sie nie wirklich darüber nachgedacht haben, was es bedeutet, hören oder eben nicht hören zu können?

Baumann hat es mit der Philosophie versucht. Das Argument sticht nicht. Zum einen gibt es die Philosophie nicht, sondern nur viele unterschiedliche Strömungen, so dass es zu jedem Philosophen, der Dir ein X für ein U vormachen will, Du auch einen findest, der Dir ein U für ein X ausgeben will. Mal abgesehen: Die haben meist ganz andere Probleme. Ich muss gestehen, dass ich außer Sokrates keinen Philosophen kenne, der sich irgendwie explizit zum Thema Hören geäußert hätte. Das soll nicht heißen, dass es da nicht welche gibt - nur .... lesen das Eltern während der Schwangerschaft????

Dann wird hier immer der Begriff der Ideologie gebracht. Auch da frage ich: Wer vertritt diese Ideologie so offensiv, dass - zumindest suggerieren das hier einige - offenbar ein ganz erheblicher Teil unserer Gesellschaft - audistisch ist? Im Wort zum Sonntag jedenfalls war dazu noch nichts zu vernehmen. Bei Anne Will und in den Tagesthemen auch nicht und in meiner Tageszeitung ebenfalls nicht! Bengie hat versucht, die aus unbewusste oder vorbewusste Ideologie zurück zu führen. In meinen Augen sind das aber nach wie vor zwei Dinge, die nicht zusammen passen. Eine Ideologie setzt immer reflektierende, bewusste Denkprozesse voraus, frei nach dem Motto: Das ist so und deshalb muss das so sein und wir jenes und dieses tun. Sie kann nicht unbewusst oder vorbewusst sein. Da muss jemand (wer?) mal drüber nachgedacht haben und propagiert haben, damit es eine Ideologie werden kann.

Ich habe nun in meinen letzten Beiträgen eine ganze Anzahl von Fragen an die Vertreter der Audismus-Theorie formuliert. Bin gespannt ob es Antworten geben wird.

In diesem Sinne

Pnin



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berenice
Zitat:
Hm ich glaube du mißverstehst da was total und mein Zitat reißt du aus dem Zusammenhang Bitte nicht alles verdrehen! Bengie hat schon ausführlich die Zusammenhänge Audismus-Sprache-Pädagogik erläutert.

Merkwürdig, dein Einwand, denn bengie bezieht sich vermutlich auf diese Meinung von dir:
Zitat:
Ich möchte euch daran erinnern, daß Gehörlose eine eigene Sprache und Kultur haben, deswegen läßt sich das nicht so fix mit anderen "Behinderungen" (ich lehne dieses Wort ab, deswegen Anführungsstriche) vergleichen. Diese Tatsache ist ja erst der Auslöser für die Audismusdiskussion.
Interessant, dass deiner Meinung nach Sprache und Kultur der Auslöser dieser Diskussion sein soll, genau hier sehe ich überhaupt keinen Ansatzpunkt für Audismus, im Gegenteil.
Und hier das erweiterte Zitat von bengie, damit du den Zusammenhang siehst:
Zitat:
Wie berenice aber richtig festgestellt hat, lässt sich die
Taubengemeinschaft total von anderen Behindertengruppen unterschei-
den. Ich glaube, dass die Taubengemeinschaft die einzige Behinderten-
gruppe ist, die auch eine Ethnische Gruppe sein kann

Deshalb bin ich auf den Bereich der Kultur eingegangen (eine ethnische Gruppe definiert sich im wesentlichen über eine eigene Kultur) und habe erklärt, dass man mit dem Hinweis auf die Existenz der Gehörlosenkultur keinen Audismus begründen kann. Anschließend habe ich den Bereich der Bildung erwähnt und zugegeben, dass es in diesem Bereich eine Benachteiligung gibt.
Du musst dir schon die Mühe machen und genau lesen, bevor du kritisierst – noch dazu in dieser unsachlichen Art und Weise.

bengie
Zitat:
Ich hoffe, dass du Verständnis für mein Ersetzen für den Audismusbegriff hast. Es ist wirklich nicht einfach, dich und anderen zu überzeugen, warum der Audismusbegriff sinnvoll ist.


Ich würde sehr gerne deine Auffassung teilen, wenn ich es irgendwie logisch nachvollziehen könnte. Ich würde mich auch lieber einem Kampf gegen Unterdrückung anschließen, das liegt mir mehr. Aber wie gesagt, ich kann es logisch nicht nachvollziehen – und wenn man eine Meinung übernimmt, muss man sie auch überzeugend vermitteln können.


Ich denke, es liegt an unterschiedlichen Grundannahmen.
Du nimmst an: Audismus ist eine Ideologie (eine unzulässige Überbewertung des Hörens), die vergleichbar ist mit Rassismus, Homophobie, Frauenunterdrückung. Wenn man ein Wort dafür hat, kann man die Gesellschaft auf diese Unterdrückung hinweisen und dadurch die Einstellung der Gesellschaft verändern bis hin zur Gleichstellung Hörender - Gehörloser.

Ich nehme an: Die Bewertung des Hörens in der Gesellschaft ist keine Ideologie, sondern eine Wertschätzung des Hörsinns, so wie man auch andere Körperfunktionen wertschätzt. Tatsächlich müssen gehörlose Menschen unter Einschränkungen und Diskriminierungen leiden, weil die Gesellschaft die Bedürfnisse gehörloser Menschen nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Änderung dieser Situation ist notwendig. Ich sehe aber nicht, dass das Erklärungsmodell des Audismus dafür eine Perspektive bietet.
Zitat:
Dass in einige Länder wie China auf den Geburt eines Mädchens ganz anders reagiert wird, als hier in Deutschland, liegt nicht an die Weiblichkeit, sondern an die Normvorstellung der Weiblichkeit.
Und an der staatlichen Bevölkerungspolitik, die lange Jahre eine Ein-Kind-Familie propagiert haben.
Zitat:
Würdest du Verständnis für diese Eltern haben, wenn sie negativ auf einen Geburt eines Mädchens reagieren?

Nein, natürlich nicht. Ich wäre wütend.
Zitat:
Soll man nicht vom Sexismus sprechen, weil diese Eltern sonst damit belastet würden?

Doch, das soll man.

Ich schrieb ja schon, dass ich der Auffassung bin, dass man gesellschaftliche Unterdrückungsformen wie Rassismus und Sexismus nicht mit der gesellschaftlichen Einschätzung des Hörens vergleichen kann. Es wäre schön, es würde den Kampf ungeheuer erleichtern, aber es geht einfach nicht.

Nun gibt es also unterschiedliche Gruppierungen innerhalb der Gehörlosen (meine Meinung ist gar nicht wichtig), das ist eigentlich normal bei jeder politischen Arbeit und nicht wirklich schlimm. Ich wünsche mir nur, dass unterschiedliche Meinungen respektiert werden, dass es keine Spaltung der ohnehin schon winzigen Gruppe gibt und dass trotz aller Meinungsverschiedenheiten eine erfolgreiche politische Arbeit möglich ist - und dass keine Freundschaften in die Brüche gehen. Das ist dieser Begriff wirklich nicht wert.



Spitzenmitglied



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Lukbo, Audismus ist nur Erklärungsmodell einer Ideologie?
Ich dachte, es geht um eine zusammenfassende Bezeichnung für
die Benachteiligungen, Vorurteile und Diskriminierungen
tauber Menschen durch hörende Menschen.
Dafür wäre ein treffendes Wort nützlich.

Bengie,
stimmt, ich habe versucht, Audismus so "abzuspecken", das
alle tauben Menschen erstmal zustimmen und alle Hörenden
ohne lange Vorträge verstehen können und ihr Denken über
taube Menschen ändern.

Wenn Audismus nur verstanden werden kann, als eine
Ideologie der Hörenden über Höherwertigkeit des Hörens
und die ganze Gesellschaft demnach audistisch ist,
kann ich nicht mit diskutieren.
Das ist für meinen Verstand zu abstrakt.
Quantentheorie ist da leichter zu verstehen und auch interessanter.
Tschüss.



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Hier möchte ich zuerst versuchen zu erklären, welche Bedeutung der Diskurs für uns alle ist und wir den Diskurs zu unserem Gunsten verändern können. Der Diskurs hängt mit den Vorstellungen und den Handlungen der Menschen zusammen. Wenn wir den Diskurs prägen, sozusagen dominant machen, dann kommen wir weiter.

Bengie, dein Engagement über Audismus ist wirklich gross. Ich verstehe dich, dass du dich von den Bedenkträgern oder Zweiflern in die Enge manchmal getrieben fühlst und du daher gezwungen bist, verschiedene Argumente zu liefern. Es ist ein typisches Dialog zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen. Oftmals werden die Ohnmächtigen gezwungen, sich weiter zu engagieren, und die Mächtigen belehren einfach die Ohnmächtigen, was sie falsch getan oder gesagt haben. Du kannst einfach auf die anderen Minderheitsgruppen, die weniger Macht haben, schauen, das läuft genauso nach dem Schema ab. Am besten gib du den Mächtigen, manchmal nicht die Macht, indem wir nicht auf deren Bedenken nicht ganz eingehen und es einfach zur Kenntnis nehmen. So bewahren wir uns die Kraft und den Glauben an uns, und machen den Weg weiter. Die Kräfte können wir dann gut verteilen, wenn wir den schwierigen Weg mit langem Atem gehen sollen.

Wenn wir einander unterstützen, dann sind wir immer mehr vernetzt. So bauen wir selber die Macht des Diskurses auf, dann können wir später noch die Gesellschaft erreichen, wenn wir wissen, welchen Diskurs wir führen können und wie wir am besten vermitteln können. Dann werden die Schwerhörigen und die Ertaubten mit uns nach und nach mitmachen. Sie haben es derzeit schwer, weil sie so nah an den Maßstäben der audistischen hörenden Fachleute gemessen sind. Für sie ist es ein schmerzlicher Prozess, wenn sie sich mit Audismus befassen, weil sie selbst daran erinnert werden und mit sich erst auseinandersetzen müssen. Es ist ein großer Gewinn, wenn alle Hörbehinderten mal gemeinsam ab und zu diskutieren würden, nicht hier, sondern von Auge zu Auge.

Warum schreiben wir nicht ein Buch oder einen Film? Warum machen die Theatergruppen nicht ein solches Stück? Wie zum Beispiel die norwegische professionelle Theatergruppe Manu mit dem Stück Frankenstein in jüngster Zeit.

Wenn wir zu unserem Taubsein bekennen und über den Audismus klar werden, dann können wir die Potentiale in uns besser nutzen und nach vorne gehen. So rütteln wir schon die Gesellschaft auf, dabei sollen wir unbedingt auf die Win und Win-Situation, wie IK bei der Übersetzung des Interviews geschrieben hat, achten. Die hörenden Fachleute und die Hörenden sollen wir als Verbündete gewinnen, so können sie für uns umdenken und unterstützen. In diesem Sinne können wir nach und nach sehen, wie wir auch das System der Vorteile stoppen, indem wir selbst einander hoch arbeiten können und verantwortliche Positionen einnehmen können. Ihr habt ja dazu die Kompetenz, wenn ihr bereit seid. Wir müssen eben das stillgebliebene oder schwach bewegte Laufband nach Baumann mehr zum Bewegen bringen, ich kann das aus eigenen Erfahrungen schon gut nachvollziehen.



Mitglied



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Ich bin immer noch froh über das gelungene Interview vom Frontrunners mit Baumann. Insbesondere hat er den Kreislauf des Audismus auf drei Ebenen anschaulich erklärt. Zum erstenmal habe ich bei Hilde Hauland, der tauben Kulturwissenschaftlerin aus Norwegen, im Vlog darüber erfahren und auch hier gepostet (siehe oben am 16.1.07). Es war mir jedoch noch nicht ganz klar, deswegen habe ich bei bisherigen Vorträgen kaum darüber erzählt. Ich danke hier auch dem Lukbo für den Linkhinweis. Im Artikel von Baumann wird erklärt, dass das Erklärungsmodell Audismus mit drei Ebenen seit 1975 in Schritten ausgebaut worden ist. Also zuerst Tom Humphries, dann Wellmann und Baumann & Bahan.

Ich finde, der Kreis schliesst sich langsam. Zum erstenmal hat es bei mir und anderen den Klick gemacht, als ich den gekürzten Film „Audismus unveiled“ von Baumann im letzten Jahr während den Gallaudet-Protesten gesehen habe. Dann habe ich den Zusammenhang verstanden, warum Hartmut hier im GL-Cafe über Audismus geschrieben hat, und zwar seit 2002! Deswegen hat der KuGG-Vorstand Hartmut nach Deutschland eingeladen, damit er sein Wissen mit uns teilen kann und die Diskussionen bei uns auch ermöglicht werden können. Das passt alles gut mit dem „Laufband“ nach Baumann zusammen, weil wir „das System von Vorteilen“ etwas aufbrechen können, wenn wir das Wissen über verschiedene Forschungen miteinander teilen, damit wir gemeinsam vorwärts kommen im Sinne des Empowerments.

Paco, du hast wohl an einer fortschrittlich gesinnten Universität oder Fachhochschule studiert, wo es schon gelehrt worden ist, dass die Sprache als ein Zeichensystem nicht gleich Lautsprache ist. Hat man sich schon kritisch mit den Ansichten des Begründers der modernen Sprachwissenschaft Saussure auseinander gesetzt hat und an den Vorstellungen von Wittgenstein und Derrida orientiert, nicht wahr?!

Ein großer Vorteil für die Förderung der Gebärdensprache in Bildung und Erziehung ist bei den Schriften von Jacques Derrida zu sehen. Der hat den Phonozentrismus in Frage gestellt, wo zu viel Wert auf das Sprechen und zuwenig Wert auf das Schreiben gelegt worden ist. Im Laufe der 80er Jahre sind die Schriftsprache und die Gebärdensprache für die Idee des Bilingualismus in Deutschland entdeckt worden. Die übertriebene Höherstellung des Hörens und Sprechens kann langsam relativiert werden. Deswegen ist es klar, dass Baumann in seinem Artikel oftmals auf diese berühmten Denker eingegangen ist und die gesellschaftlichen Diskurse aufgezeigt hat. Nicht minder wichtig ist die Diskursanalyse von Foucault, diese Forschungen stehen genauso im Mittelpunkt von Harlan Lane mit seinem Buch „Maske der Barmherzigkeit“. Also es wundert mich nicht, dass der Begriff Audismus auf der Welt verbreitet werden kann, weil es wissenschaftlich gut argumentiert worden ist.

Meiner Ansicht nach habe ich noch Zweifel am Begriff Ideologie für die erste Ebene. In Englisch und Deutsch ist es unterschiedlich, glaub ich. Die Menschen haben natürlich unbewusste und vorbewusste Haltungen, es kommt von den Gesellschaften zusammen. Vielleicht können wir sagen: individuell, institutionell und gesellschaftlich. Da kann man das schon als ein gut durchdachtes System verstehen. Wenn man an die Gesellschaft denkt, dann sind die Einstellungen, Normen und Wertvorstellungen schon verstanden.

Pnin, ich glaube, langsam verstehen zu können, dass du die Taubheit als ein normales Phänomen betrachtest, wie genauso die anderen Phänomene mit der Rasse, Geschlecht, sexuellen Identität usw. Da stimme ich dir schon zu! Das können wir aber erst vielleicht im Paradies erleben. In der alltäglichen Praxis sind die Menschen eher geneigt oder einfach gestrickt (wie du geschrieben hast), die Erfahrungen in sich zu speichern und die Verhaltensmuster zu haben, die sich von de Kindheit bis zum späten Alter sich fortlaufend entwickelt haben. Daher gibt es viele Diskriminierungen und Kulturkonflikte. Darüber werden die Forschungen bei der Soziologie, Politikwissenschaften, Pädagogik, Psychologie usw. eben betrieben.

Als Neuerungen sind die Deaf Studies und Disability Studies hinzu gekommen worden. Wir können ja froh sein, mehr zu wissen, wie die Lebenssituationen der behinderten bzw. tauben Menschen aussehen. Diese Studien verfolgen das soziale Modell, also mit der Ausgrenzung und Unterdrückung (nicht mit dem medizinischen Modell, dafür arbeiten die Ärzte usw.). Es wird auch da geschrieben, dass der Begriff Behinderung eine Projektion seitens der „normalen“ Menschen ist und behinderte Menschen sich mit diesem Begriff schwer tun. Also wie bei uns mit dem Wort Gehörlos. Es braucht noch Zeit, wie wir in Zukunft damit umgehen.

Die behinderten Aktivisten in Deutschland bezeichnen sich sogar als die letzte Bürgerrechtsbewegung. Nicht zu vergessen ist, dass das Forum behinderter Juristen das Gleichstellungsgesetz, einschliesslich die Anerkennung der Gebärdensprache, in den 90er Jahren entwickelt hat, natürlich sind Uli Hase und später Petra Piel da vertreten. Das gleiche ist bei der UN-Konvention geschehen, wie Liisa Kauppinen im Interview im Spektrum 11 während des Weltkongresses in Spanien erzählt hat. Es ist nicht sinnvoll, wenn wir sagen, dass wir mit anderen Behindertengruppen nicht zu tun haben. Gemeinsam sind wir stark.

Die Behinderung ist jedenfalls ein soziales Konstrukt und wird von der Gesellschaft gemacht. Das haben die behinderten Aktivisten die Politiker begreiflich gemacht. Deswegen haben wir ja verschiedene Gesetze mit der Erweiterung der Definition betreffs der Behinderung. Darauf habe ich schon mehrmals hingewiesen. Es ist ein grosser Gewinn, wenn wir uns mit den verschiedenen Punkten beschäftigen, also Audismus, Taubsein, Diskriminierung, Gesetze, Untertiteln usw. Es ist also ein vielschichtiger Prozess!

Paco, bist du jetzt beruhigt, dass wir nicht andere Punkte vernachlässigen werden? Es wäre hilfreich, wenn du uns mehr vertrauen kannst. Wir brauchen die Diskussionen, um die gewisse Reife zu entwickeln, was uns nach vorne bringen kann und wie wir unser Leben verbessern können. Wie ich glaube, bei Bengie verstanden zu haben, hat er wortwörtlich nicht so gemeint - wer gegen Audismus ist, der ist gegen Gleichberechtigung. Man soll nicht so politisieren, ich habe eben versucht, die Problematik des Diskurses aufzuzeigen. Das gilt auch für die andere Seite, wenn wir gemeinsam hin kommen. Daher finde ich nicht angebracht, wenn du den Begriff Spaltung in die Diskussionen einbringst. Der Diskussionsprozess ist seit einem Jahr alt. Hier ist noch ein bisschen theoretisiert worden, wir werden anschaulichere Beispiele für die Existenz des Audismus noch bekommen. Dann wird es uns leichter fallen, immer besser darüber zu diskutieren und gemeinsam aktiv zu werden. Das Stichwort Win-Win-Situation wird da mit Leben noch gefüllt, wie ich hoffe.



Rote Karte!
Rote Karte!



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Voghel,
Charly Brown hat das Thema auf den Nenner gebracht.
Einfach und klar sollte es sein.

Die Postings von Pnin, Pyros, Paco sehen die Gehörlosen
in der hörenden Welt eingebettet und so schlimm schlecht stehen die dt. Gl nicht da.

Deine Freunde bengie und Co. haben viel zu viel hineingeschrieben.
Das viel Geschmäckle von wunderbaren Taubsein wird gern übersehen.
Die Vergleiche mit anderen Begriffen vermengt führt zur Ablehnung.
Das ist euer Problem.

Weit her geholte Beispiele und grenzwertige Dinge,
das zeugt niemals von überzeugender Argumentation
und ist zurückgewiesen worden.

Mächtige - Ohnmächtige???, daran hat niemand gedacht,
wieder eine deiner schönen Fabeln.

Du fängst erst an, nachdem mehrere Gl-Schulen zu Förderzentren
"Hören" geworden sind.
Nach dem die Hörenden die Geschäfte mit dem Gebärdensprache-Markt
beherrschen.

Euer Theoriespiel - Diskursspiel liebt ihr zu sehr, ihr wartet nur auf den
Aufstand der schweigenden Gehörlosen-Mehrheit.

Mir ist lieber, ihr Du und bengie packen wirklich an,
ein Marsch auf Hamburg ... alles praxisbezogen durchziehen.
Damit hättet ihr allen gezeigt, was ihr für Berg-versetzen-Kräfte drauf habt.
Heiko Zienert ist ein leuchtendes Beispiel, er hatte Mumm gehabt
den damaligen DGB-Boss herauszufordern.
Du und bengie aus dem sicheren wissenschaftlichen Refuigum
die Gehörlosen "zu lenken" - als Deafy-Salonherrschaften. Das geht nicht.

"Wer andern eine Kirche baut, der muss selbst rein."

Viel Glück --- yakamoz
-



Spitzenmitglied



offline
Voghel hat geschrieben:

Dann werden die Schwerhörigen und die Ertaubten mit uns
nach und nach mitmachen. Sie haben es derzeit schwer,
weil sie so nah an den Maßstäben der audistischen hörenden
Fachleute gemessen sind. Für sie ist es ein schmerzlicher
Prozess, wenn sie sich mit Audismus befassen, weil sie
selbst daran erinnert werden und mit sich erst auseinandersetzen müssen.


Lieber Voghel,

:D, wie kommst du zu dieser Einschätzung bei SH und Spätis?

Für mich ist das kein schmerzlicher sondern kurzer Prozess
mit der Audismus-Ideologie.
Die kann mir den Buckel runter rutschen. Alles klar?

Zitat:

Die hörenden Fachleute und die Hörenden sollen wir als
Verbündete gewinnen, so können sie für uns umdenken und unterstützen.


Das ist der einzige bemerkenswerte Satz in deinen letzten beiden Postings!
Da denkst du wirklich schon ein bisschen weiter als der Bostoner Guru und sein Schüler.

Du solltest aber bedenken, wenn du zu einem Normalo-Hörenden sagst,
er sei kein Hörender im Umgang mit GL, er könne leider
nur 08-15 hören, dann , dann…
wird die Antwort mit großer Wahrscheinlich so aussehen: [idiot]

Mir fiel da eben die Fabel von der Katze und den Mäusen ein.

Link:Katze mit Schelle

Ein Analogie zu den Taubisten hier (die Mäuse) mit der
audistischen Welt (die Katze) liegt direkt auf der Hand.

Sogar für den Großvater in der Fabel gibt´s die passende menschliche Ergänzung. :D


Pyros



Mitglied



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@ Paco

ich würde gerne mehr auf dich eingehen, aber leider verstehe ich deine Gedankengänge gar nicht.

Meine Gedankengänge sehen so aus: Gehörlose haben eine eigene Sprache und Kultur. Dies wird von den Pädagogen und Medizinern aber ignoriert, deswegen nenne ich sie Audisten. Ihr Ziel ist es, Gehörlose zu "Hörenden" zu machen (CI) und schulischen Unterricht lautsprachbasiert zu organisieren, so daß ihre Gehörlosigkeit/Taubheit und alles was damit zusammenhängt ,vollständig unter den Teppich gekehrt wird.

Würden wir keine eigene Sprache und Kultur haben, gäbe es diese Diskussion über Audismus gar nicht. Dann würden wir uns bemühen, so gut wie möglich sprechen zu lernen und mit Hilfe der modernen Technik versuchen so gut wie möglich zu hören, da uns zur Kommunikation keine anderen Möglichkeiten offenstehen.

Deswegen verstehe ich dich nicht:

Zitat:
Interessant, dass deiner Meinung nach Sprache und Kultur der Auslöser dieser Diskussion sein soll, genau hier sehe ich überhaupt keinen Ansatzpunkt für Audismus, im Gegenteil.


Auch diese Aussage von dir irritiert mich:
Zitat:
Anschließend habe ich den Bereich der Bildung erwähnt und zugegeben, dass es in diesem Bereich eine Benachteiligung gibt.


Wie würde denn eine Beseitigung der Benachteiligung á la Paco aussehen?

@ Voghel

wie immer schreibst du ein ganz tolles Posting. Nur bei einem stimme ich dir nicht ganz zu. Hier im Forum gibt es bestimmt keine Mächtigen und Ohnmächtigen, alle sind IMO gleichberechtigt und ein kleiner exclusiver Kreis, der über einen bestimmten Begriff diskutiert, von dem die meisten Menschen noch nie gehört haben. Wenn es uns Spaß macht, warum nicht?

b.



Spitzenmitglied



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@ Voghel,

ich empfehle dir, diese amerikanische Webseite einmal durchzulesen.
http://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Audism

Dein Guru kommt darin auch zu Wort.

Es gibt aber auch dort, ähnlich wie hier, kontroverse Ansichten zum Audismus.


Nachtrag:

http://deafness.about.com/od/deafstudies/

An dieser Webseite ist interessant, dass neben dem Haupthema Deaf Studies
gleich in der Tabelle daneben unter "Essentials" ein Link zu "Cochlear Implant Info" zu finden ist.

Das ist hier undenkbar!

Das zeigt deutlich, dass dort ein viel entkrampfteres Verhältnis zum CI besteht.
Es ist aus meiner Sicht einfach nur ein etwas anderes Hörgerät.

Aber solange solche Beiträge vom Bostoner Guru kommen wie hier am 09.01.08,

http://www.gl-cafe.de/viewtopic.php?t=40573&postdays=0&postorder=asc&start=150

wird es keine Zusammenarbeit und Kooperation unter den veschiedenen
Hörbehinderten-Gruppen in Deutschland geben.

Das ist schade!

Die GL-Kultur wird auf lange Sicht nur überleben,
wenn CI-Träger nicht mehr ausgegrenzt,
sondern voll akzeptiert werden.

Wenn ich hier Beiträge lese wie "ich hasse voll CI",
dann wissen diese Personen oft nicht genau, was sie damit ausdrücken wollen.

Der geistige Brandstifter für diese Sprüche wohnt allerdings in Boston.


Pyros



Mitglied



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@ Pyros

Zitat:
Wenn ich hier Beiträge lese wie "ich hasse voll CI",
dann wissen diese Personen oft nicht genau, was sie damit ausdrücken wollen.

Der geistige Brandstifter für diese Sprüche wohnt allerdings in Boston.


Was soll das jetzt wieder?? [baff]Du diskriminierst hier offenbar Gl, die nicht so gut Deutsch können !! Deswegen können sie auch keine andere Meinung haben?? Mal wieder ein schlagender Beweis, was wir hier diskutieren, nämlich daß bestimmte Audisten (zu denen darf ich jetzt auch dich zählen) Die deutsche Sprache über alles stellen, und jeden, der sie nicht so gut beherrscht, geistige Beschränktheit unterstellen.

Gehörlose wissen sehr genau, was sie damit ausdrücken wollen. Wie erklärst du dir sonst daß kein Gl Freudensprünge macht, daß es diese "tolle" Erfindung gibt?
Ja, auch ich hasse voll CI. Ich kannte Hartmut noch gar nicht, als ich das erste mal vom CI hörte, ich und alle anderen Gl die ich kannte waren sofort dagegen. Ursache für die Gl-Front gegen das CI kann gar nicht Hartmut sein, den auch viele Gl nicht kennen.

Das andere Link, daß du da rausgepickt hast, ist eine Website, die von Hörenden betrieben wurde, nicht von Gl. Klar, daß das hörende Establishment das CI besonders herausstellt. Im Übrigen ist dieses Forum eine werbungsfreie Zone.

b.



Mitglied



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Versuch einer alternativen Theorie der Diskriminierung


Vorrede
Die Audismus-Theorie ist in meinen Augen ein ungeeignetes Konzept zur Erklärung von Diskriminierungen gegenüber Gehörlosen. Es wird von keinem Kritiker dieser Theorie bezweifelt, dass Diskriminierungen von Behinderten existieren und nicht tolerierbar sind. Uneinigkeit herrscht lediglich darüber, wie diese Diskriminierungen zustande kommen. Weil die Ursachen unterschiedlich gesehen werden, herrscht auch eine gewisse Uneinigekeit darüber, wie gegen diese Diskriminierungen vorgegangen werden sollte. Mein persönlicher Eindruck ist jedoch, dass sich diesbezüglich - sieht man mal vom ewigen Zankapfel Cochlear Implantat ab - diesbezüglich wesentlich schneller Einigkeit erzielt werden könnte, als im Hinblick auf die Ursachen. Der Grund liegt eventuell darin, dass die Ursachen ganz fundamental auch das persönliche Selbstverständnis betreffen bzw. von diesem beeinflusst werden.

Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen möchte ich vorweg schicken, dass ich nichts gegen die Gebärdensprache habe. Ich habe sie selbst genutzt und immer bedauert, dass es nicht möglich war und ist, diese besser zu erlernen. Die Gründe dafür, habe ich einem früheren Beitrag kurz erörtert.


Kritik an der "Audismus-Theorie"

Es sind vielfältige Kritikpunkte an der Audismus-Theorie geäußert worden. Meines Erachtens wurde keiner wirklich wiederlegt. Ich beschränke mich daher hier auf einen kurzen Abriss der wesentlichen Punkte:

  • Pauschalisierungen: Viele Aussagen in der Diskussion wirken auf mich und andere pauschalisierend und damit überzogen. Da ist z.B. davon die Rede die Philosophie seit Aristoteles sei audistisch. Dass es die Philosophie nicht gibt, sondern nur ein Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil gegensätzlicher Strömungen wird ignoriert. Gleiches gilt für andere Hinweise darauf, dass die neuere Philosophie (etwa seit 1920) Sprache immer stärker als Zeichensystem auffasst und somit nicht allein auf "Lautsprache" reduziert. Weitere Beispiele ließen sich bringen (Ärzte, Pädagogen - eigentlich die gesamte Welt außerhalb der Gl-Gemeinschaft).

    Es ist eigentliche eine Ironie der Geschichte, dass ausgrechnet eine Gruppe, die so sehr auf ihre Andersartigkeit pocht, den Rest der Welt der Art über einen Kamm schert, gleichmacht und über individuelle Befindlichkeiten (und meines Erachtens auch Bedürfnisse) hinweg geht. Das obskure "Wir", mit dem Hartmut immer die gesamte Welt der Gehörlosen für sich und seine Ideologie vereinnahmt ist da nur die Spitze des Eisberges. Damit verbunden ist, dass vor allem Außenstehende das Gefühl haben, hier hersche eine gewisse Wagenburgmentalität: "Hier drinnen wir, die guten Gehörlosen - dort draußen die böse audistische Welt!" Historisch und emotional mag das verständlich sein, ob es zum Ziel führt, wage ich zu bezweifeln. Es wirkt auf jeden Fall nicht wie die Einladung zu einem Dialog.
  • Begriff der Ideologie: Es wird der Mehrheit (?) der hörenden Menschen eine "audistische Ideologie" unterstellt. Nach wie vor unklar ist, wie diese verbreitet werden soll. Nach wie vor unklar ist, wie etwas, das eigentlich unbewußt ist, schließlich bewußt und reflektiert sein soll. Nach wie vor unklar ist, wie dies mit der Erfahrung vieler hörbehinderter Menschen zusammenpassen soll, dass das Problem meist Unwissenheit, Unsicherheit und mangelnde Aufklärung über das Phänomen "Taubheit" zusammenhängt.

    Schließlich wird mit dem Begriff oder Vorwurf der "audistischen Ideologie" wieder eine Art Pauschalisierung betrieben - siehe dort.
  • Behinderung als bloß soziales Konstrukt: Im Rahmen der "Audismus-Theorie" wird das Phänomen der Behinderung auf ein bloß soziales Problem reduziert. Dagegen habe ich schon mehrfach Einwände erhoben, die nicht ausgeräumt werden konnten. Der Hinweis, "deswegen hätten wir ja verschiedene Gesetze mit der Erweiterung der Definition betreffs der Behinderung" hat nichst mit der Sache zu tun. Mir ist kein Gesetz bekannt, in dem stünde, Behinderung sein ein soziales Konstrukt. Der Gesetzgeber hat diverse Gesetze erlassen, um Nachteile behinderter Menschen auszugleichen, ihnen rechtliche Mittel an die Hand gegeben, gegen Diskriminierungen vorzugehen etc. pp. Das ist alles richtig und nötig.

    Nur wird es dem Phänomen "Behinderung" nicht gerecht. Zum einen übersieht diese These, dass es meist Individuen sind, die handeln. Es ist ein spezieller Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz nicht an einen Behinderten vergibt, weil er was auch immer denkt! Es ist ein spezieller Architekt und/oder sein Auftraggeber, die "vergessen", das Gebäude mit rollstuhlgerechten Zugängen und Toiletten zu versehen. Eine "Theorie der Diskriminierung behinderter Menschen" müsste diesen Aspekt wesentlich stärker berücksichtigen, als es die "Audismus-Theorie" bislang tut.

    Des weiteren wird der Ursprung des Phänomens gesehen. Und das ist nun mal eine körperliche Einschränkung, sei es der Augen, des Gehapparats, der Ohren oder was auch immer. Dem trägt der Gesetzgeber ja ebenfalls Rechnung, in dem er den Bezug von Nachteilsausgleichen und anderen Unstützungen an den "Grad der Behinderung" und die diversen Merkzeichen knüpft.
  • Begriff der "institutionellen Diskriminierung": Hier gilt ähnliches, was schon zum Thema "Begriff der Ideologie" gesagt wurde.
  • Wert des Hörens bzw. Werterelativismus: Ein ständiger Streitpunkt in der Debatte - schon seit Anno Tuck. Auch in den Beiträgen hier blieben die Ausführungen zum Thema unbestimmt, unklar - eher nach dem Motto es ist ebenso und Basta! Fragen zum Thema wurden genug gestellt - Antworten nicht gegeben bzw. die Antworten die gegeben wurden, waren nicht befriedigend!

    Das Problem ist meines Erachtens folgendes. Der Begriff des "Audismus" baut ganz zental auf der These auf, dass Hören werde überbewertet. Nun fragt man nach, was es mit dem Wert des Hörens auf sich habe, wie das Hören richtig oder zumindest besser, passender zu bewerten sei! Als Antwort erhält man höchstens, dass die Diskriminierungen Hörbehinderter Ausdruck dieser Überbewertung seien. Ich will also ein Phänomen erklären und benötige dazu einen Begriff. Diesen Begriff kann ich aber nur an Hand des Phänomens definieren, das ich mit diesem Begriff erklären will. Tut mir Leid, für meine Begriff, beißt sich da die Katze (oder der Hund) selbst in den Schwanz.
  • Wo sind die anderen Behinderten?: Andere Behindertengruppen spielen in den Überlegungen keine Rolle. Ich habe dies immer als Manko erlebt, da ich persönlich seit meiner Ertaubung eine noch stärkere Solidarität mit anderen Behindertengruppen empfinde. Besonders auffällig ist dies, wenn es um andere Behinderten geht, die es auch an den Ohren haben, nämlich Schwerhörige und Spätertaubte. Dass der Guru der Audismus-Theorie, nur eine sehr eingschränkte Sicht auf diese Menschen hat ... geschenkt. Aber auch andere sind auf diesem Auge blind oder zumindest in ihrer Sicht stark eingeschränkt - Schade!
  • Methodische Einwände: Die Frage, wie eine Gesellschaft bzw. ihre Mitglieder mit Behinderten umgehen ist meines Erachtens ein vielschichtiges Problem. Leider beschränken sich die hier diskutieren Ansätze auf Beiträge aus der Soziologie, der Politikwissenschaften, der Pädagogik, der Psychologie. Von dort sind durchaus wichtige Beiträge zu erwarten, nur fehlt ihnen irgendwie ein Fundament. Der Mensch ist - meines Erachtens - zu allererst ein Lebewesen. Er mag ein soziales, ein denkendes, ein handelndes, ein politisches Lebewesen sein - aber ist immer und zuerst ein Lebewesen. Die Frage, was der Mensch sei, über welche biologischen, welche antrophologischen Eigenschaften er verfügt, spielen leider gar keine Rolle in der "Audismus-Theorie". Oder es wird stillschweigend ein Menschbild vorausgesetzt ohne es explizit zu benennen.


Skizze einer Alternative

Wie könnte nun ein alternatives Modell aussehen? Dies möchte ich nur grob skizzieren und vor allem Punkte und Fragen ausarbeiten, die auf dem Weg dorthin geklärt, diskutiert werden müssten. Ich lasse mich dabei von einigen Grundannahmen leiten:
  • Es gibt nicht die Erklärung für Diskriminierungen (siehe oben den Punkt Pauschalisierungen). Stattdessen spielen meines Erachtens eine Vielzahl unterschiedliche Prozesse und Geisteshaltungen eine Rolle. Diesen ist Rechnung zu tragen.
  • Ein Modell sollte auch den Diskriminierungen anderer Behinderter Rechnung tragen (siehe oben den Punkt "Wo sind die anderen Behinderten?).
  • Ausgangspunkt eines Modells sollte der einzelne Mensch sein, sowohl auf handelnder als auch auf behandelter Seite.

Ausgehend vom zuletzt genannten Einwand ("Methodische Einwände") könnte zunächst die Frage "Was ist der Mensch?" diskutiert werden. Das wäre eine erste Fragestellung, die auch unabhängig vom Problem der Diskriminierung behinderter Menschen diskutiert werden könnte. Selbst wenn man - wovon auszugehen ist - zu keiner Einigung gelangt, so könnte man doch einige wichtige Punkte, implizit (nicht offenkundig geäußert) gemachte Annahmen, verdeutlichen, die für die weitere Diskussion wichtig sein könnten.

Von zentraler Bedeutung sind meines Erachtens Begriff wie "normal" oder "fremd" - darauf hat Paco sehr richtig hingewiesen. Ich habe bereits weiter oben erörtert, dass ich diese Begriffe für sich genommen noch nicht für diskriminierend halte. Ich halte sie sogar für wichtig, um sich in der Welt zu orientieren. Etwas, was als normal wahrgenommen wird, bedarf keiner besonderen Aufmerksamkeit. Das was als un-normal oder fremd erlebt wird schon! Wissenschaftler z.B. geraten völlig aus dem Häuschen, wenn Messwerte nicht in das erwartete Schema passen. Solle "Un-Normalitäten", solche Abweichungen sind mögliche Ansatzpunkte für neue Theorien. Bestehende Theorien bloß zu bestätigen ist letztlich langweilig.

Die entscheidende Frage ist nun, wie man darauf reagiert, wenn etwas als fremd oder "nicht normal" wahrgenommen wird. Meiner Erfahrung nach, die ich durch die Erzählungen vieler anderer (auch hier im Forum) bestätigt sehe, sind es verschiedene mögliche Reaktionen. Einige möchte ich kurz auflisten - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
  • Mitleid
  • Mitgefühl
  • Angst und Unsicherheit
  • Entsetzen
  • Abscheu
Manche dieser Reaktionen können auch gleichzeitig oder auf einander abfolgend auftreten. Audismus kann ich eigentlich nur in der letzten Reaktion sehen, die ich persönlich für die seltenste halte. Es mag auch Leute geben, die der Meinung sind, nur ein "gesunder & vollsinniger" Mensch sei ein "echter" Mensch. Ich halte solche Meinungen aber für eine ziemliche Seltenheit.

Der weitaus größte Teil von "Fehlreaktionen" gegenüber Behinderten ist meines Erachtens auf Unwissenheit zurückzuführen. Das haben viele - auch Vertreter der "Audismus-Theorie" hier bestätigt. Es sind meines Erachtens zwei Punkte, die meistens unklar sind.

1.) Was kann der Behinderte?

2.) Was will der Behinderte?

Oder anders ausgedrückt: Was geht und was sind seine eigenen Bedürfnisse?

Wenn ich an meine erste Zeit nach der Ertaubung denke, so waren das genau die Fragen, die mich auch selbst beschäftigt haben. Zunächst musste ich heraus finden, was ich kann und was ich nicht (mehr) kann. Darauf aufbauend konnte ich mir überlegen, wie ich die Einschränkungen ausgleichen kann - was ich will! Ich weiß auch aus den Gesprächen mit meinem Umfeld, dass dies oft die wichtigste Frage war: "Was geht? Wie ermöglicht man, was nicht mehr geht?" Da herrschte oft eine nicht unbeträchtliche Unsicherheit - auf beiden Seiten.

Das ist aber ein Problem, das sich lösen lässt - durch Aufklärung und nicht durch die "Audismus-Keule".

Ein weiteres "Konzept" im Umgang mit Behinderten ist ganz einfach Rücksicht! Oder anders ausgedrückt: "Was du nicht willst, das man Dir tu// Das füg' auch keinem anderen zu!" ... oder Kants kategorischer Imperativ.

Ich möchte noch ein paar weitere Fragen, Denkanstöße formulieren:
  • Ist es sinnvoll, dass die Gehörlosengemeinschaft so stark auf dem Begriff der "Taubseinskultur" herumreitet?

    Taubheit ist die fehlende Fähigkeit, Hören zu können. Etwas nicht zu können wird ehrlicherweise immer als schlechter, nachteiliger empfunden, als etwas zu können, unabhängig ob das nun Hören, die englische Sprache oder Differentialgeometrie ist.
  • Welcher Zusammenhang besteht zwischen Taubheit (oder Taubseinskultur), Gebärdensprache und der Kultur der Gebärdensprache? Ist das eine ohne das andere denkbar? In der Vergangenheit sicherlich nicht - aber in der Zukunft?
  • Diese zwei Fragen tangieren dann natürlich auch die Haltung gegenüber dem CI. Pyros Diagnose zu diesem Thema vom 12.01.08 (19:31 Uhr) kann ich nur zustimmen. Wenn ich hier lese, was über Eltern geschrieben wird, die sich - möglicherweise - für ein CI für ihr taubes Kind entscheiden, wenn hier vom hörenden Establischment gefaselt wird .... glaubt Ihr da eigentlich selbst noch Eure Verschwörungstheorien?

    Nach meiner ganz persönlichen Einschätzung ist die Stärke der Gehörlosengemeinschaft die Gebärdensprache. Leider überlagert das populistische teilweise reißerische Gerede über Audismus diese Stärke. Statt über Eltern zu schimpfen, die sich für ein CI entscheiden, wäre es nicht sinnvoll diesen Gebärdensprachkurse anzubieten und zwar in einer Art und Weise, die gewinbringend für sie ist? Gleiches gilt für Spätertaubte und Schwerhörige: Statt ihnen in dümmlicher Art und Weise vorzuwerfen, sie trauerten dem Hören nach und seien "voll audistisch" - wo sind die Konzepte, die Spätis mittels der DGS eine alternative (weitere) Kommunikationstechnik anbietet?
  • Ich stellte weiter oben die Frage, was denn passiere, wenn es die hypothetische Hörpille gäbe. Damit meine ich eine Tablette, die ohne Nebenwirkungen das natürliche Gehör wieder herstellt - in 100% der Fälle. Gibt es Gründe, diese Pille gehörlosen Kindern nicht zu geben? Wenn ja, welche?

Soweit ein paar Anmerkungen. Aus den geplanten 2 Cent zum Thema sind leider doch 4 geworden. Bitte die Länge zu entschuldigen. Ich erhebe nicht den Anspruch, der Weisheit letzten Schluß formuliert zu haben.

In diesem Sinne ... und Tschüss!

Pnin



Mitglied



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@Pnin
Vielen Dank für die Fragen und Denkanstöße! :) Und auch dafür, dass du ausführlich schreibst, warum du gegen diese Theorie bist und gleichzeitig eine neue vorschlägst.


Ich habe das Gefühl, dass ich verstanden habe, was Audismus ungefähr bedeutet, aber gleichzeitig überhaupt nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht zu allen tausenden Erklärungsversuche zum Audismus zustimme.
Das größte Problem habe ich mit der Aussage von bengie, er behauptete, dass zu 99% der Menschen audistisch seien.
Die Frage von mir, was ist bei den 1% Menschen anders, dass sie nicht audistisch sind. Was haben sie gemacht? Wie haben sie sich "richtig" verhalten? Ich würde mich auf die Antwort freuen, die den Unterschied zwischen den beiden Gruppen erklärt.

Ich denke, es ist besser, wenn wir uns von dem Begriff "Audismus" erst einmal distanzieren. Ist einfach zu abstrakt. Ein zu abstrakter Begriff wird von jedem zwangsläufig anders interpretiert, weil jeder eine andere Erfahrung im Leben hat. Wie wäre es damit, wenn wir konkretisieren, also sagen, was wir uns wünschen, was wir fordern? Die Ungerechtigkeit aufspüren und nach Lösungen suchen.

@Pnin
Auf deine letzte Frage möchte ich eingehen. Ich finde, es gibt tausend Gründe, Kindern nicht die Pille fürs Hören zu geben.
• Menschen sollen nicht gleich gemacht werden, Gemeinschaften mit unterschiedlichsten Menschen sind interessanter (Vielfältigkeit)
• Würde es die Pille, die Menschen schlauer machen, geben, sollen die Menschen sie nehmen?
• Pille wird wohl nicht allen Gehörlosen helfen, denn es gibt verschiedene Gründe dafür, warum man taub ist. Was ist mit den restlichen Kindern? Die Gehörlosengemeinschaft ist stärker, je mehr Mitglieder sie hat.
• Bedeutet es nicht, wenn man gehörlosen Kindern die Pille gibt, dass Gehörlose unerwünscht sind? Vermittelt das nicht den Gehörlosen das Gefühl, nicht vollkommen zu sein?




 [Diskussion] Was ist Audismus





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