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 [Diskussion] Was ist Audismus


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@CharlyBrown

Wieso sollte ich unsachlich sein, weil ich pazifistisch bin und somit gegen jede Art von Kriegführung wie die "Operation Enduring Freedom" der USA.

Ebenso bin ich gegen CI-Operationen bei Gl Kindern, aus verschiedenen Gründen, die ich dir gerne ausführlich darlege, wenn du Interesse anmeldest.
Das gehört aber hier nicht zum Thema, obwohl das natürlich auch mit Audismus und Allmacht der hörenden Welt zusammenhängt.

das eine hat nichts mit dem anderen zu tun, deswegen warst du wohl verwirrt. Ich wollte auf sarkastische Art darlegen, das es Schlimmeres gibt, als sich hier im Forum zu zanken. Jeder hat seine/ihre Meinung und kann sich hier äußern wie ihm der Schnabel gewachsen ist,bzw. die Finger.

Das bezog sich wiederum auf Leute, die sich beschwerten, daß wir hier nicht zu Ergebnissen kommen. Das ist nicht der Sinn eines Forums.


Zitat:
Mach weiter so und auch die letzten an Gl-Kultur und
Gebärdensprache interessierten Eltern tauber Kinder
werden sich mit grausen abwenden und ihrem tauben Kind
so schnell wie möglich ein CI implantieren lassen.


Wir haben Meinungsfreiheit und leben in einer pluralistischen Gesellschaft und deswegen darf ich meine Meinung zum CI ausdrücken. Es kann nur gut sein,wenn solche Eltern erfahren, daß es gerade unter Gl differenzierte Meinungen zum Thema gibt, und nicht alle ins Hurra-Gejuble der Mediziner einstimmen.

@pyros
Zitat:
Das schließt aber nicht aus, dass man mich wegen der Taubheit manchmal
bewusst oder unbewusst übergeht und auch diskriminiert.


Das passiert uns allen ständig. Die Diskussion über Audismus kann helfen, Lösungen zu finden, wie gehen wir damit um? Wir können uns austauschen, welche Reaktion ist in welcher Situation passend? Dazu muß Audistisches Verhalten aber erst mal erkannt werden.



Spitzenmitglied



offline
Berenice,
pazifistisch sein und gegen "Enduring Freedom" ist ein Thema.
Gegen CI bei Gl-Kindern ist ein ganz anderes Thema.
Beide Themen in einem Satz zusammenmixen ist darum unsachlich.
Natürlich hast Du Meinungsfreiheit.
Du darfst Afghanistankrieg und CI-OP bei tauben Kindern in einem
Satz zusammenmixen.
Aber Eltern tauber Kinder, die im Internet mitlesen, bekommen
dadurch ganz bestimmt keinen positiven Eindruck von Gl-Kultur!



Spitzenmitglied



offline
Hallo!

Könnt ihr alle bitte mit Wörter Realität und Realismus lassen? Zum Beispiel
ist es meiner Meinung (als Realist) nach eine Realität, dass die audistische
Ideologie die Gesellschaft beherrscht. Daher gibt es keine absolute Reali-
tät, sondern eine relative! Also eine reine Ansichtssache!

...

Pyros,

mir ist noch nicht ganz klar, was du unter Audismus verstehst. Wie ich se-
he, hängt Audismus bei dir mit dem Vorwurf und der Verurteilung zusam-
men.

Unsere Gesellschaft wird erst nicht audistisch, wenn sie eine Ideologie ver-
folgt, dass die Hörfähigkeit und die Taubheit gleichwertig sind. Das ist heut-
zutage gar nicht so! Heute verhalten sich alle Menschen, sowohl Hörende als
auch Taube, wirklich unabsichtlich audistisch (und müssen natürlich nicht vor-
geworfen werden!). Nach meiner Schätzung sind ca. 99,99% aller Tauben
aller Länder selbst audistisch.

Der Kampf gegen Audismus funktioniert nur mit Aufklärung und Öffentlich-
keitsarbeit, nicht mit Vorwörfe und Verurteilung, was es zur stärkeren Ab-
grenzung führen kann!

Nun ein Vergleich von mir:

Eine Frau in einer Zeit, wo eine Ideologie noch herrscht, dass Frauen den
Männern untergeordnet sind, wird aber dabei von vielen Männern öfter an-
gelächelt, anerkannt und hochgelobt aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit.
Sind die Männer deshalb nicht sexistisch, auch wenn ihre Einstellung und
Wertvorstellung zur Weiblichkeit sexistisch sind?

Und zu deinem Vergleich:

Die Autofahrer sollen nur nach seiner Einstellung zu Fußgänger bewertet
werden, ob sie "automobilistisch" sind, nicht nach seinem (unabsichtlichen)
Vorgehen, der sich nicht genau einschätzen lässt. Sie sind nur erst "auto-
mobilistisch", wenn sie die Ansicht vertreten, dass die Fußgänger weniger
wert sind als Autofahrer, mehr nicht.

Und "was ist diese nette Truppe in deinen Augen nun"? Die Extremisten? =)

...

Eresburg,

die Sendung habe ich noch nicht gesehen. Aber ich versuche bei deiner
knappen Formulierung seiner Aussage zu erklären, was er damit meinte
=)

Der Kampf gegen Audismus heißt nicht gleich Kampf gegen Macht der Hö-
renden, sondern gegen System (Einstellung, Wertvorstellung, Überzeugung),
das unsere Gesellschaft "beschattet".

Auch wenn Hörende bei irgendeiner Firma genauso mächtig sind wie Taube,
können sie trotzdem audistisch bleiben.

...

Immortal King,
    Und wenn du genug Zeit hast - tu mir einfach den Gefal-
    len und sag mir, wer hier alles gegen Audismus ist. Du
    wirst staunen *g*
Es würde uns nicht weiterbringen, wenn ich hier anderen öffentlich ver-
urteile =) Ich schicke dich Zitate per PM zu, was über Ablehnung des
Audismusbegriffes aussagen.

...

Hans Busch,
    Er ist ja groß genug, um selbst zu wissen, dass nicht die
    gesamte Hörendenwelt aus der audistischen Ideologie
    besteht.
Leider muss ich dich widersprechen, denn ich vertrete zwar die Ansicht,
dass fast jeder Mensch bis auf wenigen Menschen audistisch ist. Ganz ein-
fach erklärt: Man ist audistisch, wenn man denkt, dass das Leben mit dem
Taubsein sowie der Taubheit minderwertig ist. Wer denkt schon an Gleich-
stellung?

Man soll mit allen Audisten nur mit der Aufklärungsarbeit machen, nicht mit
Vorwürfe und Verurteilung! Am schlimmsten betroffen sind Taube - wie du
Recht geschildert hast - von audistischen Ärzten und Pädagogen!

...

Pnin,
    Wenn man hier Aufklärungsarbeit leistet, wird man mehr
    erreichen, als mit der Audismus-Keule.
Da bin ich ganz deiner Meinung. Ich werde keine sogenannte "Audismus-
Keule" anschaffen lassen! =) Bisher habe ich immer von der Feststellung
der Phänomenen gesprochen, nicht von der Verkündigung der Bezeich-
nung (wie Hartmut im Thread zu Genozid treffend erklären versucht).
    Unpassend ist es daher auch von einer Ideologie zu re-
    den. Diese geht - meines Erachtens - immer von einem
    bewusst reflektierten Gedankengebäude oder Weltbild
    aus. Wenn aber die Mehrheit der diskriminierenden
    Handlungen unbewusst sind - wie sollen sie dann
    Teil einer Ideologie sein?
Das Wort Vorbewusste würde besser reinpassen, denn es ist bei glei-
chen
Reaktionen aller audistischen Menschen auf die Taubheit zu be-
obachten, dass sie eine audistische Ideologie verfolgen. Man würde
dann nicht mehr von der Ideologie sprechen, wenn die Gesellschaft
ganz unterschiedlich auf die Taubheit reagiert.
    Diese geht - meines Erachtens - immer von einem be-
    wusst reflektierten Gedankengebäude oder Weltbild
    aus.
Kannst du deine Annahme vielleicht mit verschiedenen Definitionen
des Begriffes Ideologie überprüfen?

...

CharlyBrown,
    Aber Eltern tauber Kinder, die im Internet mitlesen,
    bekommen dadurch ganz bestimmt keinen positiven
    Eindruck von Gl-Kultur!
Eine Schönrederei würde uns weiterhelfen?



Mitglied



offline
@Bengie
Woher nimmst du die Zahl 99,99 Prozent aller Menschen, dass sie audistisch handeln? Ist es etwa eine Antwort auf Pnin, der die Gedankenlosigkeit der Menschen auf 99 Prozent eingestuft hat? Ich würde einfach die Hälfte einschätzen, dass die Gesellschaft audistisch eingestellt ist, und die andere Hälfte nicht (eher die Gedankenlosigkeit a la Pnin): Ich bin anderer Ansicht betreffs den Tauben, die wollen überhaupt nicht audistisch eingestellt sein. Sie haben sich selber manchweilen aufgegeben und audistische Vorstellungen internalisiert (z.B. die Hörenden wissen mehr als uns - ich habe auch selber in der Jugendzeit daran geglaubt). Heute sind wir manchmal noch nicht ganz soweit, ein Beispiel ist die Bezeichnung Förderzentrum Hören. Hoffentlich wird es im nächsten Jahr mit den Protesten soweit sein!

Es ist immer abhängig davon, in welchem Staat die Tauben leben und wieviel taube Führungskräfte, die konsequent zu unserem Wohl anpacken wollen, es gibt. Heute mit der pluralistischen Gesellschaftsform und der hervorragenden Gesetzeslage in Deutschland haben wir es leichter, immer mehr Tauben wie ich können sich weiter bilden und Verantwortung übernehmen. Die Bildung ist ein wichtiger Schlüsselfaktor für die Menschen! Wir brauchen die Gesetze noch richtig handhaben zu wissen und können dagegen machen, wenn wir in unserem Leben benachteiligt werden. Ein Benachteiligungsverbot im Grundgesetz und Gleichstellungsgesetzen ist klar für uns vorhanden.

Pnin hat selber wenig Lebenserfahrungen als tauber Mensch im Gegensatz zu Dir, Benige! Pnin muss vielleicht noch zehn Jahre Erfahrungen sammeln, bis er uns verstehen kann. Pnin hat im letzten Posting einen Schritt nach vorne gemacht (auch die Schwerhörigen und die Ertaubten leiden unter den Barrieren - ganz richtig! Der Audismus kann auch zu ihnen passen, nicht nur den Gehörlosen!), aber zwei Schritte nach rückwärts gemacht (99 Prozent der Einschränkungen kommen von Gedankenlosigkeit der Menschen - oh weh, schon eine innere Blockade der eigenen Potentiale!)

@all
Am Anfang der Diskussionen vor einem Monat behaupten ein paar Bedenkträger (jetzt nenne ich sie nicht mehr Zweifler), dass wir zwanzig oder dreissig Jahre Berufserfahrungen sammeln sollten, bevor wir über den Begriff Audismus diskutieren können. Sie haben sich als ernsthafte und gleichberechtigte Gesprächsparnter von vorneherein gesperrt. Heute tun sie schon weniger. Ein Fortschritt ist es schon ;-)

Pyros hat selber viele Steine in den Schubkarren gebracht, deswegen ist der Begriff Audismus unter ihm zusammen gebrochen. Sie haben zu viele Bedenken hinein gestreut. Sie haben selber die "Audismus-Keule" konstruiert. Manchweilen waren es Ablenkungsmanöver oder gut gemeinte Versuche, wie von Late mit Schopenhauer-Zitat (hier fehl am Platze), von Pyros (AGG soll ausreichen, Begriff Audismus brauchen wir nicht - total netter Versuch), von Yakamoz (der DGB soll die Diskussionen führen - nochmals total netter Versuch, eine Blockade zu installieren) usw.

Ich kann in Ruhe sowas behaupten, weil ich lange Zeit immer wieder auf die gemeinsame Verständigung hinein gearbeitet habe. Ich war und bin auch dafür, dass die anderen den Begriff Audismus ablehnen können, aber sie sollen unseren Diskussionsprozess und die Befürwörter nicht diskredieren. Beispielsweise hast du, lieber Yakamoz, zu unserem Diskussionsprozess kaum beigetragen, deine Ängste sind teils irrationaler Natur. Das alles ist dein Problem!

Ich bin der Meinung, die Bedenkträger haben die Gehörlosenkultur als eine Bereicherung an die Welt noch nicht begriffen und auch nicht, was durch die Unterdrückung der Gebärdensprache, insbesondere in der Erziehung und Bildung, uns in unserem Leben schwer gemacht hat.
Vielleicht werden sie an unserem Prozess des Taubseins noch teilhaben, wenn wir einfach unsere Lebenserfahrungen schreiben. Das ist wichtiger, uns auszutauschen, welche audistischen Phänomene (Gegebenheiten) uns schwermachen, als mit ihnen, den Bedenkträgern, die Diskussionen hier zu führen. Geben wir ihnen nicht die Macht, über uns und die Diskurse zu bestimmen! Ich möchte endlich im nächsten Jahr mit euch über unsere Lebenserfahrungen diskutiern.

Liebe Bedenkträger, bitte denk mehr daran, dass ihr die Worte nicht verdrehen solltet und und übet mehr im Denken und Handeln, dass wir grossartige Menschen wie alle anderen Menschen sind! Ihr werdet selber einsehen, was wir für wackere und offene Bürger sind ;-)

Wir haben wirklich viele Lebenserfahrungen, aus euren Postings spricht sehr viel heraus. Es ist wirklich WOW! Es ist wie ein vorweihnachtliches Weihnachtsgeschenk, dass wir ganz prima zusammengehalten haben. Auf ein weiteres neues kämpferisches Jahr! In diesem Sinne ein fröhliches Weihnachtsfest [stolz]



Rote Karte!
Rote Karte!



offline
Lieber Voghel,
deine wuchtige Weihnachtskeule ;-)

"lieber Yakamoz, zu unserem Diskussionsprozess kaum beigetragen,
deine Ängste sind teils irrationaler Natur. Das alles ist dein Problem!"

---ein Hineinlesen, und Änste??? und mein Problem???
---und wenn Zwei gleicher Meinung sind, ist yako überflüssig.
---aus der Dominanz heraus verhältst du dich so.
---Das Problem hast du selbst.

"von Yakamoz (der DGB soll die Diskussionen führen -
nochmals total netter Versuch, eine Blockade zu installieren)"

---Du verdrehst selbst. Du und liest es hinein.
---Du, ohne Mandat, willst also die Führungspersonen bekehren,
---den DGB aud deine persönliche Spur umlenken
---darauf kann der DGB gar nicht eingehen.
---Du selbst hast dein Problem mit dem Verband.

Voghel, du hast sehr tief gegraben um nach "Gold und Rubinen" zu suchen,
ein Aufgeben - alles für die Katz - das allein treibt dich vehement.
30 Jahre bis zu deiner Pensionierung darf es dauern. ;-)
Es ist alles dein persönliches Problem!

Und auch den Gehörlosen werden Audismus vorgeworfen.

Alles ist nicht neu, siehe die zwei Links im Lubko-Posting über Diskriminierung.

Schöne Weihnachtstage yakamoz
-



Mitglied



offline
@Bengie: Bitte, was soll denn der Begriff des "Vorbewussten" in diesem Zusammenhang?? Ich habe irgendwie den Eindruck, dass Du auf meine These gar nicht eingehst. Daher noch einmal: Die Mehrheit der Menschen hat nur extrem selten mit gehörlosen oder ertaubten Menschen zu tun. Sie wissen schlichtweg nicht, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollen (ich habe viel häufiger Hilflosigkeit als Diskriminierung erlebt). Wenn aber jemand nicht weiß was zu tun ist, wird er erst einmal von seinem eigenen Erfahrungsschatz ausgehen. Damit läuft er natürlich Gefahr, dass er falsche Schlüsse zieht. Darauf kann und sollte man ihn hinweisen. Nur ist es doch einfach an der Realität vorbeigehend, wenn man diesen "normalen" Menschen da eine irgendwie geartete Ideologie unterstellt. Egal - beziehe mich da auf Deine letzte Frage - wie Du den Begriff der Ideologie nun genau definierst, Du wirst meines Erachtens nicht darum herum kommen, dass zu einer Ideologie die "bewusste Reflexion" gehört. Vorurteilen kann ich ja noch eine "unbewusste Komponente" zu ordnen, weil Vorurteile oft auf Unwissen aufbauen und auch dazu dienen, das Unbekannte, Neue an Hand von bereits Gewusstem zu ordnen, zu strukturieren. Eine Ideologie hingegen ist ein Denk-System, das auf wenigen Grundannahmen aufbaut und von diesen ausgehend versucht die gesamte Welt zu ordnen und (eventuell) Handlungsanweisungen zu geben. Kurz und knackig könnte man sagen, dass eine Ideologie reflektierte, in eine systematische Form gepackte Vorurteile sind! (Dies wäre dann in der Tat mal eine interessante Frage, wie aus Vorurteilen eine Ideologie wird. Das hätte meines Erachtens sogar eine nicht unerhebliche Relevanz für die Bemühungen um weniger Diskriminierung von Behinderten.)

Ja und sehr schön weihnachtlich ist auch der Satz:
Zitat:
Bisher habe ich immer von der Feststellung der Phänomenen gesprochen, nicht von der Verkündigung der Bezeichnung (wie Hartmut im Thread zu Genozid treffend erklären versucht).
... nur völlig unklar! Versuche das doch mal aufzudröseln. Du hast da ein Phänomen, sagen wir die Tatsache, dass Dein Weihnachtsstollen 1000 g wiegt. Das kannst Du feststellen, z.B. in dem Du ihn wiegst. Wenn Du dies nun verkünden willst, was wirst Du tun, sagen, gebärden? "Der Stollen wiegt 1000 g!" "Er ist leichter als der neue Harry Potter Band" ... was auch immer, das was Du verkündest, sagst, wird immer mit dem zu tun haben, was du festgestellt hast. Alles andere, wenn man etwas verkündet, was mit dem, was man festgestellt hat nichts zu tun hat, nennt man Lüge!

Pnin



Spitzenmitglied



offline
Pnin,

Ich bin wirklich auf deine These eingegangen. Ich schreibe
nochmal und genauer, was ich bei meinem letzten Schrei-
ben an dich meinte.

Wikipedia beschreibt das "Vorbewusste" im Artikel über
das Unbewusste so:
    Das Vorbewusste: Dies sind seelische Inhalte,
    auf die das Bewusstsein nicht sofort zugreifen
    kann, die jedoch durch Suchen nach Zusam-
    menhängen auftauchen oder einem „einfallen“
    (wie der Name eines länger nicht gesehenen
    Bekannten, den man auf der Straße trifft).
Und Wissen.de definiert das Wort Vorbewusste so:
    Zwischen dem Unbewussten und dem Be-
    wussten befindlicher Bereich psychischer
    Abläufe
Jeder Mensch verinnerlicht sich seit Geburt verschie-
dene Denk- und Wertvorstellung, kurz gesagt Ideo-
logie, ohne bewusst mit der Thematik wie Taubheit
auseinandersetzen zu müssen.

Alle reagieren ganz gleich auf eine Auseinanderset-
zung mit einer Thematik wie z.B. Taubheit. Solche
gleiche Reaktion stammt von der Verinnerlichung
der Ideologie. In Bezug zu verschiedenen Thematik
sind alle Menschen sozusagen vorbewusst, ohne
richtig bewusst zu sein.

Zum Beispiel bei einer Auseinandersetzung mit der
Homosexualität reagieren alle Menschen gleich auf-
grund der Verinnerlichung der heterosexistischen
Ideologie, die meisten durch religiösen Wervorstel-
lung aufgebaut wurde.

Ich weiß nicht, wie und wodurch genau die audis-
tische Ideologie aufgebaut wurde. Damit möchte ich
ja auseinandersetzen! =)

Wie du Recht hast, wissen meisten Menschen nicht mit
den tauben Menschen umzugehen. Die Auseinanderset-
zung mit der Taubheit ist in unserer Gesellschaft ganz
gering.

Jedoch denken ALLE Menschen audistisch, wenn sie sich
mit uns treffen, unterhalten oder wenn sie plötzlich taube
Baby bekommen. Bei einer organistierten Begegnung mit
tauben Schüler, wie ich es erlebt habe, stellen sie audis-
tische Fragen. Sie fragen sich, ob wir Autos fahren können
und wie wir über die Straßen ohne Gehör überqueren kön-
nen. Die audistische Ideologie ist eine Antwort an die Fra-
ge, woher Menschen sich solche "blöde" Fragen ausgedacht
haben.

Alle Menschen verhalten sich gleich bei einer Begegnung mit
Taube und haben deswegen die audistische Ideologie verin-
nerlicht. Hinter der Gedankenlosigkeit stecken nun mal au-
distische Wertvorstellungen. Wie kannst du sonst erklären,
warum alle Menschen solche Fragen über Taubheit stellen?

Wenn du eine große Umfrage mit allen Menschen machst,
wirst du feststellen müssen, dass alle gleich über die
Taubheit denken. Woher wohl?

Es hat dann nicht mehr mit der Ideologie zu tun, wenn Men-
schen ganz unterschiedlich auf die Taubheit reagieren!

Wie kannst du behaupten, dass zu einer Ideologie die "be-
wusste Reflexion" gehört, ohne es zu belegen? Ich lasse
mich wirklich sehr gern belehren, auch wenn ich in ver-
schiedenen Definitionen des Wortes Ideologie nichts
über die "bewusste Reflexion" finde.

...

Voghel,

Ich kann meine Schätzung auch umformulieren:

Etwa 0,5% oder weniger aller Menschen sind "bewusste
Audisten" und der Rest mit der "audistischen" Gedanken-
losigkeit. Die meisten Menschen handeln nicht audistisch,
sondern denken audistisch, bevor sie handeln!

Bist du einer anderen Meinung?



Rote Karte!
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birgit,
---genau!
"Wenn ich einen gehörlosen Arbeitskollegen bekomme und mit ihm in der Pause über den Boss lästern will,
dann wird das nicht funktionieren,
egal ob ich jetzt audistisch bin oder nicht. Es sei denn, der Gehörlose kann gut sprechen und lippenlesen,
aber das wäre ja auch wieder das Ergebnis von audistischer Ideologie, oder nicht?
Also auch ohne Audismus bleibt das Kommunikationsproblem erhalten."
---immer!

Alltäglich im Beruf:
Die Kollegen besprechen oder lästern, ich (gl) komme dazu, mein Kollege mit dem besten Mundbild ist dabei,
er sagt zu mir, "später am Platz sag ichs dir". Das war immer gut so, weil so mehr mitbekommen habe.
Ein nächster hd Kollege kommt dazu, er bekommt nicht den Anfang mitgeteilt.

Die Kommunikation mit "der Gehörlose kann gut sprechen und lippenlesen" ist auch mühsam, aber es geht ein wenig besser.

-edit-dazuschreib-
Immer passierts: zum Kollegen, äh, schreibs mal auf (paar Buchstab.., selten ganzes Wort, ach so Ok) /
wenn nichts zur Hand -mit Finger Grossbuchstaben auf Fläche/ im Raum schreiben-
ein paar Buchst...(reichen aus), jaa "das Wort" aussprechen. OK. Echt mühsam bei sowas.

-



Rote Karte!
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Thema,
ich erzähle,
beim TV-Guck ... dabei ist mein hd gut mundbild-Bekannter.

Die Sendung, die ich sehen will,
ein zwei Personen-Dialekt-Schwank mit Dialog-Sketche,
sehr schnell wechselnd ...
keine Untertitel,
wenn doch mit UT, dann müssten sie mehrzeilig und schnell wie gesprochen laufen.

Mit Dolmis geht das auch gar nicht.

Der Bekannter sagt mir dies und das, gut dolmischt,
mal ein Wort - was Wort?, er wiederholt, luftschreibt ...
bereits ist der Rückstand gross geworden ... ;-)

Zum Taubi kommt gar nichts rüber.
Ihm und den freundlichen Text-Helfern und
den TV-Machern kann kein Audismus-Verhalten unterstellt werden.
Eine Diskriminierung liegt auch nicht vor.

Diese Sendung kann für Höris und Taubis nicht gleichwertig gemacht werden.
Für die Taubis müsste diese Sendung eigens umgebaut (mit DGS) werden.

-



Mitglied



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Hej,

sehr schönes Posting von voghel[applaus].ich stimme unbedingt zu. Über den Austausch von Erfahrungen kommen wir sicher weiter.

Yakamoz hat damit auch schon angefangen, siehe sein Posting oben, ein interessantes Beispiel. Sind die Macher eines Fernsehstückes/Theaterstückes audistisch?

Ich denke nein, da Definition von Hartmut:
Zitat:
Wichtig ist hier zu vermerken, dass das Gedankengut erst audistisch wird, wenn es an taube Personen gerichtet oder geaeussert wird.


Das Fernsehstück hat ja nichts mit GL zu tun.

Ist der Hd Bekannte, der versucht für yakamoz zu "übersetzen" audistisch? Ich finde das Handeln an sich nicht audistisch, er versucht etwas zu tun, damit yakamoz teilhaben kann, mit fraglichem Erfolg.
Möglich daß der Hd dabei audistisch denkt ("der arme Taube versteht nichts, versuch ich mal zu helfen.., puuh, anstrengend, bin bloß froh, daß ich hören kann...")

Naja, die Gedanken sind frei...Was die Menschen so alles denken, es ist gut daß wir nicht Gedanken lesen können. [wink]

Audistisch finde ich: daß es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. Im Fernsehen wird nie Theaterstücke/Schwank o.ä in Gebärdensprache gezeigt. So daß folgende Situation entsteht: der Hd Bekannte versteht nicht, yakamoz versucht mit Händen und Füßen zu "übersetzen".("puuh..anstrengend, armer Hörender, gut daß ich Deafie bin..)

Solange diese Situation noch Utopie ist, ist die Gesamtgesellschaft als audistisch anzusehen, sag ich mal einfach so.



Rote Karte!
Rote Karte!



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berenice,
die Wirklichkeit ist wie sie ist.
Daran gib's nichts zu deuteln.

Der Austausch von Beispielen wie bei der TV-Sendung etc.
wird in eine endlose Diskussion hinauslaufen.
Zu jedem Satz ein Antisatz und so fort.

Ein fröhliches Posting-Sparring, schon 10 Seiten.

Das Ja und / oder Nein und die Abstufungen
und die gefühlte / eingebildete Betroffenheit
im Zusammenhang mit dem so genannten Audismus
wird zum Spielball von Wunschgedanken.

-



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yakamoz,

die Wirklichkeit bleibt nicht immer gleich sondern verändert sich laufend, mal langsamer, mal schneller.

Die Wirklichkeit, also das reale Leben, wird von uns Menschen gestaltet. Sie ist nicht etwas, was eben so ist und wir so hinnehmen müssen. Wir alle können uns einbringen mit unseren Ideen.



Rote Karte!
Rote Karte!



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berenice,
ja, ja, Recht hast du!
Man bringt sich immer ein, ja, nur nicht praktisch, nicht optimal, nicht effektiv,
nicht effizient und nicht klug.

Die Audismus-Verfolger mit dem Coach aus Galli bringen
sich radikal mit heftigen Keulenschlägen ein.
Die angegriffenen so genannten Audisten wehren alle Keulenhiebe
ganz locker ab und
das macht die Audismus-Verfolger noch wütender.

Das macht den schönen Reiz dieses Thema aus.

Mach doch einfach so die Definition und basta:
die Audisten = die Hörenden
die Taubisten = die Tauben

Die Zustimmung dazu muss eingeholt werden, wenn die Idee den
Kreisverkehr verlassen soll.

-



Spitzenmitglied
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@yakamoz,
du als angehender Journalist recherchierst sehr schlecht. [ops]
dieser Coach kommt nicht aus Galli sondern Boston. Noch besser aus Deutschland. NOCH BESSER aus unserem gl-cafe hier. Er war schon immer hier. Hier ist sozusagen eine Taubenpraxis und du bist unheimlich gerne hier. ;)
Außerdem ist er unser taubweit äh weltweit bekanntes Urgestein. Nie gehört? Äh .. nie gesehen? Dann schreib das hundertmal als Hausaufgabe in deiner Werkstatt zuhause.

„Die Taubisten = die Tauben“ ??? [ops]
Die Tauben, die fliegen .. ähm .. hören lernen wollen, sind keine eingefleischten Taubisten.
Du definierst sehr schlecht in deinem audistischen Kreisverkehr. Flieg doch schnell zum Taubenhospital.


„Das Universum denkt mit der Hand.“ (Fise)



Spitzenmitglied



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@IK (17.12.2007):
deine Frage
Zitat:
Du sagtest, der Satz "Ich liebe Musik über alles" wäre audistisch. Das
verstehe ich nicht ganz. Das beschreibt lediglich eine Vorliebe, ohne
Bewertung des Hörens oder? Ich finde, das hat nichts audistisches.
Gegenfrage: "Ich liebe Gebärdensprache über alles" - wäre das etwas
deafistisches?

Du und ich haben verschiedene Vorstellungen vom Adjektiv audistisch. Für dich bedeutet es „Audismus ausgeübt/Audismus vorhanden“. Bei mir heisst es „potentiell (= führt möglicherweise zum) Audismus". Oder anders ausgedrückt: zuerst Audismus, dann audistisch (bei dir), oder zuerst audistisch, dann Audismus wenn zusätzlich andere Dinge vorliegen (bei mir). Mit deinem Verständnis des Wortes ist ein audistischer Vorgang stets diskriminierend, mit meinem „noch nicht diskriminierend“. Daher habe ich die Definition von Audismus reformuliert mit dem Feedback von Lukbo bei der KUGG-Tagung (Siehe erste Seite dieses Threads). Ob diese Haltung defensiv ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Es kann eine milde defensive Form sein. Ich würde das eher wachsam nennen.

Mancher Vorgang kann zum Audismus führen, mancher nicht, aber hat die Möglichkeit zum Audismus. Das gleiche wird auch beim Rassismus und anderen diskriminierenden Ismen angesehen. Nicht alles was rassistisch, sexistisch usw. ist, ist Rassismus, Sexismus etc. Beispiel, man erzählt polnische, ostfriesische oder italienische Witze. Die Witze werden gewöhnlich als rassistisch angesehen. Aber es gibt praktisch kein Rassismus gegen die Polen, Ostfriesen und Italiener.

Letztendlich denken wir dasselbe, der Satz "Ich liebe Musik über alles" allein wäre nicht schlimm und verdient nicht abgemahnt zu werden. Lies bitte den ganzen Absatz als Ganzes und bleib bitte nicht bei einem Satz hängen.


Hartmut



Zuletzt geändert von Hartmut am 03.01.2008, 01:04:19, insgesamt 2-mal geändert.

Spitzenmitglied



offline
Es besteht ein Unterschied zwischen einfacher Vorliebe zu einem Ding und ob dann damit diskriminierend gegen eine Menschengruppe instrumentalisiert wird.

Der Spruch „I love DGS“ kann als Parallele zu "Ich liebe Musik über alles" betrachtet werden. Kein Ismus steckt dahinter, aber eher Chauvinismus (= starke Vorliebe, Stolz) für die DGS. Meines Erachtens gibt es kein Deafismus/Taubismus. Um von einem diskriminierenden Ismus zu reden, muss ein System von diskriminierenden Verhalten, Äusserungen und Taten in einigen (nicht nur in einem oder zwei!) Bereichen vorliegen. (Ich überlege, ob ich in meiner Audismus-Definition „in mehr als mindestens drei Bereichen“ einbauen sollte.)

Kein “Taubismus”, da Hörende und Schwerhörige nicht wegen dem Hörenkönnen und Hörendsein diskriminiert werden.


Hartmut



Spitzenmitglied



offline
Taubheit als Ursache von Audismus?
Betrachte das Schema (Pfeil = „verursacht“):

Ursache => Wirkung
Weiter: Gleiche Ursache => gleiche Wirkung (d.h. jederzeit und überall)

Mit Verneinung auf beiden Seiten:
Keine Ursache => keine (erwartete) Wirkung, oder
Entfernt man die Ursache, geht die Wirkung weg.

Betrachte dann den Folgesatz: Taubheit => Audismus

Dies würde heissen, dass Audismus jederzeit und überall gleich ist, wo Taubheit existiert. In Wirklichkeit geschieht das nicht. Verschiedene Kulturen reagieren auf Taubheit verschieden und verhalten nicht oder unterschiedlich audistisch gegenüber taube Personen. Audismus in einer Gesellschaft kann reduziert (= abgebaut) werden. Also erweist dieser Folgesatz als nicht erwiesen.

Taubheit bringt zwar Kommunikationsprobleme nur mit Hörenden und nur wenn Kommunikation allein übers Hören geht. Taubheit ist nur eine der Unfähigkeiten, welche Menschen haben können, und eine bestimmte Gesellschaft entwickelt daraus eine Kette von Einstellungen und Verhalten und praktiziert sie an taube Menschen. Sie ist unterschiedlich in verschiedenen Gesellschaften. Das ist kulturell bedingt. Wäre sie biologsich oder anatomisch determiniert (= vorher von der Natur festgesetzt), dann müssten die Wirkungen überall und jederzeit gleich sein.

Kommunikationsprobleme zwischen tauben und hörenden Menschen ähneln sich eher denen zwischen Fremdsprachen, genauso wie zwischen den Trappern und Indianern. Aber die Indianer haben schon eine Lösung parat, die sie effektiv zwischen verschiedensprachigen Stämmen einsetzen können: Gebärdensprache! Warum bestehen die meisten Trapper nur zu sprechen und nicht diese Gebärdensprache zu lernen?! Die Lösung für die Kommunikationsprobleme zwischen tauben und hörenden Kommunikationspartnern wäre die Mitverwendung der GS (nebst Erlernung einer Lautsprache, wie Deutsch, seitens der Tauben).

Wenn etwas die Ursache für ein schlechtes Ding wäre, geht man nach der Ursache und versucht sie zu tilgen mit dem Ziel, dass das schlechte Ding nicht mehr eintritt. Wäre Taubheit die Ursache, dann geht man nach der Tilgung von Taubheit! Das ist das Streben einer audistischen Gesellschaft. Eine nicht-audistische Gesellschaft strebt nicht nach der Tilgung von Taubheit. Wird Audismus nach der Tilgung von Taubheit verschwinden? Fraglich! Erstens weil die Taubheit nicht vollkommen getilgt würde. Zweitens, die audistische Einstellung schwelt weiter in der Kultur und erscheint wieder, wenn die Taubheit wieder auftaucht.

Audismus entsteht nur in der Interaktion zwischen tauben und hörenden Menschen. Härte des Audismus hängt ab vom Grad der Akzeptanz von Taubheit bei hörenden und auch von tauben Menschen durch Beeinflussung von Hörenden: Je grösser die Akzeptanz, desto weniger Audismus.

Die eben ausgeführte Diskussion zeigt, dass Taubheit nicht Audismus verursacht. Es besteht nur Zusammenhang zwischen ihnen. Das ist in der Definition von Audismus bereits beinhaltet.


Hartmut



Zuletzt geändert von Hartmut am 03.01.2008, 03:31:28, insgesamt 2-mal geändert.

Spitzenmitglied



offline
Hartmut hat geschrieben:

Der Spruch "I love DGS" kann als Parallele zu "Ich liebe Musik über alles" betrachtet werden.
Kein Ismus steckt dahinter, aber eher Chauvinismus.


Es ist schier unglaublich, was von dir so alles zusammengereimt wird!

Die Behauptung "ich liebe DGS" bzw. "ich liebe Musik über alles", soll
chauvinistisch sein??

Mann-o-Mann.... [roll]


Pyros



Spitzenmitglied



offline
@Pyros,
in meiner Definition von Chauvinismus ist jede starke Vorliebe fuer eine Nation, Kultur oder Sprache chauvinistisch. Chauvinismus ist kein diskriminierender Ismus, also an sich nichts Verwerfliches.

Du sollst eher den ganzen Absatz lesen, um den Hauptpunkt zu erhalten.

Ralf Raule laesst dich gruessen!


Hartmut



Spitzenmitglied



offline
Majestät Audislaucht,

die erhabenen Geistesblitze Eurer Hochwohlgeborenheit
sind für mich ein unversiegbarer Quell von emotionalen Reaktionen,
die [totlach] oder [bawling] auslösen.

Hernach bin ich immer gereinigt und geläutert und erkenne mit
großer Klarheit die unbegrenzten Möglichkeiten des Taubseins-Daseins.



Ich erlaube mir untertänigst, Seine Hoheit zu zitieren:
Zitat:


Ich überlege, ob ich in meiner Audismus-Definition "in mehr als mindestens drei Bereichen" einbauen sollte.


Ich möchte vorschlagen, Hoheit möge sich mit diesen drei Bereichen beschäftigen:

Hartmutismus-Musikus-Chauvinismus.

Ich sehe keinen diskriminierenden Ismus dahinter.


Pyros



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@Bengie: Sorry für die etwas späte Antwort ... die Feiertage :D

Zunächst einmal hat Birgit mit Ihrer kritischen Anmerkung recht, dass es wenig hilfreich ist, immer neue Begriffe aus immer weiter entfernten Fachgebieten in die Diskussion zu werfen. Im Grunde ist das, was Du als "Vorbewusstsein" beschreibst nichts anderes als Vorurteile. Vorurteile sind aber nicht mit Ideologie gleichzusetzen.
Du behauptest dann:
Zitat:
Alle reagieren ganz gleich auf eine Auseinandersetzung mit einer Thematik wie z.B. Taubheit. Solche gleiche Reaktion stammt von der Verinnerlichung der Ideologie
Dazu möchte ich anmerken, dass ich bereits den ersten Teil bezweifeln möchte. Ich habe - im Bezug auf meine Taubheit - sehr unterschiedliche Reaktionen erlebt - von Hilflosigkeit über Desinteresse bis zu regen Interesse und Anteilnahme und einer herzerfrischenden Form von Pragmatismus. Aber nehmen wir für einen Moment an, Deine Behauptung sei richtig, so habe ich doch ganz erhebliche Zweifel, dass Deine Schlussfolgerung richtig ist, nämlich dass dies auf Grund einer irgendwie (unbewusst oder vorbewusst) verinnerlichten Ideologie geschehen sei. Wann und wo soll diese Ideologie verinnerlicht werden? Glaubst Du wirklich, dass den Kindern am Mittagstisch eingeimpft wird, dass wer nicht hören könne auch geistig unterbelichtet sei? Oder werden in der Werbung und den Tagesthemen geheime Botschaften ausgesendet, die dies suggerieren?

Du behauptest:
Zitat:
Alle Menschen verhalten sich gleich bei einer Begegnung mit Taube und haben deswegen die audistische Ideologie verinnerlicht.
- Starker Tobak! Wie schon geschrieben, finde ich es weder beweisbar noch richtig noch mit meiner Erfahrung übereinstimmend, alle Menschen verhielten sich gleich bei einer Begegnung mit Tauben. Ihnen dann auch noch gleich Audismus und damit letztlich eine verkappte Form von Rassismus und so weiter und so fort zu unterstellen - ist gelinde gesagt dreist bzw. unverschämt. Auch widersprichst Du damit Deiner folgenden Aussage:
Zitat:
Wie du Recht hast, wissen meisten Menschen nicht mit den tauben Menschen umzugehen. Die Auseinandersetzung mit der Taubheit ist in unserer Gesellschaft ganz gering.
Denn man kann nur etwas verinnerlichen, was man weiß. Bedeutet nicht der Prozess des Verinnerlichens, dass man sich das, was man verinnerlicht mal bewusst gemacht hat?

Außerdem ist es ja nicht verwunderlich, dass die Menschen sich nur wenig mit Taubheit auseinandersetzen. Man sieht dies Behinderung nicht und sie ist so häufig nicht. Es ist wie gesagt wesentlich wahrscheinlicher einen Türken als Nachbar zu haben als einen Gehörlosen.

Schließlich
Bengie hat geschrieben:
Wie kannst du behaupten, dass zu einer Ideologie die "bewusste Reflexion" gehört, ohne es zu belegen?
Nun, das ist nicht korrekt. Der Begriff der Ideologie wird durchaus kontrovers diskutiert und es gibt sicherlich viele unterschiedliche (bzw. unterschiedlich gewichtete) Definitionen. Gemeinsam ist ihnen aber, folgendes
Zitat:
Eine Ideologie hingegen ist ein Denk-System, das auf wenigen Grundannahmen aufbaut und von diesen ausgehend versucht die gesamte Welt zu ordnen und (eventuell) Handlungsanweisungen zu geben. Kurz und knackig könnte man sagen, dass eine Ideologie reflektierte, in eine systematische Form gepackte Vorurteile sind!
- so schrieb ich weiter oben. Allein der Begriff des Denk-Systems, der im Zusammenhang mit der Ideologie immer wieder genannt wird, spricht schon dafür, dass Ideologie mit bewusster Reflexion verknüpft ist, weil man meines Erachtens nicht "unbewusst systematisch denken" kann. Ein anderer Aspekt: Schau Dir doch mal die großen Ideologien an - im letzten Jahrhundert gab es ja genug davon - und erkläre mir dann, was an denen "unbewusst" oder "vorbewusst" sein soll.

Interessant wäre auch mal zu erfahren, was denn bitte die Grundannahmen einer audistischen Ideologie sein sollen. Bislang wird der Begriff nämlich mehr oder weniger über die Handlung definiert - und ist damit meines Erachtens fast schon selbsterfüllend.

Hartmut hat wieder ein herausragendes Beispiel für seine Wörterverdrehungsfähigkeiten abgeliefert, als er schrieb:
Zitat:
Du und ich haben verschiedene Vorstellungen vom Adjektiv audistisch. Für dich bedeutet es "Audismus ausgeübt/Audismus vorhanden". Bei mir heisst es "potentiell (= führt möglicherweise zum) Audismus".
Also ein Deutscher (Substantiv) der deutsch (Adjektiv) ist, ist nicht mehr deutsch sondern nur noch potentiell deutsch. Ebenso ist das Schöne (Substantiv) nicht mehr schön (Adjektiv) sondern nur noch potentiell schön - schöne neue Welt.

Pnin



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"Aus Vorurteilen werden Geschichtslügen gemacht und Ideologien gezimmert,
weshalb man Ideologie auch als Herrschaft des Vorurteils bezeichnet hat."
Quelle: http://www.ustinov.at/vorurteile.htm


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



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Eigentlich habe ich gerade besseres zu tun. Doch ganz kurz:

Wie die Menschen die audistische Ideologie nach Dirksen Bauman's
These verinnerlicht haben, muss ich mit einem Begriff, der hier bis-
her noch nie vorkam, erklären.

Wie du und Birgit gesagt habt, "dass es wenig hilfreich ist, immer
neue Begriffe aus immer weiter entfernten Fachgebieten in die Dis-
kussion zu werfen.
", verzichte ich eben auf die Erklärung!

Frohes Neues Jahr! =)



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@Bengie: Schade! Aber das ist meines Erachtens ein weiteres Zeichen dieser Debatte: Wissen die Verfechter des Anti-Audismus nicht mehr weiter beziehen sie sich auf eine Art Geheimwissen, das dem Außenstehenden - dummen - Hörenden nicht mehr zugänglich sein soll. Schade nur, dass ich mal von einem gewissen H-Dirksen L. Baumann gelesen habe ("Audism: Exploring the Metaphysics of Opression"). Habe das nicht mehr komplett präsent, aber meines Erachtens war da schon ein paar ganz erhebliche Verkürzungen und Vereinfachungen drin. Was der nun mit der von Dir vorgetragenen These zu tun haben soll sehe ich allerdings nicht. Insgesamt halte ich dem Versuch, wie sie wohl. auch von Baumann vertreten werden, das Phänomen Behinderung auf ein bloß soziales, konstruiertes Problem zu reduzieren, für falsch. Der Spruch "Behindert ist man nicht, behindert wird man" mag ja geeignet sein, den Menschen Spendengelder aus der Tasche zu ziehen. Er geht aber an der Realität vorbei. Denn am Ende - bleibt eben doch immer der Körper mit all seinen Einschränkungen.

Pnin



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hallo pnin,

Zitat:
Eine Ideologie hingegen ist ein Denk-System, das auf wenigen Grundannahmen aufbaut und von diesen ausgehend versucht die gesamte Welt zu ordnen und (eventuell) Handlungsanweisungen zu
geben. Kurz und knackig könnte man sagen, dass eine Ideologie reflektierte, in eine systematische Form gepackte Vorurteile sind!


Ja, diese Ideologie haben die Hd in Bezug auf Gl. Hd denken, es gibt nur eine mögliche Kommunikation, nämlich die lautsprachliche, da sie ja ständig redend und zuhörend mit anderen kommunizieren. daß es andere Möglichkeiten der Kommunikation gibt, können sie sich nicht vorstellen.

Desweitern denken Hd, wer schlecht spricht oder stottert ist geistig minderbemittelt. Das denken sie aber nicht, wenn jemand gar nicht spricht und ihnen etwas schriftlich mitteilt.

Daraus läßt sich unschwer das Denk-System der Hd ableiten: Laut-(oder Schriftsprache) ist die Sprache des Geistes.
Daraus resultiert das Vorurteil, wer diese Sprache nicht beherrscht, ist geistig nicht auf meinem Level.
Daraus leiten sie auch ihre Handlungsweisen ab: langsam und deutlich sprechen, oder abhauen [wink]

Ganz unreflektiert kann das ja nicht sein, da viele Personen , Gl- Pädagogen, HNO-Ärzte, Ertaubte.. dieser Ideologie anhängen, obwohl sie sicher viel darüber nachgedacht haben.

Zum Audismus: ich lese gerade "Maske der Barmherzigkeit". Dort wird das Wort häufig verwendet. Eine Erklärung für das Wort ist bis jetzt nicht vorgekommen. Aber aus dem Kontext, in welchem der Autor das Wort verwendet, versteht man sehr gut die Bedeutung.

Beispiele:

"...-die Gehörlosen zur Gesellschaft zurückzubringen, ist auch das, was Audisten für sich in Anspruch nehmen..."

"..Offenkundige Bestimmung der Hörenden ist es, so möchten uns die Audisten glauben machen, den Gehörlosen zu Hilfe zu kommen-das ist unser "Auftrag in der Wildnis"..."

b.



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@Berenice: Es mag Hörende geben, die so denken! Es ist aber - meines Erachtens und meiner Erfahrung nach - nicht die Mehrheit. In der Diskussion mit Bengie hatte sich ja schon heraus gestellt, dass die meisten hörenden Menschen schlichtweg nicht wissen, wie sie mit Menschen, die nichts hören, umgehen sollen. Viele kommen noch auf den Gedanken, dass wer nichts hört, auch nicht oder nicht gut sprechen kann (im Sinne von Lautsprache). Damit haben sie ja auch nicht unrecht. Alles weitere ... bedarf schon der bewußten Reflexion und kann nicht Teil einer "unbewusst angenommenen Ideologie" sein. Insofern ist Dein Beitrag eine Widerlegung von Bengies Behauptung.

Pnin



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@bengie,

es wäre sehr nett, wenn Mr. Baumann die erwähnten Thesen ins Web stellen würde.
Frag ihn doch mal danach.

Dann könnte man darüber diskutieren statt nur zu spekulieren.


Pyros



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Vieleicht kann ich ein wenig vermitteln zwischen den unterschiedlichen
Standpunkten in dieser Diskussion.
Ich hab schon vorgeschlagen, das wir uns erstmal darauf einigen,
das Wort Audismus für Diskriminierung von
Hörbehinderten durch Hörende zu verwenden.
(Mir wäre ein anderes Wort lieber, weil Audismus und Autismus
sowohl schriftlich als auch lautsprachlich zu ähnlich sind und
darum sehr wahrscheinlich viel Missverständnisse entstehen)

Eine "audistische Ideologie" haben viele hörenden PädagogeInnen
an lautsprachlich orintierten Schulen für hörbehinderte Kinder.
Die strikte Ablehnung von Gebärdensprache an solchen Schulen
und den absurden Schulnamen "Förderschwerpunkt Hören" kann man
als Ideologie bezeichnen.
Diese traumatische Erfahrung haben viele Gl gemacht
Auch manchen Hörende, die fordern "Taube müssen gut Lippenlesen"
und sich weigern mit Kugelschreiber und Notizblock zu
kommunizieren, kann man eine audistische Ideologie vorwerfen.
Diese kränkende Erfahrung haben auch Späties schon erlebt.

Wir können aber nicht der gesamten hörenden Geselschaft eine
audistische Ideologie vorwerfen. Sonst könnten Gehbehinderte uns
"Lauf-ismus-Ideologie" vorwerfen. Und wenn dann jede Gruppe mit
irgendeinem Handicap der Gesellschaft einen ..ismus vorwirft,
entsteht Chaos.

Hören ist weltweit die Basis für direkte Kommunikation.
Für normale Hörende ist hören so selbstverständlich wie atmen.
Ca 70% aller Hörenden hat nie im Leben persönliche Begegnung
mit einem tauben Menschen.
Klar, fast alle haben schon mal irgendwas über Gl gelesen oder gehört
oder irgendeinen Spielfilm über Gl gesehen.
Daraus hat jeder Hörende irgendwelche Vorurteile über taube Menschen.
Aber nur ganz miese Typen Hörender handeln bewusst audistisch
gegenüber tauben Menschen.

Nochmal, die Tatsache, das hören bei den Hörenden die Basis für
fast alle gesellschaftlichen Veranstaltungen sind und Telefon
enorm wichtig für Hörende ist, bedeutet nicht, das die hörende
Gesellschaft im Sinne einer Ideologie audistisch ist.



Zuletzt geändert von CharlyBrown am 05.01.2008, 00:00:11, insgesamt 1-mal geändert.

Spitzenmitglied



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Pyros,

es wird ja ein halbstündiger Filmbeitrag bei der Webseite von Frontrunn3rs
geben, wo Dirksen Bauman die Fragen zum Thema Audismus in ASL und
International Sign beantwortet. Und später die Umsetzung auf Englisch als
PDF.

Pnin,

was möchtest du eben mit deiner Hinweise erreichen, dass ich mit den
"neuen Begriffen" lassen soll? Ich lege solche "Geheimwissen", die aber
öfter neue Begriffe enthalten, sehr gern offen. Was nützt es aber, wenn
die Offenlegung der "Geheimwissen" von dir, Birgit und anderen User
nicht gern gesehen wurde? Ich weiß schon, wie ich dich antworte oder
kontere. Dein Versuch, mich vorzumachen, wie ich schreiben soll, hat
mich nicht weiter motiviert, mit dir weiter zu diskutieren.

Das kann sich aber noch ändern! =)

Übrigens sind die meisten Begriffen, die du in deinem Schreiben verwen-
det hast, den meisten Leser, die der deutschen Sprache nicht ganz mäch-
tig sind, hier relativ neu und unbekannt. Und der Begriff "Vorbewusste"
z.B. wird bald 100 Jahre alt und ist mir als Abiturient mit Erziehungs-
wissenschaft als Leistungskurs auch nicht neu.



Man of Wisdom
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@CharlyBrown: Hugh! Gut gesprochen!

Lediglich deine Definition würde ich erweitern:

Audismus ist Diskriminierung von Hörbehinderten (egal von wem, denn
auch Gehörlose können sich audistisch verhalten) aufgrund einer Höher-
wertung des Hörens bzw. Sprechens.

Darüber hinaus stimme ich Pnin zu, dass man den Nomen "Audismus"
und das Adjektiv "audistisch" besser nicht mit zwei unterschiedlichen
Definitionen belegen sollte, da diese denselben Wortstamm ("audis")
entstammen. Das würde nur zu Missverständnissen führen. Meiner
Meinung nach sollte also für ein Denken, das das Potenzial zu einer
audistischen Denkweise besitzt, ein gänzlich anderer Begriff verwen-
det werden und nicht - wie Hartmut vorschlug - "audistisch".



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@Bengie: Schade, dass Du beginnst immer persönlicher und unsachlicher in Deinen Beiträgen zu werden. Ich sehe schon einen Unterschied in dem von Dir aufgebrachten Begriff des Vorbewussten und den Thesen von Prof Bauman!

Der Begriff des "Vorbewussten" bringt meines Erachtens - ich habe versucht das zu erläutern, vielleicht ist mir das nicht gelungen, dann möge man bitte nachfragen, gerne per PN - nichts Neues im Vergleich zum Begriff des "Vorurteils" in die Diskussion ein!

Die Thesen von Prof Bauman! hingegen - ich wies ja darauf hin, dass ich von dem schon mal was gelesen habe - scheinen ja nun direkt etwas mit dem Thema "Audismus" zu tun zu haben. Ich empfinde es dann aber als unpassend, Begriffe oder Autoren in den Raum zu werfen und dann anderen daran die Schuld in die Schuhe zu schieben, dass man sie nicht erläutert.

@Immortal King: Du spricht von der "Höhewertung des Hörens bzw. Sprechens". Diesen Punkt habe ich noch nie verstanden bzw, konnte bzw. hat auch noch nie jemand erklärt! Mal abgesehen davon, dass die meisten Hörenden sich schlichtweg keine Gedanken über das Hören machen, fehlt mir bei dieser These immer eine Begründung oder auch nur Diskussion. Welche Bedeutung oder Nicht-Bedeutung hat denn das Hören für den Menschen, die Menschheit? Ist das so überflüssig wie ein Pickel auf der Nase? Warum kann der Mensch überhaupt hören? An diesem Punkt wünschte ich mir mal die berühmte Butter bei die Fische! Was ist der Wert des Hörens - korrekt berechnet von solchen, die es offensichtlich richtig bewerten (denn alle anderen bewerten es ja offenbar über - also falsch)?

Pnin



Man of Wisdom
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@Pnin: Soweit ich es verstanden habe, dient die Audismustheorie
als eine Art Erklärungsmodell, das darlegen soll, wie es zu den ver-
schiedenen Diskriminierungsformen von Hörgeschädigten gekommen
ist und kommen wird. Gäbe es keine audistischen Denkweisen, gäbe
es - so die theoretische Schlußfolgerung - weitaus weniger Benach-
teiligungen von Hörgeschädigten.

Dahinter steckt folgender Gedanke: Weil das Gros der Menschheit das
Hören für wichtiger erachtet als das Nichthören bzw. das Lautsprechen
für wichtiger als das Nichtlautsprechen, werden Menschen, die nicht hö-
ren und / oder nicht lautsprechen können, als weniger wert, als weniger
fähig angesehen. Ihnen wird als Konsequenz weniger zugetraut oder die
Hörgeschädigten werden bei wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder poli-
tischen Entscheidungen wenig oder gar nicht berücksichtigt, was zu Barri-
eren führt.

Ergänzung von mir: Die Audismustheorie setzt sich nicht mit anderen
Ursachen der Barrieren auseinander, wie zum Beispiel, dass die Gesell-
schaft diese Klientel (die Hörgeschädigten) einfach vergessen bzw. nicht
an sie gedacht hat oder dass es für ein Unternehmen wirtschaftlich nicht
lohnenswert wäre, hörgeschädigtenfreundliche Produkte anzubieten, weil
die Zielgruppe eh zu klein ist. Solche imho diskussionswürdigen Ursachen
blendet die Audismustheorie aus.

Die Audismustheorie setzt für den so genannten Wertrelativismus ein:
Für den Hörstatus wie für die Andersprachigkeit soll keine Bewertung
abgegeben werden, auch nicht in Gedanken. Das Hören soll nicht höher
bewertet werden, aber auch nicht niedriger. Mal zum besseren Verständ-
nis: Schwarze sollen nicht als niedrigwertiger angesehen werden, die Be-
wertung fällt einfach weg oder alle Rassen werden zumindest auf eine
und dasselbe Ebene gestellt. Vor Gott sind einfach alle gleich *g*


Soviel zur Theorie. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege. Aber die ist
meines Erachtens noch zu unausgereift. Aber darum kümmern wir uns ja ;)



Man of Wisdom
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@Hartmut:

Dein Pfeilmodell zum Verursachungsprinzip ist leider unvollständig, denn:

Ohne Taubheit kein Audismus. Ich sagte bereits, dass Taubheit den Audis-
mus MITverursacht. Das bedeutet, es sind weitere Ursachen oder Faktoren
vonnöten, damit Audismus entsteht, zum Beispiel eine gewisse soziale Ein-
stellung oder eine bestimmte gesellschaftliche Ideologie.



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Vieles ist hier schon (z.T. mehrfach) geschrieben worden, gute Gedanken sind geäußert, einiges ist zerredet worden und ich wollte eigentlich keinen Beitrag schreiben – auch weil es meiner Meinung nach so viele wichtigere Dinge zu tun gibt.
IK hat oben erwähnt: Der Begriff ist noch unausgereift.
Nun gebe ich doch noch etwas eigenen Mist dazu, vielleicht beeinflusst es ja den Gärungsprozess :-) oder auch nicht….

Ich habe immer noch Schwierigkeiten, den Begriff „Audismus“ zu verstehen. Habe mich darüber auch schon privat ausgetauscht und mich bemüht. Ich befürchte, dass dieser Begriff Unverständnis und Abwehr hervorrufen wird – sobald er in die Öffentlichkeit gelangt – (und das ist er ja durch die Diskussionen hier schon), ebenso bei Schwerhörigen und CI-Trägern – wir brauchen sie aber alle, denn die Erfahrung zeigt: Nur in gemeinsamen solidarischen Aktionen können Veränderungen durchgesetzt werden.

Verstehen kann ich das Wiederaufleben einer solchen Diskussion (der Begriff Audismus ist ja schon einige Jahrzehnte alt) nur durch die besondere Situation gehörloser Menschen heute: Das Gefühl, existenziell bedroht zu sein, Sprache und Kultur in absehbarer Zeit zu verlieren. Ich vergleiche es mal mit unserer Situation Anfang der 70er Jahre: Damals gab es das Bedrohungsszenarium Kapitalismus/atomarer Weltkrieg – viele flüchteten sich in politische Mini-Gruppen, die gesellschaftlich völlig bedeutungslos waren, aber fühlten sich dort sicher und stark und ganz besonders fortschrittlich, diskutierten über politische Theorien und natürlich war nur die eigene Theorie die Richtige, um die Welt zu retten. Leute, die kompromissbereit waren, wurden als Revanchisten oder später als Realos beschimpft. Ich war nicht besser – Nur heute schätze ich es anders ein. Wagenburgmentalität hat es hier mal jemand genannt.

CB hat einen Aspekt gebracht, der auch für mich die Audismus-Theorie grundsätzlich in Frage stellt: Jeder Geh-Behinderte könnte ja dann der Gesellschaft die Überbewertung des Gehens vorwerfen, weil die Bewegungsfähigkeit ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird, ebenso könnten Menschen ohne Arme die Werterelativierung des Händegebrauchs fordern (schon mal überlegt, unter welchen Einschränkungen contergangeschädigte Menschen leben müssen?), blinde Menschen der Mehrheitsgesellschaft „Visualismus“ vorwerfen und so weiter. Hören, Sehen, Hantieren, Laufen, Denken…. das sind nun mal „normale“ Fähigkeiten eines jeden Menschen. (Es ist etwas völlig anderes, wenn man Menschen aufgrund der Hautfarbe diskriminiert – deshalb kann ich auch Audismus nicht mit Rassismus auf eine Stufe stellen – auch das wurde hier schon geschrieben) Es ist auch verständlich, dass hörende Menschen, die bisher noch keinen persönlichen Kontakt mit Gehörlosen hatten, sich fragen: Wie machen das Gehörlose, wenn sie Auto fahren oder früh aufstehen müssen oder oder… Weiß jemand hier, wie Menschen ohne Arme am PC schreiben? Habt ihr nicht auch ein klitzekleines Gefühl des Bedauerns, wenn ihr solche Menschen zum ersten Mal seht? Ändert sich das nicht auch erst durch persönlichen Kontakt?
Warum braucht man für das (in den meisten Fällen verständliche) Verhalten der Mehrheitsgesellschaft auf Menschen ohne Hörsinn einen besonderen Begriff? Reicht nicht das Wort „Diskriminierung“, um bewusste oder unbewusste Benachteiligungen zu benennen?

Von den vielen diskussionswürdigen Gedanken auf dieser letzten Seite möchte ich nur einen einzigen rauspicken:

Pnin:
Du schreibst in einem Beitrag an bengie:
Der Spruch "Behindert ist man nicht, behindert wird man" mag ja geeignet sein, den Menschen Spendengelder aus der Tasche zu ziehen. Er geht aber an der Realität vorbei. Denn am Ende - bleibt eben doch immer der Körper mit all seinen Einschränkungen.
Das sehe ich nicht so. Mag sein, dass diese Sichtweise an der jetzigen Realität vorbeigeht – sie ist aber notwendig für eine Änderung derselben! Der Begriff „behindert“ wird schon lange diskutiert und man hat diese Perspektive eingeführt, um die Verantwortung der Gesellschaft zu betonen. Jede Behindertengruppe musste dafür massiv ihre Rechte einfordern. Ohne die „Krüppelbewegung“ in den 70er Jahren, die mit ihren Rollstühlen die Schienen blockiert haben, hätten wir heute wahrscheinlich noch keine Niederflurbusse, Bordsteinabsenkungen und Aufzüge. Die politische Arbeit der Behindertenverbände führte dann zu einer Aufnahme des Diskriminierungsverbotes ins Grundgesetz, zur Forderung nach barrierefreier Teilhabe und zum Anspruch auf Nachteilsausgleich.

Bei dieser Diskussion spielt auch die Vorstellung von „normal“ und „fremd“ eine Rolle. Entscheidend sind persönliche Erfahrungen, was man als normal oder fremd empfindet. Schüler haben mir erst kürzlich berichtet, wie sie es geschafft haben, bei hörenden Kollegen allmählich, Schritt für Schritt deren Fremdheitsgefühl zu überwinden und respektiert zu werden. Sie leisten damit einen riesigen Beitrag zur Akzeptanz von gehörlosen Menschen in der Gesellschaft, jeden Tag.

Kann die Audismus-Theorie sie dabei unterstützen?



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@CharlyBrown

ja, ich stimme dem zu, so wie du es gesagt hast, das ist gut ausgedrückt und für jedermann/frau verständlich.
Ich möchte nur eines einwerfen:


Zitat:
Wir können aber nicht der gesamten hörenden Geselschaft eine
audistische Ideologie vorwerfen. Sonst könnten Gehbehinderte uns
"Lauf-ismus-Ideologie" vorwerfen. Und wenn dann jede Gruppe mit
irgendeinem Handicap der Gesellschaft einen ..ismus vorwirft,
entsteht Chaos.


Paco hat sich auch dazu geäußert.

Ich möchte euch daran erinnern, daß Gehörlose eine eigene Sprache und Kultur haben, deswegen läßt sich das nicht so fix mit anderen "Behinderungen" (ich lehne dieses Wort ab, deswegen Anführungsstriche) vergleichen. Diese Tatsache ist ja erst der Auslöser für die Audismusdiskussion.

@Paco


Zitat:
Verstehen kann ich das Wiederaufleben einer solchen Diskussion (der Begriff Audismus ist ja schon einige Jahrzehnte alt) nur durch die besondere Situation gehörloser Menschen heute: Das Gefühl, existenziell bedroht zu sein, Sprache und Kultur in absehbarer Zeit zu verlieren.


Das ist Unsinn. Gl wird es immer geben. Der Kampf der Gl um Anerkennung und Gleichberechtigung ist schon sehr alt, gibt es nicht erst seit dem CI. Es gab auch in der Vergangenheit immer Versuche, GL von ihrem "Leiden" zu befreien.

Zitat:
(Es ist etwas völlig anderes, wenn man Menschen aufgrund der Hautfarbe diskriminiert – deshalb kann ich auch Audismus nicht mit Rassismus auf eine Stufe stellen – auch das wurde hier schon geschrieben)


Die Diskriminierung von Minderheiten durch die Gesellschaft folgt nicht dem Schema F und kann in verschiedenen Formen auftreten.
Das ist egal. Wir fühlen uns diskriminiert, punkt.

@Pnin

Zitat:
@Immortal King: Du spricht von der "Höhewertung des Hörens bzw. Sprechens". Diesen Punkt habe ich noch nie verstanden bzw, konnte bzw. hat auch noch nie jemand erklärt!


Das ist doch einfach zu verstehen. Schaue dich nur mal in den Gl-Schulen um, bzw. in den Zentren für Hören (der Name sagt auch schon alles)
Die Sprache der GL ist die Gebärdensprache. Diese wird in der Schule nicht oder kaum verwendet.
Aber ich habe auch das Gefühl, daß du grundlegende Sachen nicht verstehst und sie gerne ganz schlau zerreden willst. [ugone2far]



Rote Karte!
Rote Karte!



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berenice,
die Postings von Pnin, Pyros, CB, IM und Paco geben die Realität wieder
und wieder.

Eine Höherbewertung von Hören und Lautsprechen haben mir die hd. Leute
niemals betont.

Die Gl-Schulen von damals und heute?
Die Leistungen der Schüler?
Besuche du die Schulen und machst eine Vergleichsaufstellung auf.

Zitat an Pnin:
"Aber ich habe auch das Gefühl, daß du grundlegende Sachen
nicht verstehst und sie gerne ganz schlau zerreden willst."
---Das empfinde ich bei dir.

Früher hat "Die Maske der Barmherzigkeit" die Gl im festen Griff und
heute werden die gl. Schüler stärker gefördert und härter gefordert.
(z.B. Abitur; Fachschulreife etc.)

Im TS ist ein Artikel ... vor 8 (acht) Jahren wurde die Gl-Schule umgetauft in Förder.... ,
viel weniger Schüler sind echt "blaublütige" Gehörlosen.
Also die reinrassigen Gehörlosenschulen, wie ich sie als
Schüler erlebt habe, sind Historie.

-



Spitzenmitglied



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Berenice hat geschrieben:

Ich möchte euch daran erinnern, daß Gehörlose eine eigene Sprache und Kultur haben,
deswegen läßt sich das nicht so fix mit anderen "Behinderungen" (ich lehne dieses Wort ab, deswegen Anführungsstriche) vergleichen.
Diese Tatsache ist ja erst der Auslöser für die Audismusdiskussion.


Was haben die andere Sprache und Kultur mit der Audismustheorie zu tun?

Zitat:

Die Diskriminierung von Minderheiten durch die Gesellschaft folgt nicht dem Schema F
und kann in verschiedenen Formen auftreten.
Das ist egal. Wir fühlen uns diskriminiert, punkt.


Das ist ein pauschaler Rundumschlag, der m. E. nicht zutrifft.
Nach meinen Erfahrungen sind es immer nur Einzelpersonen,
die beim ersten Zusammentreffen mit GL gewisse Vorbehalte gegen
diese Personengruppe haben.

Beim näheren Kennen lernen im beruflichen und privaten Umfeld
tritt gar nicht so selten eine persönliche Wertschätzung zwischen GL und HD ein.
Auch Paco berichtet über diesen Abbau von Fremdheitsgefühlen.

Es gibt natürlich auch hoffnungslose Fälle, bei denen die Beteiligten stur
an ihren Vorurteilen festhalten.
Das gilt aber sowohl für HD als auch GL.


Pyros



Spitzenmitglied



offline
Berenice, ich finde es etwas merkwürdig, das Du eine
Aussage von Paco als Unsinn bezeichnest.
Es stimmt doch, das Gl befürchten, ihre Zahl wird bald so gering das
Gebärdensprache und Kultur gefährdet sind.
Hast Du vieleicht etwas persönlich gegen Paco?



Spitzenmitglied



offline
Was ihr schreibt, gibt die Realität (eures Lieblingswort) nicht wieder!

Wie könnt Ihr dann erklären, dass immer mehr Eltern sich für den Cochlea-
implantat bei Kindern oder für ihre Integration in die Regelschule entschie-
den haben? Die Antwort ist ganz einfach: Audismus! Alle Eltern, bevor sie
taube Kinder bekommen, waren wirklich ahnungslos und haben noch nie
mit dem Taubsein oder mit der Taubheit beschäftigt. Wie lässt es sich er-
klären, dass sie plötzlich negativ darauf reagiert haben, als bei ihre Kin-
der Taubheit diagnostiziert wurde. Genau deswegen habe ich vom Vor-
bewusste gesprochen!

Eltern würden etwas gelassen sehen, wenn ihren Kinder der Geruchssinn
fehlt. Aber nicht, wenn ihren Kinder das Gehör fehlt. Das lässt sich erklä-
ren, dass das Gehör viel zu hoch bewertet wurde.

Erst wenn Eltern nicht so ein großes Theater mit der Taubheit machen, kön-
nen wir wirklich von einer anti-audistischen Gesellschaft reden! Erst wenn
nur wenige Kinder CI haben und fast alle Kinder in die normale Taubenschu-
le gehen, können wir wirklich von einer anti-audistischen Gesellschaft re-
den!

Ich habe wirklich das Gefühl, dass meisten von euch nicht die Ansicht ver-
tritt, dass der Wert vom Hören und vom Sprechen relativiert werden soll.
Erstmal müsst Ihr euch im Klaren sein, ob ihr selbst nicht anti-audistisch
seid, bevor wir solche Diskussion machen!

Paco,

ich freue mich wirklich, dass du dich hier erscheinen lässt! =)

Ich erkenne nicht den Zusammenhang zwischen dem Audismusbegriff und
der bedrohten Existenz der Taubengemeinschaft. Der Audismus wurde ent-
standen, als der CI noch ein Fremdwort war. Der Sinn der Bewegung rund
ums Audismusbegriff ist die Gleichstellung der Tauben und Hörenden. Wer
gegen Audismus spricht, spricht auch einfach gegen Gleichberechtigung!
Das ist bei viele Zweifler hier zu beobachten, dass sie die Gleichberechti-
gung ablehnen. Wenn deine Feststellung aber stimmt, dass es mit der Sor-
ge um die Taubengemeinschaft zusammenhängt, ist die Bewegung rund
um Audismusbegriff dann deshalb sinnlos?

Ich finde den Aspekt von Charles Brown auch interessant, dass auch Roll-
stuhlfahrer der Gesellschaft vorwerfen können, dass das Gehen zu hoch
bewertet wurde. Wie berenice aber richtig festgestellt hat, lässt sich die
Taubengemeinschaft total von anderen Behindertengruppen unterschei-
den. Ich glaube, dass die Taubengemeinschaft die einzige Behinderten-
gruppe ist, die auch eine Ethnische Gruppe sein kann (ja, "sein kann",
nicht "ist", wegen der fehlenden Anerkennung).

Und gibt es auch so ein ähnlicher Form der Unterdrückung wie Oralismus
und Cochleaimplantat bei Rollstuhlfahrer? Haben Rollstuhlfahrer auch wenig
Zugang zur Bildung aufgrund der Überbewertung des Ganges? Nur 1% aller
Tauben wurden schulisch und pädagogisch richtig gefordert, also mit der Ge-
bärdensprache in der Schule. Ist das auch bei Rollstuhlfahrer zu beobach-
ten?

Es ist auch eine Frage, ob sich Armlosigkeit oder Gehbehinderung vererben
lässt, was mir bisher nicht bekannt ist. Haben die Armlosen und Gehbehin-
derten das Wir-Gefühl unter sich? Sind die Armlosen und Gehbehinderten
öfter mit anderen Menschen mit gleicher Behinderung verheiratet?

Ich sehe auch, dass die Taubheit in der Gesellschaft viel niedriger Wert hat
als die Gehbehinderung. Nicht umsonst ist Schäuble heute ein Minister.

Ich habe vor paar Tagen im Zug mit einer hörenden Studentin der Ethnolo-
gie gesprochen, wo sie nach der anfänglichen Skepsis aber meint, dass es
mit der Anerkennung der Taubengemeinschaft als Ethnische Gruppe durch
die neue Definition des Ethniebegriffes möglich ist.

Soviel zur Existenz der Taubengemeinschaft:

Es ist ja möglich, dass das Taubsein in Europa in näher Zukunft ganz ver-
schwinden wird. Aber weniger möglich in Entwicklungsländer, wo 70% aller
Tauben leben. In Entwicklungsländer werden Eugenik (die genetische Selek-
tion der Taubheit) oder Cochleaimplantat kaum eingesetzt.

Unrealistisch, aber warum nicht, ist, dass die Taubengemeinschaft irgend-
wann mal ein eigener Staat fordert wie die Juden nach dem Holocaust.



Spitzenmitglied



offline
Dirksen Bauman and Audism
Interview in IS mit ASL, 23 Min

Bild

http://fr3.frontrunners.dk/



Spitzenmitglied



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offtopic:

@bengie:
Unterschätz den Geruchssinn nicht. Wenn der meinem Kind fehlen würde, würde ich mir viel mehr Gedanken machen als bei einem fehlenden Hörsinn.
Wenn der Geruchssinn fehlt, schmeckt nämlich auch das Essen nicht, weil die Geschmacksrezeptoren nur sauer, salzig, bitter und süß anzeigen, aber keine Differenzierungen. Die erfolgen durch die Nase (merkt man manchmal, wenn bei einer Erkältung das Essen nicht so schmeckt). Da büßt man also erheblich an Lebensqualität ein. Und dafür gibt´s nichts zum Kompensieren, wie etwa die DGS für die Lautsprache.

Hab mal einen Fernsehbeitrag über eine Frau gesehen, die ihren Geruchssinn im Erwachsenenalter verlor. Die hat sogar an Selbstmord gedacht.



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@pyros

Zitat:
Was haben die andere Sprache und Kultur mit der Audismustheorie zu tun?


Hä? Darum geht es hier doch. Die Audisten erkennen doch nicht an, daß Gl eine eigene Kultur mit eigener Sprache sind. Deswegen werden Gl nicht in ihrer Sprache unterrichtet sondern bekommen die Sprache der Audisten aufgezwungen.
Mit Audisten meine ich jetzt die Pädagogen und Ärzte sowie Audiologen, nicht alle Hörenden. In meinem letzten Posting auch.

Zitat:
Beim näheren Kennen lernen im beruflichen und privaten Umfeld
tritt gar nicht so selten eine persönliche Wertschätzung zwischen GL und HD ein.
Auch Paco berichtet über diesen Abbau von Fremdheitsgefühlen.


Ja, das stimmt natürlich. Ich bezog mich eher auf das "große Ganze".

@CharlyBrown

Zitat:
Berenice, ich finde es etwas merkwürdig, das Du eine
Aussage von Paco als Unsinn bezeichnest.


Wieso findest du das? Darf ich nicht meine Meinung äußern?
Zitat:
Hast Du vieleicht etwas persönlich gegen Paco?

Nein, ich kenne Paco nicht mal. Ich würde aber auch Freunde kritisieren.



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@pyros

Zitat:
Was haben die andere Sprache und Kultur mit der Audismustheorie zu tun?


Hä? Darum geht es hier doch. Die Audisten erkennen doch nicht an, daß Gl eine eigene Kultur mit eigener Sprache sind. Deswegen werden Gl nicht in ihrer Sprache unterrichtet sondern bekommen die Sprache der Audisten aufgezwungen.
Mit Audisten meine ich jetzt die Pädagogen und Ärzte sowie Audiologen, nicht alle Hörenden. In meinem letzten Posting auch.

Zitat:
Beim näheren Kennen lernen im beruflichen und privaten Umfeld
tritt gar nicht so selten eine persönliche Wertschätzung zwischen GL und HD ein.
Auch Paco berichtet über diesen Abbau von Fremdheitsgefühlen.


Ja, das stimmt natürlich. Ich bezog mich eher auf das "große Ganze".

@CharlyBrown

Zitat:
Berenice, ich finde es etwas merkwürdig, das Du eine
Aussage von Paco als Unsinn bezeichnest.


Wieso findest du das? Darf ich nicht meine Meinung äußern?
Zitat:
Hast Du vieleicht etwas persönlich gegen Paco?

Nein, ich kenne Paco nicht mal. Ich würde aber auch Freunde kritisieren.



Spitzenmitglied



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@Rainbow,
du hast bengies Punkt ueber den Geruchssinn nicht erfasst. Sein Punkt ist, dass in der Gesellschaft kein Ismus basiert auf die Wertschaetzung des Geruchs entwickelt wurde, worauf dann die "Geruchslosen" (ironisch gemeint wegen dem Wort 'gehoerlos' (:=)) diskriminiert werden.

Obwohl der Gesichtssinn sehr hoch geschaetzt wird, sowohl von uns als auch von den Hoerenden, wird kein Ismus entwickelt, worauf die "Gesichtslosen" [(:=)] diskriminiert werden. Die Gesellschaft nimmt besser Ruecksicht auf blinde Menschen. Die Blinden erfahren Benachteiligungen in wenigeren Bereichen, die leicht und schnell behoben werden (z.B. Braillebuecher und Tonbuecher werden schneller herbeigestellt als GSD). Sie brauchen ueber keinen Ismus zu beklagen. Nur brauchen sie bestimmte Benachteiligungen zu nennen.

@CharlyBrown,
andere Behindertengruppen brachten tatsaechlich einen fuer sie betreffenden Ismus hervor und zwar Ableismus, auf Deutsch mancherorts mit 'Behindertenfeindlichkeit' uebersetzt. Dieser Begriff ist neueren Ursprungs, etwa 20 Jahre alt. Darunter versteht man ein System von Diskriminierungen, beide offenkundig und versteckt, basiert auf das Fehlen von irgendeiner Faehigkeit. Beklagt hier wird, wie die Gesellschaft eine koerperliche und geistige Unfaehigkeit nicht toleriert oder ignoriert und verschiedene Benachteiligungen zulaesst. Ich habe Audismus auch als eine Form von Ableismus einem Autor charakterisiert. (Siehe Artikel im englischen wikipedia unter "audism".)

@Paco,
Der Begriff 'audism' ist nicht wegen Bedrohung entstanden worden. Tom Humphries wollte nur soziologisch ein bisher noch nicht beschriebenes Phaenomen beschreiben. Wichtig fuer ihn ist festzustellen, dass eine Kette der Benachteiligungen nicht aus der Hoer-Sprech-Unfaehigkeit hervorspringt, sondern aus einer besonderen Mentalitaet seitens der Hoerenden, und wie die Mentalitaet auch von tauben Menschen von ihnen internalisiert wird.

Was neulich neu ist, ist die Erkenntnis, dass man den Begriff braucht, um die Gesellschaft besser darauf zu sensiblisieren, wie sie auch durch die Diskussionen um Rassismus, Sexismus, Homophobismus usw. sensibilisiert worden ist. Das Abbauen der Benachteiligungen geschieht leichter, nicht nur der Barrieren sondern auch in den Einstellungen der Nichtbetroffenen. In den Diskussionen um Audismus wird auch beraten, wie man den verschiedenen Manifestationen von Diskriminierungen entgegengeht und welche Mittel passender und erfolgsversprechender sein wuerden.

Paco, hast du vielleicht in deinem Archiv die Diskussionen ueber das gleiche Thema im Marktplatz Deaf Pride gespeichert? Wenn ja, kannst du vielleicht einzelne Punkte hier hineinbringen (oder mir per Email schicken)?

Ueber Ignoranz, Ahnungslosigkeit oder Unterbewusstsein werde ich spaeter noch sprechen. Hier nur kurz: Sie betreffen Mentalitaet ueber eine benachteiligte Bevoelkerungsgruppe. Jeder diskriminierende Ismus muss das in der Begriffbestimmung miteinschliessen. Es geht ohne sie einfach nicht.


Hartmut



Zuletzt geändert von Hartmut am 07.01.2008, 08:15:52, insgesamt 1-mal geändert.

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Ich muss verrückt sein, das gemacht zu haben... ;)

Hier die Übersetzung des Interviews mit Dirksen Bauman. Ich habe
versucht, es 1:1 zu übersetzen. Wenn es mir nicht gelang, hatte ich
es zumindest sinngemäß übersetzt. Alles natürlich ohne Gewähr *g*
Sollten sich Fehler finden, bitte mir sagen, denn ich bin kein IS-Crack.
Ich korrigier es dann gerne. Übrigens finde ich es sehr schade, dass
die Frontrunn3rs keine Englischtextversion anbieten... Gruß, IK

[edit] Oh, ich habe gerade entdeckt, dass von älteren Frontrunn3rs-
Interviews Englischtextversionen in PDF existieren. Von daher nehme
ich mein Bedauern zurück :)


Interview von Frontrunn3rs mit Dirksen Bauman zum Thema Audismus

Frontrunn3rs: Wer bist du und was machst du beruflich?

Dirksen Bauman: Ich bin Dirksen Bauman und mein Name gebärdet sich so. Ich unterrichte Deaf Studies an der Gallaudet University. Ich bin hörend und meine Studenten natürlich gehörlos. Von meiner Geburt an hatte ich mich noch nie mit Gehörlosen beschäftigt oder darüber nachgedacht. Das heißt also, bis dahin war ich also ein gewöhnlicher Mensch. Vorhin war ich sozusagen nicht hörend, denn ich kannte diese Unterscheidung gar nicht. Als ich in einer Schule anfing, gehörlose Schüler zu unterrichten und sie mich als hörend bezeichneten, kam ich mit dieser Unterscheidung in Berührung - dass sie gehörlos waren und ich eben hörend. Erst diese Erfahrung im Alter von 21 führte dazu, dass ich mich fortan für Gehörlosenthemen interessierte. Ich fing an zu recherchieren, was das Hörendsein bedeutete und ausmachte. Ich setzte mich mit den Unterschieden zwischen der Gehörlosen- und der Hörendenwelt auseinander. Den meisten Menschen auf der Welt ist gar nicht bewusst, dass sie hörend sind. Hörend wären also nur diejenigen, die sich mit Gehörlosen auseinandersetzen oder mit ihnen arbeiten. Die anderen Menschen sind also nur „hören könnend“. Das sind also zwei verschiedene Label, mit denen ich die beiden Personengruppen trenne: Die Hörenden (eine kleine Gruppe) und die „hören Könnenden“ (eine sehr große Gruppe).

Frontrunn3rs: Soll der Begriff Audismus Hörenden (Anmerkung des Übersetzers: hier ist sicherlich „hören könnend“ gemeint und das setzt sich bis zum Ende des Interviews fort) oder Gehörlosen nähergebracht werden oder eben beiden? Kannst du was dazu sagen?

Dirksen Bauman: Der Begriff Audismus ist wichtig für beide Gruppen. Es soll sowohl den Hörenden als auch den Gehörlosen nähergebracht werden. Hörende betreiben oft unbewusst Audismus. Sie kennen es ja auch nicht. Erst, wenn sie über Audismus aufgeklärt werden, wird ihnen bewusst, dass sie Benachteiligungen ausgeübt hatten bzw. ausüben. Man könnte es so sagen, dass sie durch den Begriff Audismus einen klareren Blick bekommen. Durch die Audismus-Brille sehen sie ihre benachteiligenden Handlungen ein. Sie können sich dann bessern und für ein besseres Verhältnis zu Gehörlosen bemühen. Das ist ähnlich bei Gehörlosen. Es kann sein, dass sie seit Geburt immer wieder benachteiligt wurden und sie das hinnahmen oder ihnen das nicht bewusst war. Mit dem Begriff Audismus bekommen sie ebenjenen klareren Blick, so dass sie gegen die Benachteiligungen ankämpfen können. Es ist deshalb wichtig, diesen Begriff beiden Gruppen näherzubringen. Die Audismus-Brille verschafft beiden Gruppen einen klareren Blick.

Frontrunn3rs: Was ist die Definition von Audismus?

Dirksen Bauman: Das ist nicht so einfach zu definieren. Audismus lässt sich nicht mit einem simplen Satz erklären, denn es gibt drei Formen davon. Auch diese sind bei den anderen diskriminierenden Ismen wie Sexismus oder Rassismus zu finden. Die dritte, „untere“ Form ist der individuelle Audismus. Das kommt bei Einzelpersonen vor, die es verinnerlicht haben, andere zu unterdrücken. Ein Beispiel: Eltern, die keine Gebärden einsetzen wollen und nur sprechen, obwohl ihre Kommunikation mit dem gehörlosen Kind für ihn mühsam und schwierig ist. Das ist eine harte Form von Unterdrückung. Aber wo haben diese Eltern ihre Überzeugung, ihre Ideologie, nicht zu gebärden her? Von den Ärzten. Babys werden in Krankenhäusern geboren. Dort wird den Eltern gesagt, nicht zu gebärden. Das ist die zweite Form: Der institutionelle Audismus. Das ist also auf einer höheren Ebene. Institutionen wie die Medizin oder die Pädagogik setzen ihre Überzeugungen um und beeinflussen Eltern, so dass diese Gebärden als schlecht betrachten und diese dann auch nicht benutzen. Die Eltern verinnerlichen es und üben dieselben Überzeugungen aus. Es verläuft also von „oben“ nach „unten“. Und Einzelpersonen haben auch die Überzeugung, dass es besser ist, Hören und Sprechen zu können. Hörende werden also besser gestellt als Gehörlose. Aber diese Idee haben sie nicht von den Institutionen, sondern von Systemen. Der institutionalisierte Audismus beinhaltet das auch. Er herrscht in Systemen der Gesellschaft. Das führt zu der Überzeugung, dass Hörendsein etwas Positiveres ist. Ich erkläre es mal so: Auf dem Flughafen gibt es diese horizontalen Laufbände. Hörende stehen sozusagen auf Laufbändern, sie werden also unterstützt auf ihrem Weg. Obwohl Gehörlose und der Hörende den gleichen Startpunkt haben, fällt der Gehörlose mit der Zeit immer weiter zurück. Der Hörende wird vom Laufband – also vom System – begünstigt und der Gehörlose gerät durch die Benachteiligungen und Schranken durch die Systeme mehr und mehr in Rückstand. Das nennt sich „System von Vorteilen“. Es fördert den Hörenden besser als den Gehörlosen. Am Ende wird der Hörende besser gestellt als der Gehörlose. Das kann ebenfalls bei Sexismus und Rassismus beobachtet werden. Menschen mit weißer Haut haben in Amerika durch das System mehr Vorteile. Audismus ist also ein „System von Vorteilen“, die Menschen, die hören können, begünstigen. Ein solches System wird aber durch die erste, „oberste“ Form von Audismus möglich: Den ideologischen Audismus. Ein neugeborenes Baby ist ein unbeschriebenes Blatt. Erst durch das Aufwachsen eignet er sich Überzeugungen von der Gesellschaft an. Seit langem sind Philosophen der Ansicht, dass der Mensch sich vom Tier durch die Sprache unterscheidet und zwar die Lautsprache. Gebärdensprache wird als minderwertig angesehen. Diese Ansicht hat sich bis heute gehalten. Durch die Geringschätzung der Gebärdensprache wird der Gehörlose als Untermensch angesehen. Es wird deshalb versucht, den Gehörlosen zu reparieren, damit er sich vom Untermenschen zum richtigen Menschen entwickelt. Jedoch wird nicht versucht, das System oder die Ideologie zu reparieren. Das ist die Ideologie des Audismus und sie verbreitet sich durch die Systeme und Institutionen unter den Einzelpersonen. Weil Einzelpersonen diese Ideologie verinnerlicht haben, reproduzieren sie den ideologischen Audismus, indem sie ebenjene Ideologie weitergeben, die sich wiederum auf Systeme, Institutionen und Einzelpersonen verbreiten. Durch den Begriff Audismus soll dieser Kreislauf durchbrochen werden. Die Ideologie muss sich ändern. Nur so kann der Audismus reduziert werden. Unterdrückungen anderer Gruppen wie Frauen oder bestimmter Ethnien reduzieren sich nach und nach und genau das muss auch bei Gehörlosen geschehen.

Frontrunn3rs: Viele Hörende akzeptieren den Begriff Audismus nicht? Wie soll man da vorgehen?

Dirksen Bauman: Richtig, viele Hörende, aber manchmal auch Gehörlose wehren sich gegen diesen Begriff oder lehnen ihn ab. Ich denke, eine Akzeptanz kann dadurch erreicht werden, wenn es eine Win-Win-Situation gibt. Es muss also sowohl für Hörende als auch für Gehörlose einen positiven Effekt geben. Ein Beispiel: Wenn ein Hörender Unterdrückung betreibt, kann er sich kaum gut fühlen. Er hat also kein optimales Verhältnis zu einer Person, wenn er diese unterdrückt. Unterstützt und fördert er diese Person, resultiert das in ein besseres Verhältnis. Mit der Unterdrückung von Gehörlosen seit langem verlieren Hörende also einiges. Viele Hörende verbinden Sprache mit Lautsprache und geringschätzen die Gebärdensprache. Aber jetzt, wo die Gebärdensprache als richtige Sprache angesehen wird, fließt ebenjene Sprache als Gewinn in den Sprachschatz der Menschheit ein. Ein Teil der Hörenden ist von Natur aus besser visuell ausgeprägt als akustisch. Sie könnten die Gebärdensprache erlernen, es wäre für diese ein Profit. Sie könnten sich dadurch besser bereichern. Der Begriff Audismus beendet das Verhältnis der Unterdrückung und tauscht es in ein Verhältnis des Unterstützens ein. Audismus ist nicht nur ein Mittel, um Missstände aufzudecken, sondern es kann auf bessere Verhältnisse pochen. Der Gehörlose kann so mit dem Hörenden auf eine und dieselbe Augenhöhe kommen und besser mit ihm zusammenarbeiten. Das wäre ein Profit für beide. Genau das soll vermittelt werden. Der Begriff Audismus ist natürlich etwas Negatives. Unterdrückung ist halt negativ. Doch das soll den Menschen aufgezeigt werden. Denn davon bekommen sowohl Hörende als auch Gehörlose einen Nutzen.

Frontrunn3rs: Hat Audismus einen Zusammenhang zu Deafhood? Ist das dasselbe oder?

Dirksen Bauman: Das sind zwei unterschiedliche Begriffe, aber es besteht ein Zusammenhang. Deafhood beschäftigt sich damit, Unterdrückung zu bekämpfen. Es handelt sich hier um den Prozess des Gehörlosen mit sich selbst: Er hat durch die Unterdrückung innere Unruhen, versucht diese in Ordnung zu bringen, um sich schließlich besser zu fühlen, Stolz zu empfinden und Gehörlosigkeit als okay zu akzeptieren. Der Gehörlose soll nicht durch seine Probleme demotiviert werden. Deafhood versucht, Audismus zu reduzieren. Gibt es weniger Audismus, so steigt das Deafhood und umgekehrt. Das ist also der Zusammenhang zwischen diesen beiden Begriffen. Paddy Ladd beschrieb mal einen Gedanken: Es habe in der Geschichte niemals Oralismus gegeben, in Gehörlosenschulen sei schon immer gebärdet worden und zwar von gehörlosen Lehrern. Nach zweihundert Jahren wäre das eine Gehörlosenwelt ohne Oralismus. So eine Vision strebt die Idee des Deafhood an: Eine Welt ohne die Unterdrückung des Oralismus. Die gibt es ja seit langer Zeit und dauert noch an. Deafhood hat das Ziel, sich von dieser Unterdrückung zu befreien. Da kommt aber folgende Frage auf: In einer Gesellschaft, in der alle Hörenden und Gehörlosen die Gebärdensprache beherrschen, hätten die Gehörlosen eine ebenso starke Gehörlosenidentität? Denn hier wären alle Menschen Gebärdensprachnutzer, man würde kaum zwischen Hörenden und Gehörlosen unterscheiden. Oder wird es hier trotzdem einen Fokus auf das Hörenkönnen geben? Der Kampf der Gehörlosen gegen Unterdrückung beruht auf einer starken Identität als Gehörloser. Würde ohne Unterdrückung die Identität genauso stark sein? Es muss also ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Unterdrückung und Identität geben.

Frontrunn3rs: Sollen die Themen Audismus und Deafhood zusammen vermittelt werden oder getrennt?

Dirksen Bauman: Ich denke, es ist eine gute Idee, wenn man beide Themen zusammen vermittelt. Denn das Thema Audismus rüttelt die Menschen auf, sie sehen dadurch die Unterdrückungen klarer. Doch die Gehörlosigkeit besteht nicht nur aus einer Reihe von Unterdrückungen. Sie ist mehr. Das Mehr ist Deafhood. Das Negative ist der Audismus, das Positive das Deafhood. Deshalb gehören beide Themen zusammen. Beide zusammen ergeben ein vollständiges Bild. Gehörlose lassen sich nicht nur unterdrücken. Sie sind gleichzeitig auch noch stolz auf sich selbst und leben ihre Gehörlosenidentität aus. Wenn nur mit Audismus auseinandergesetzt wird, wird sich das eher ins Negative auslaufen. Deshalb braucht man hier einen positiven Gegenpol. Außerdem würde ein Beschränken auf das Negative, also der ständige Kampf gegen die Unterdrückungen an den Kräften zehren. Gehörlose sollen durch das Deafhood in die Offensive kommen und Vorreiterrollen annehmen, indem sie eine vorbildliche Identität ausleben und positiv auftreten. Hörende werden dann nachziehen. Sie werden den Gehörlosen folgen. Das kann in einigen Bereichen möglich werden. Ein Beispiel: Im Film gibt es wie auch in der Gebärdensprache die Zoomfunktion und die Bildwechsel. Die „Kamera“ wechselt von der Nahaufnahme einer gehenden Person zur Totalen, die die Person mitsamt seiner Umgebung darstellt. Gehörlose sind also eher bewandert in der „Filmsprache“. Wenn also mehr Gehörlose mit der Filmerstellung beschäftigt sind, könnten sie ihre andere Art, Filme zu machen gegen die bisherige durchsetzen. Daraus kann eine neue Form der Filmbearbeitung weltweit entstehen. Oder die Poesie: Hörende versuchen bislang, Poesie mit den „alten“ Stilmitteln wie Worte, Bilder oder Körper zu machen. Dabei kann die Gebärdensprache eine Bereicherung sein. Gebärdensprache hat Vorteile, die eine Lautsprache nicht bieten kann. Daran kann sich die Welt bereichern und Gehörlose können hier Vorreiter sein. Das ist es, was ich meinte: Gehörlose sollen sich nicht nur auf die Bekämpfung der Unterdrückungen beschränken, sondern auch die Sonnenseiten der Gehörlosigkeit aufzeigen. Sie sollen die Gebärdensprache zelebrieren. Die Gebärdensprache gehört der Menschheit und bei Gehörlosen ist sie stark ausgeprägt. Das ist die Chance: Der Menschheit die Attraktivität der Gebärdensprache zeigen. Aus diesem Grunde macht es absolut keinen Sinn, neugeborenen Gehörlosen die Gebärdensprache zu verbieten. Die Gebärdensprache muss gefördert und zelebriert werden.

Frontrunn3rs: Wie wird der Begriff Audismus gebärdet? Es gibt ja viele Varianten. Welche benutzt du?

Dirksen Bauman: Stimmt, es gibt viele Gebärden für Audismus. In der ASL wird es buchstabiert, es gibt keine Gebärde dafür. Welche die richtige Version ist, darüber entscheide ich nicht. Es ist ein natürlicher Prozess, dass sich in verschiedenen Sprachen bestimmte Begriffe oder Gebärden herauskristallisieren. Nach und nach wird sich die geeignetste Gebärde durchsetzen. Es wäre also falsch zu sagen, diese Gebärde sei falsch und diese richtig. Vielleicht wird es fünf Jahre dauern, bis sich eine Gebärde durchsetzt. Ich mag diese Gebärde, denn das beschreibt, dass der Audismus durch vieles durchgeht. Aber diese Gebärde würde auch Sinn machen. Aber letztendlich wird es die natürliche Sprachentwicklung entscheiden.

Frontrunn3rs: Der Begriff Audismus entstand 1975, doch für eine lange Zeit war er verschwunden. Wieso? Und was war der Anlass für sein Wiedererscheinen?

Dirksen Bauman: Audismus wurde erstmals 1975 von Tom Humpries verwendet, als er in seiner Diplomarbeit nach einem Begriff für die Unterdrückungen, die er erlebte, suchte. Dennoch hatte er sie nicht veröffentlicht. In Zeitungen wurde folglich nicht darüber berichtet. So verschwand das Thema von der Bildoberfläche, bis es 1992 wieder auftauchte. 1988 wurde bei der Deaf-President-Now-Protestbewegung gegen Unterdrückung gekämpft und zwar erfolgreich, dennoch wurde der Begriff Audismus nicht verwendet. Er schlief sozusagen, bis Harlan Lane es in seinem Buch „Die Maske der Barmherzigkeit“ benutzte. Darin wurde Audismus erläutert. Kurz darauf erschienen einige Bücher, die Audismus erwähnten. Doch eine größere Verbreitung fand noch nicht statt. Im Jahre 2000, als ich an der Gallaudet University gehörlose Studenten unterrichtete, fand ich heraus, dass sie den Begriff nicht kannten, ich als Hörender aber schon. Das war nicht akzeptabel und ich wollte das ändern. Sie sollten es kennen und weiter vermitteln. So wurde eine Diskussionsveranstaltung zum Audismus organisiert. Aber es war nur eine einmalige Veranstaltung und das war nicht genug. Ein Jahr später fing ich an, mit Studenten darüber zu diskutieren und 2002 machte ich dann zusammen mit zwanzig Studenten einen Film darüber. Als wir es präsentierten, schlug es wie eine Bombe ein. Weil der Film immer wieder gezeigt wurde, wurde immer stärker über Audismus gesprochen. Erst mit dem Film gelang uns der Durchbruch schließlich auch in der ganzen Welt. In anderen Ländern wurde unser Film auf DVD gezeigt und so breitete sich das wie ein Lauffeuer aus. In Schweden, Norwegen oder auch Dänemark wurde darüber diskutiert. Mittlerweile kennen es viele Gehörlose. Und besonders seit der letzten Protestbewegung an der Gallaudet University (Anmkerkung des Übersetzers: die Better-President-Now-Bewegung gegen die neugewählte, nicht gehörlos genug seiende Jane K. Fernandez im Jahre 2006) hat der Begriff auch in Zeitungen und im Fernsehen Eingang gefunden. Ich hoffe, er wird bald in einem Lexikon stehen.

Frontrunn3rs: Vielen Dank!


Stand: 07.01.2008



Zuletzt geändert von Immortal King am 07.01.2008, 13:38:57, insgesamt 3-mal geändert.

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Aloha Immortal King,

applaus für die tolle Arbeit, die du geleistet hast! Danke [boo]


--
Wir sind die Mundfaulen. Na und? :D



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Ik, dem Applaus von Lukbo schliesse ich mich gerne für die tolle Übersetzungsarbeit an!

Es ist ein hervorragendes Interview zwischen Frontrunners und Baumann, differenzierte und ausführliche Antworten von Baumann helfen uns weiter.



Spitzenmitglied



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hi IK,

eine tolle Arbeit! [super]

Danke!


Pyros



Rote Karte!
Rote Karte!



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Hallo IK,
bravo, vielen Dank,
ich habe es ausdrucken lassen.

Das Interview habe ich angeschaut, bin des
Englischen nicht mächtig.

Gruss yakamoz
-



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Hervorragende Übersetzungsleistung von IK, wenn es auch sehr
lang dauert. Applaus!

Damit die Hörende, Taubies und Späties mehr verstehen und akzeptieren
können. Dies Text ist klar und deutlich verständlich.


°°°Surdus neve mutus sum°°°




 [Diskussion] Was ist Audismus





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